CSIO 2023

Vom Pferdevirus gepackt

Vom Pferdevirus gepackt
Jörg Gerber
Lesezeit: 4 Minuten

Jörg Gerber aus Basadingen ist «Chief Steward» beim Longines CSIO St.Gallen. Was das genau bedeutet, warum ihn Pferde so faszinieren und wie er damit umgeht, wenn nachts plötzlich eines ausbüxt, verrät uns der 67-Jährige im Interview.

Jörg Gerber, Sie sind «Chief Steward» beim CSIO. Den Job müssen Sie sicher öfter erklären
Ja, aber das mache ich gerne: Stewards setzen sich für das Wohl der Pferde ein und stellen faire Bedingungen zur Ausübung des Sports sicher. Der Chief Steward unterstützt mit seinem Team den Veranstalter dabei, den Anlass erfolgreich im Rahmen der geltenden Gesetze und Reglemente durchzuführen.

Das bedeutet?
Im Team von rund acht Personen begleiten und überwachen wir den gesamten pferdesportlichen Betrieb auf den Vorbereitungs- und Trainingsplätzen und in den Stallungen. Das beginnt mit Abnahme der Stallungen, dem Ankommen der Pferde und den Veterinärkontrollen am Mittwoch. Während des Turniers dann das Reiten und Longieren, die Überprüfung der korrekten Ausrüstung, mit regelmässigen Kontrollen der Gamaschen, Pferdebeine und so weiter. Dabei arbeiten wir sehr eng mit den Veterinären des Turniers zusammen. Überhaupt ist die gute Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Leuten essenziell.
Am Schluss der Veranstaltung muss ich einen umfassenden Bericht an den Weltverband FEI schicken. Dieser beinhaltet auch schriftliche Feedbacks der Grooms (Pferdepfleger), mit dem Ziel, die Qualität der Veranstaltung auf hohem Niveau zu halten und weiter zu verbessern.

Und wie kommt man zu dieser Tätigkeit?
Für den Job als FEI Steward wird man durch den Schweizerischen Verband nominiert. Dazu muss man auf nationaler Ebene Jurypräsident oder zumindest Springrichter sein. Dann durchläuft man bei der FEI eine Ausbildung mit Abschlussprüfung. Nachher sind jährlich Prüfungen und Weiterbildungen zu absolvieren, um akkreditiert zu bleiben oder höhere Levels zu erreichen. Als Chief Steward muss man zumindest den zweithöchsten Level 3 haben – und dann von einem Veranstalter angefragt werden.

 

  

«Mit 24 hat mich das Pferdevirus gepackt und nicht mehr losgelassen.»

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Um den Job gut machen zu können, braucht es vorab sicher solide Kenntnisse im Springsport und ein echtes Interesse am Sport und am Wohl der Pferde. Das Stewarding bei der FEI wurde übrigens auf Initiative von Paul Weier, einer Ikone des Schweizer Springsports, ins Leben gerufen.

Worauf muss man besonders achten, damit sich die Pferde wohlfühlen?
Hier möchte ich an allererster Stelle die Grooms erwähnen. Sie betreuen die Pferde während des ganzen Tages und leisten einen enormen Job. Diese Leute sind Profis und mit Herzblut dabei. Die Pferde werden mehrmals pro Tag bewegt. Mit Spazieren und Grasen, durch Longieren am frühen Morgen und natürlich mit Reiten. Zudem werden die Pferde als Top-Athleten selbstverständlich auch erstklassig gefüttert und z. B. von Physiotherapeuten und Medizinern betreut. Die Infrastruktur ist auch wichtig.

Wie empfinden Sie diese in St.Gallen?
Hervorragend! Die Pferde haben Platz zum Grasen und die zwei Abreitehallen bieten Raum und einen sehr guten Boden. Daneben kann auch auf Gras geritten werden, damit sich die Pferde auch auf das Geläuf im Stadion vorbereiten können. Für die Erholung der Pferde ist auch die Stallruhe von 23 bis 6 Uhr essenziell. In dieser Zeit sind nur der Nachtsteward und die Sicherheitsleute dort unterwegs. Alle anderen dürfen nur mit spezieller Begründung und in Begleitung hinein. 

