St.Galler Festspiele 2023

Die ungewohnte Oper

Die ungewohnte Oper
Modestas Pitrenas
Lesezeit: 3 Minuten

Modestas Pitrenas steht an den Festspielen vor dem Sinfonieorchester und gibt den Takt an. Mit der Oper «Andrea Chénier»  dirigiert er ein Stück, das in  St.Gallen zuletzt vor 60 Jahren aufgeführt wurde. Der Litauer über das ungewohnte Werk und den Zauber der Oper.

Mehr als zwei Generationen sind seit der letzten St.Galler Chénier-Produktion vergangen. «Es wird wohl nicht mehr so viele Zeugen davon geben», lacht Modestas Pitrenas. Das Werk erzählt von Liebe, Kunst und dem Streben nach Freiheit, es beschäftigt sich mit Werten, die heute so aktuell sind wie 1966.

Felsen unter dem Wasser

Die eigentliche Uraufführung in Mailand liegt noch weiter – im Jahr 1896 – zurück. Dementsprechend verkörpert Giordanos Oper eine gewaltige Historie. Sie entstammt dem dazumal neuen Stil Verismo,  einer Musik, die Pitrenas gut liegt:  «Diese neue Sprache der Oper hat einen speziellen Fluss und braucht besondere Emotionen.»

Stiltypisch zeichnet sich «Andrea  Chénier» durch den gesteigerten Ausdruck aller musikalischen Komponenten als gefühls- und energiegeladenes Stück aus. Währenddessen entwickelt sich die Dreiecksbeziehung zwischen den Charakteren dynamisch mit. «Das Werk präsentiert sich in einer ungewohnten Form, da es keine Arien und Szenen wie in der ‹klassischen› Oper gibt», erklärt der Chefdirigent. «Diese ‘Felsen unter Wasser’ sind eine Herausforderung für mich.» Schliesslich ist es Pitrenas’ Aufgabe, einen musikalischen roten Faden zu finden, der alle Welten zusammenhält.

Wie Zucker durchs Glas

Nicht nur das Stück stellt den Litauer auf die Probe, sondern auch das Ambiente: Temperaturwechsel und Feuchtigkeit verunmöglichen den Musikern einen Live-Auftritt unter freiem Himmel. «Es entsteht eine Distanz zwischen der Bühne mit dem Chor und den Sängern sowie dem Orchester, das in der Tonhalle spielt», sagt Pitrenas. Dank Technologie erlebt das Publikum zwar einen homogenen Klang, aber für den 48-Jährigen selbst, der in der Tonhalle dirigiert, geht dabei ein Stück Zauber verloren: «Die Sänger nur virtuell zu hören, ihren Atem nicht zu spüren, ist in etwa wie Zucker durchs Glas zu lecken.»

Pitrenas fühlt sich mit dieser Aufstellung nicht ganz «zu Hause». Was aber nicht ausschliesst, dass jeder Festspiel-Abend magisch ist. «Leichter Wind, rotes Abendlicht, vorbeifliegende Vögel … Der Klosterplatz fasziniert mit unbeschreiblichen Elementen», schwärmt der Dirigent.

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Einige Balanceakte

Aussergewöhnliche Bedingungen zu  lavieren, ist für Modestas Pitrenas beinahe Alltag. Er leitet nicht nur ein,  sondern zwei Sinfonieorchester: Nebst dem St.Galler dirigiert er das Litauische Nationale Sinfonieorchester. «Dieser  Balanceakt zwischen zwei oder mehreren Ländern ist zwar manchmal etwas mühsam», meint der Familienvater. Die Abstimmung gelinge ihm aber gut, «obwohl meine Frau und zwei Töchter manchmal anderer Meinung sind», lacht er.

So zieht es Pitrenas immer wieder in die Gallusstadt, in der er die Musiker ins Herz geschlossen hat. «Hier ist es keine Routine, eher Freude und Kreativität im Alltag», begründet er. Mit diesem Ansatz nimmt Modestas Pitrenas weitere besondere Voraussetzungen auf sich, wenn die Festspiele künftig in den Flumserbergen sind: «Mit dieser Entwicklung kommen ein neues Gefühl, eine neue Tradition und neue Möglichkeiten.»

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