Thurgau

Müde Schweiz – Volkskrankheit Schlafstörung

Müde Schweiz – Volkskrankheit Schlafstörung
Lesezeit: 4 Minuten

Einfach nur schlecht geschlafen oder doch eine Schlafstörung? Von Insomnie sind viele Menschen in der Schweiz betroffen. Dr. med. Rafael Traber, ärztlicher Direktor der Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid, erklärt, wie man Insomnie erkennt und was man tun kann, um seine Schlafhygiene zu verbessern.

Rafael Traber, wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?
Ich habe gut geschlafen, bin aber sehr früh aufgewacht, da ich einen spannenden, arbeitsreichen Tag vor mir habe. Zum Glück fühle ich mich ausgeruht.

So ausgeruht fühlen sich nicht alle am Morgen. Wie viele Menschen sind in der Schweiz von Schlafstörungen betroffen?
Sich nicht wirklich ausgeruht zu fühlen am Morgen, ist in der Regel die Folge von Schlafstörungen. In der Schweiz sind schätzungsweise sechs Prozent der Menschen von klinisch relevanten Beeinträchtigungen des Schlafes betroffen. Sie leiden als Folge der Schlafprobleme unter Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen und Leistungsabfall. Bei fast allen Menschen treten aber im Leben einmal Schlafprobleme auf – nicht immer haben diese eine klinische Relevanz oder eine Beeinträchtigung zur Folge.

Wann hat man einfach «nur» schlecht geschlafen und ab wann ist es Insomnie?
Eine Insomnie wird diagnostiziert, wenn entweder Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen, Früherwachen oder eine schlechte Schlafqualität vorliegen. Zusätzlich müssen die Betroffenen weitere negative Konsequenzen erdulden: Typischerweise leiden sie unter Sorgen bezüglich des schlechten Schlafes – oder ihre Alltagsaktivitäten sind durch den mangelnden oder nicht erholsamen Schlaf beeinträchtigt.

 

Dr. med. Rafael Traber
Dr. med. Rafael Traber

Wie läuft eine Diagnose von Schlafstörungen ab?
Diese kann grob in drei Teile gegliedert werden. Erstens findet ein Gespräch statt bezüglich des Schlafes, über den Beginn der Schlafprobleme, über das Schlafverhalten, über die Vorgeschichte der Schlafstörung und so weiter. Zweitens wird eine psychiatrisch-psychologische Anamnese erhoben, um aktuelle Konflikte zu eruieren und eventuelle frühere oder aktuelle psychiatrische Störungen zu erkennen – oder auch, um Persönlichkeitsfaktoren, die mit den Schlafproblemen in Zusammenhang stehen könnten, zu eruieren. Nicht zuletzt braucht es eine körperliche Untersuchung, die je nach Gesundheitszustand auch Blutanalysen oder EKGs beinhalten kann. Bei komplexen Insomnien kann überdies eine Aktometrie (Messung der Bewegung während des Tages und der Nacht) oder eine Polysomnografie in speziellen Schlaflaboren durchgeführt werden, mit kontinuierlicher Ableitung der Hirnströme mittels Elektroenzephalogramm, Langzeit-EKG oder Pulsoxymetrie.

Auf welche Ursachen treffen Sie am häufigsten?
Auf psychosoziale Stressfaktoren, die zu einer negativen Aktivierung in diversen Bereichen – etwa im affektiven, aber auch im kognitiven – führen können. Es kann dann zur emotionalen Dysregulation kommen und dysfunktionalen Verhaltensänderungen folgen (etwa langer Tagesschlaf oder unregelmässige Schlafzeiten), welche die Schlafstörung noch verstärken. Der Insomnie können aber auch psychiatrische Störungen zugrunde liegen – oder es können organische Probleme wie chronische Schmerzen, endokrinologische Erkrankungen oder die Menopause Ursachen der Schlafstörungen sein. 

Wie sieht bei jungen Menschen aus?
Bei jungen Menschen scheint es eine Zunahme der Schlafstörungen zu geben oder positiv gesagt: Die diesbezüglichen Probleme können häufiger erkannt und diagnostiziert werden. Der Schlaf der jungen Menschen unterscheidet sich vom Schlaf von älteren, was unter anderem durch die Lebensart mit Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus durch spätes Zubettgehen oder durch die typischen Sorgen der Heranwachsenden verursacht wird. Die Ursachen der Schlafstörungen sind aber wie bei Erwachsenen vielfältig; die Diagnostik muss daher bei Persistieren der Schlafprobleme umfassend sein.