 

Wo liegen die Herausforderungen bei Ihrem Job?
Es ist manchmal schwierig, auf Wünsche von Reitern und Grooms einzugehen – und trotzdem für alle die gleichen fairen Bedingungen zu gewährleisten. Wir wollen partnerschaftlich das Beste für den Sport ermöglichen, aber dabei halt auch die geltenden Bestimmungen und das Fairplay durchsetzen.

Ich kann mir vorstellen, dass bei so einem grossen Anlass auch mal etwas schiefläuft
Wir Menschen machen leider manchmal Fehler. Manchmal passiert aber einfach ein Missgeschick. Wichtig ist es dann, Ruhe zu bewahren, gemeinsam Lösungen zu finden und daraus zu lernen.

Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
Wir hatten vor einigen Jahren einen Hengst, der sich nachts aus seiner Box befreien konnte und dann ein paar Boxen weiter eine Stute besuchen wollte. Was genau geschah, konnte bis heute nicht ganz geklärt werden. Seither ist der CSIO eines der wenigen Turniere mit einer professionellen 24-Stunden-Videoüberwachung im gesamten Stallbereich. Nicht zuletzt deshalb hat der Longines CSIO St.Gallen seither eine professionelle 24-Stunden-Videoüberwachung im gesamten Stallbereich.

 

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Sind Sie wie viele vom CSIO mit Pferden aufge­wachsen?
Ich kam mit 24 über einen Bekannten zum Reiten – da hat mich das Pferdevirus gepackt und nicht mehr losgelassen. Der Kollege hingegen reitet seit Langem nicht mehr.

Haben Sie eigene Pferde?
Ja, meine Ehefrau und ich haben seit über 30 Jahren Pferde bei uns zu Hause und versorgen sie selbst. Wenn ich zu Hause bin, reite ich auch täglich. Ich war 32 Jahre lang im regionalen Springsport aktiv. Vor einigen Jahren bin ich dann über meine Frau zum Westernreitsport gekommen. Dabei hat sich mir eine neue, spannende Welt eröffnet, von der ich keine Ahnung hatte. Man lernt wirklich nie aus mit Pferden. Mittlerweilen nehme ich auch hier regelmässig an Turnieren teil und geniesse die entspannte Atmosphäre.

An welchen Moment mit ihrem Pferd erinnern Sie sich besonders gerne zurück?
Ich erinnere mich an eine Begebenheit, als ich an einem OKV-Equipenspringen in Aadorf mit meinem alten «Baxter du Plant» am Rand des Springplatzes stand und zusah. Ich lehnte mich auf den Zaun und Baxter legte seinen Kopf entspannt neben mir auf den Zaun. Einigen Zuschauern muss das aufgefallen sein. Als wir dann dran waren, wechselte Baxter wie üblich in den Turbomodus und wir waren top platziert. Wir waren wirklich ein eingespieltes Team. Nach der Siegerehrung sprachen mich die Leute darauf an.

 

Was fasziniert Sie denn so an den Tieren?
Sicher die Bereitschaft dieser grossen Tiere, mit uns Menschen zusammen zu sein und zu arbeiten. Sie leben im Hier und Jetzt und spüren sofort, mit wem sie es zu tun haben. Man kann ihnen nichts vormachen. Alle haben dabei eine eigene Persönlichkeit, auf die man eingehen muss, um das Pferd für sich zu gewinnen. Und darauf sind wir Menschen angewiesen, um mit ihnen etwas zu erreichen. 

Worauf freuen Sie sich besonders am diesjährigen CSIO?
Auf das Wiedersehen und die Zusammenarbeit mit vielen Bekannten, seien dies Mitarbeiter, Pfleger oder Reiter. Und natürlich auf den hochstehenden Sport, mit der Aussicht, dass die Schweizer Equipe ihren Sieg vom letzten Jahr wiederholen kann.

Text: Miryam Koc

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