LEADER Digital Award 2021

«Start-ups denken zu oft zu klein»

«Start-ups denken zu oft zu klein»
Lesezeit: 4 Minuten

Auch der diesjährige LEADER Digital Award hat gezeigt, dass sich die Ostschweiz nicht verstecken muss, wenn es um digitale Innovationen geht. Doch wie interessant sind ­­hiesige Digital-Start-ups für Investoren? Wir haben bei jemandem ­nach­gefragt, der es wissen muss:
Start-up-Experte und btov-Partner Andreas Göldi.

Andreas Göldi, wie relevant ist die Ostschweizer Digital-Branche im nationalen oder sogar internationalen Vergleich?
Die Ostschweiz ist einer der stärksten ICT-Cluster in der Schweiz – und auch europaweit in der oberen Liga mit dabei. Wir haben hier durch das starke Bildungssystem und die traditionell innovationsstarke Industrie sehr gute Bedingungen. Nicht ­zuletzt zieht auch die hohe Lebensqualität Top-­Talente an, und das ist für digitale Start-ups entscheidend.

Und wie beurteilen Sie die Anstrengungen, die unternommen werden, um die Digitalisierung in der Ostschweiz zu fördern?
Die Anzahl solcher Initiativen in der Ostschweiz ist ungewöhnlich gross und die Qualität sehr hoch, erst recht für eine Region dieser Grösse. Hier wurde in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Das schafft essenzielle Grund­lagen für Start-ups – im Sinne eines breiten Ökosystems, in dem das nötige Know-how und das erforderliche Kapital gefunden werden können. Solche Entwicklungen brauchen Zeit, aber wie ich in meiner Zeit in den USA gesehen habe, ist ein starkes Ökosystem entscheidend, um einen dauerhaft erfolgreichen Innovationscluster zu bauen.

Wie interessant ist die digitale Ostschweiz für ­Investoren?
Die Ostschweiz hat sehr gute Voraussetzungen, um starke digitale Start-ups hervorzubringen. Das zeigen erfolgreiche Jungunternehmen wie Frontify, OnlineDoctor oder Advertima und etablierte Cham­pions wie Abacus oder Namics (jetzt Merkle). Die Nähe zur HSG und zur OST hilft sehr, denn häufig entstehen die besten Start-ups direkt aus Hochschulen heraus. Insgesamt braucht die Ostschweiz aber noch mehr kritische Masse und sollte darum deutlich enger mit dem Raum Zürich zusammenarbeiten.

 

 

«Für Investoren ist es weitgehend egal, wo in Europa ein Start-up ist.»

Also weg vom regionalen Gärtchendenken?
Genau. Das Silicon Valley als traditionell stärkster Start-up-Cluster hat etwa die geografische Grösse der Region zwischen Zürich und St.Gallen und handelt weitgehend als Einheit. In der Schweiz denkt man da immer noch zu sehr in kleinen ­Regionen; das ist schade. Für uns als Investoren ist es inzwischen weitgehend egal, wo in Europa ein Start-up ist, solange es Zugang zu Talenten und Kunden hat. Hier hat die Nordostschweiz eine gute Position, muss aber noch stärker intern kollabo­rieren. Die Zusammenarbeit zwischen HSG und ETH ist beispielsweise längst nicht da, wo sie sein müsste, um das volle Potenzial auszuschöpfen.

Gibt es Bereiche, die für Investoren aktuell ­besonders interessant sind?
Gute Opportunitäten gibt es in zahlreichen Sek­toren. Durch die Pandemie ist sicher der Bereich «Future of Work» sehr aufgeheizt worden, also Tools für verteiltes Arbeiten, E-Learning und dergleichen. Auch die Digitalisierung traditioneller Branchen wie Bau, Restaurants und Gesundheitswesen ist ein grosses Thema. Grosse Bereiche wie Künstliche Intelligenz wachsen weiter, gestärkt von massiven Investitionen. Etwas abgekühlt ist allerdings die Begeisterung über Blockchain. Aber es ist normal, dass solche Themen durch wellenartige Entwicklungen gehen.

In welchen Bereichen sehen Sie in Zukunft ­vielversprechende Entwicklungen?
Wir als Frühphasen-Investoren denken in Zeit­horizonten von zehn bis fünfzehn Jahren. Die dafür relevanten Trends sind einerseits eine Fortschreibung aktueller Wellen wie z.B. KI, Digital Health und Future of Work, die alle noch sehr viel weiteres Potenzial haben. Daneben gibt es aber auch technologische Felder, deren Entwicklungsgeschwindigkeit schwer vorherzusagen ist. Wenn wir z.B. Durchbrüche sehen würden in Quantencomputing, vollständig autonomen Fahrzeugen oder Virtual Reality, wären das ganz neue Wachstumsmärkte von ungeahnter Grösse.

Was braucht ein Digital Start-up, damit ­Inves­toren einsteigen?
Oft wird gesagt, dass die Qualität des Teams entscheidend sei. Das stimmt auch weitgehend. Genauso wichtig sind aber der Markt und das richtige Timing. Wir Venture Capitalists setzen gern auf talentierte Teams, die einen grossen und/oder sehr schnell wachsenden Markt mit einer neuartigen Idee und einer kreativen Distributionsstrategie ­erobern wollen. Hier denken gerade Schweizer Start-ups oft noch in zu kleinen Nischen. Als Faustregel: Wenn ein Start-up nicht plausibel darlegen kann, wie es in sieben bis zehn Jahren auf einen Umsatz von 100 Millionen Franken wachsen könnte, ist es für Venture Capital nicht ambitioniert genug.

 

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Andreas Göldi

Der studierte Wirtschaftsinformatiker ist Internet-­Pionier der ersten Stunde und seit seiner Primarschulzeit mit dem Programmieren von Software vertraut. Während seines Studiums war der St.Galler Mitbegrün­der der E-Commerce- Plattform Electronic Mall Bodensee. Er lebte seine Leidenschaft zunächst am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St.Gallen aus und gründete bald erste Start-ups. Unter anderen 1995 zusammen mit zwei Kollegen die St.Galler Digitalagentur Namics.

 Im Jahr 2000 verkaufte Andreas Göldi sie wieder und ging 2006 mit seiner Frau Bettina Hein, ebenfalls eine Unternehmerin, nach Boston, wo sie die erfolg­reiche Werbetech-Firma Pixability aufbauten und globale Videokampagnen für Weltkonzerne optimierten. 2018 übergaben sie Pixability an einen Fremdgeschäfts­führer, einen ehemaligen Facebook-Manager, und kehrten mit ihren zwei Kindern zurück nach St.Gallen. Hier wechselte Göldi gänzlich auf die Investorenseite und ist seit Januar 2019 Partner bei der Schweizer ­Beteiligungsgesellschaft btov Partners AG und ein gefragter Digital-Start-up-Experte.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Marlies Thurnheer

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