 

  

«Die Veränderung des Lebensstils kann einen grossen Einfluss auf die Schlafstörungen haben.»

Welche Rolle spielen psychische Gesundheitszustände wie Depressionen oder Angststörungen?
Menschen mit depressiven oder Angststörungen leiden häufig unter Schlafstörungen. Sie können unter verzögertem abendlichem Einschlafen, Problemen beim Durchschlafen oder unter dem typischen frühmorgendlichen Erwachen leiden. Bei gewissen Typen von Depressionen können die Patienten auch unter Hypersomnie leiden, also unter einem verlängerten Schlaf, oder vermehrtem Schlafbedürfnis. Die Schlafstörungen können einer Angst- oder depressiven Störung auch vorausgehen; nicht selten dauern sie noch längere Zeit über das Abklingen einer depressiven Symptomatik hinaus an.

Gibt es neue Entwicklungen in der Schlafmedizin, die in Diagnose und Behandlung eine Rolle spielen?
Es gibt zum Glück seit längerer Zeit innovative Forschungsanstrengungen bezüglich der medikamentösen Behandlung der Schlafstörungen, sodass uns heute eine breite Auswahl an Medikamenten zur Verfügung stehen, die eine Behandlung ermöglichen, ohne dass das Risiko einer Medikamentenabhängigkeit eingegangen werden muss.

Wie läuft eine Therapie in Ihrer Klinik normalerweise ab?
Schlafstörungen sind sehr häufig und werden darum durch den Hausarzt, in der ambulanten Psychiatrie oder bei schweren Insomnien im stationären Setting behandelt. In Littenheid behandeln wir häufig Schlafstörungen bei gleichzeitig vorhandenen anderen psychischen Störungen – oder wir behandeln Patienten, die eine Abhängigkeit von Schlafmitteln entwickelt haben und wieder ohne diese schlafen möchten. Nicht selten sehen wir auch Patienten, die keinen regelmässigen Tag-Nacht-Rhythmus mehr haben. In unserer Klinik können wir den Patienten nach einer umfassenden Diagnostik mit den erwähnten Methoden wie Korrekturen des Schlafrhythmus, Entspannungsverfahren, Psychoedukation, Psychotherapie oder Schlafmedikation zu einem gesunden Schlaf verhelfen.

 

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«Bei jungen Menschen scheint es eine Zunahme der Schlafstörungen zu geben.»

Welche nicht medikamentösen Therapieansätze empfehlen Sie Patienten mit Insomnie?
Es ist wichtig, Verhaltensregeln für einen gesunden Schlaf zu berücksichtigen. Diese Art von Massnahme nennt man Schlafhygiene, die neben der Psychoedukation am Anfang jeder Behandlung stehen muss. Weiter empfiehlt es sich in vielen Fällen, Entspannungsverfahren einzusetzen oder bei fehlender Wirkung psychotherapeutische Verfahren, von denen es eine breite Palette gibt.

Diese Verhaltensregeln, die Sie angesprochen haben, wären?
Die Veränderung des Lebensstils kann einen grossen Einfluss auf die Schlafstörungen haben. Dazu gehört, dass nach dem Essen keine koffeinhaltigen Getränke mehr konsumiert werden, dass Alkohol mässig konsumiert und nicht als Schlafmittel eingesetzt wird und dass keine schweren Mahlzeiten am Abend eingenommen werden. Regelmässige körperliche Anstrengung, Einschlafrituale, eine adäquate Temperatur im Schlafzimmer, das Vermeiden von Fernsehkonsum vor dem Schlafen und regelmässige Schlafzeiten können den Schlaf merklich verbessern.

Haben Sie Tipps, wie man schon heute Nacht etwas besser schläft?
Viele der oben genannten Verhaltensänderungen lassen sich leicht umsetzen. Vor dem Schlafengehen einen kurzen Spaziergang zu machen, kann einen guten Schlaf fördern. Damit meine ich aber nicht Sport, den der sollte nicht zu spät am Tage ausgeübt werden, da er den Körper zu stark aktiviert.

Text: Miryam Koc

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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