Immopuls 2023

Nach wie vor ein Mietervolk

Nach wie vor ein Mietervolk
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Ist nach einem jahrzehntelangen Anstieg bei den Häuserpreisen der Höhepunkt erreicht, werden die Preise für Wohneigentum fallen? Und wie sieht es bei den Mieten aus? Der Sonderteil «Immopuls» des LEADERs analysiert den Ostschweizer Immobilienmarkt.

Mit der erneuten Zinserhöhung Ende 2022 traten bei den Käufern von Eigentumswohnungen Verunsicherungen auf, die sich negativ auf die Nachfrage ausgewirkt haben. Diese hätte sich aber mittlerweile etwas erholt und stabilisiert, sagt Lars Ullmann, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Thoma Immobilien AG mit Hauptsitz in Amriswil. Auch im Mietsegment stelle man eine erhöhte Nachfrage fest.

Eigenheim bleibt rar

«Das Angebot an Eigentums- und Mietwohnungen blieb in den vergangenen Monaten unverändert. Die Nachfrage ist im Eigentumssegment aufgrund der steigenden Hypothekarzinsen und den damit verbundenen höheren Nebenkosten leicht gesunken. Im Gegenzug stellen wir eine zunehmende Nachfrage nach Mietwohnungen fest», bestätigen Simon Elliscasis und Janine Lekaj-Karge, Verkaufsberater bei der Fortimo AG aus St.Gallen. Die Schweiz sei ohnehin ein «Mietervölkli»; die sinkende Rentabilität von Wohneigentum begünstige den Mietwohnungsmarkt zusätzlich. Die Wohneigentumsquote blieb in den vergangenen 20 Jahren unverändert bei rund 42 Prozent, somit wohnt die Mehrheit der Schweizer zur Miete.

Knapp sei laut Daniel Romer, Geschäftsleiter der Cristuzzi Immobilien-Treuhand AG aus Widnau, hauptsächlich das Angebot bei Kleinwohnungen von bis zu 2,5 Zimmern. «Ebenfalls notorisch knapp ist das Angebot bei Einfamilienhäusern zum Kauf. Ansonsten ist der Markt aktuell weder unter noch überversorgt», so Romer.

Lars Ullmann, Simon Elliscasis, Janine Lekaj-Karge
Lars Ullmann, Simon Elliscasis, Janine Lekaj-Karge

Stadt, Land, Agglo

Gemäss dem Schweiz. Verband der Immobilien-Treuhänder (SVIT) beobachtet man in der Ostschweiz ähnliches wie in der Restschweiz: Entgegen der Prognose, dass durch vermehrtes Homeoffice eine Landflucht einsetzen werde, sei die Nachfrage nach Wohnraum in den Städten und der entsprechenden Agglomeration sehr gross.

Während Lars Ullmann diese Beobachtung teilt, sehen das Elliscasis und Lekaj-Karge anders: «Seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 geht der Trend bis heute klar weg von der Stadt und aufs Land. Kauf- und Mietinteressenten sind vermehrt auf der Suche nach Wohnraum ausserhalb der Stadtzentren.»

Für viele Mieter sei die Lage noch immer das Mass aller Dinge, aber die Kriterien hätten sich laut Lars Ullmann auch angepasst – beziehungsweise seien Käufer und Mieter kompromissbereiter geworden. «Insbesondere im Eigentumsmarkt sind die Käufer eher bereit, bei der Lage Abstriche zugunsten des Preises zu machen, damit der Traum vom Eigenheim erfüllt werden kann. Somit verzeichnen wir auch an sogenannten B-Lagen eine hohe Nachfrage.»

Weniger gefragt seien Wohnungen, die älter als 15 Jahre sind. «Respektive sind da die Preisvorstellungen der Verkäufer meist zu hoch. Käufer präferieren neuere Objekte, wenn sie diese selbst bewohnen wollen. Bei älteren Objekten werden diese zur Vermietung gekauft, was natürlich stark auf die Zahlungsbereitschaft drückt», sagt Daniel Romer.

  

«Die Wohneigentumsquote blieb in den vergangenen 20 Jahren unverändert bei rund 42 Prozent.»

Wo ist Eigenheim noch bezahlbar?

Die Preise steigen nach wie vor bei Einfamilienhäusern, speziell bei frei stehenden Objekten an guten Mikrolagen. Auch die Preise bei Neubauwohnungen sind nach wie vor leicht steigend. Da zeichne sich aber eine Seitwärtsbewegung ab, so Romer weiter.

Was ebenfalls zur Preissteigerung beitragen dürfte, ist die Bauteuerung in den vergangenen 24 Monaten: Die Baukosten sind markant gestiegen und müssen teilweise auf die Preise überwälzt werden können.

Bei Mietwohnungen sind die Preise aufgrund des restriktiven Mietrechts «zweigeteilt», erklärt SVIT-CEO Marcel Hug: «Die Steigerung bei den Bestandesmieten ist in den letzten 20 Jahren weit unter den Einkommenssteigerungen geblieben. Das heisst, der Anteil am Einkommen, der für das Wohnen ausgegeben wird, ist gesunken. Bei den Neuvermietungen sieht es anders aus: Es wirkt sich auf den Mietpreis aus, dass der Quadratmeter-Verbrauch und der Komfort (zwei Backöfen, eigener Waschturm in der Wohnung etc.) in den Mietwohnungen im gleichen Zeitraum stark zugenommen hat.»

Bei Fortimo rechnet man in den kommenden Quartalen mit einem geringeren Preisanstieg pro Quadratmeter fürs Eigentum. Besonders junge Paare haben heute Schwierigkeiten ein Haus zu finanzieren, wenn sie nicht erben oder über grössere Eigenmittel verfügen. Die Ostschweiz sei aber im Vergleich zu Hochpreiszentren wie beispielsweise Zürich und Agglomeration noch besser aufgestellt. «Es gibt nach wie vor Standorte, an welchen Neubauten günstiger als in den zentralen Lagen sind. Beispielsweise in Walzenhausen oder Schachen bei Reute. Ebenfalls bezahlbar sind oft Wohnungen mit einem Alter von 20 bis 40 Jahren. Insbesondere Wohnungen aus den 1980er-Jahren haben oft einen guten Grundriss und die Gebäude sind solide gebaut. Da gibt es immer wieder günstige Angebote bei Wohnungen, wenn auch bei solchen mit Sanierungsbedarf», heisst es bei Cristuzzi.

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Daniel Romer, Marcel Hug
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Einsprachen und Zuwanderung

Laut Lars Ullmann werde es hingegen immer schwieriger, ein passendes Grundstück zu finden. Auch seien die Preisvorstellungen der Verkäufer teils sehr hoch. «Durch die geforderte innere Verdichtung steigt bei einem Baugesuch auch das Einsprachenpotenzial. Bauprojekte werden so verzögert und die Ämter sind teils massiv überlastet, was zu Verschleppungen führt. Entsprechend kann das geforderte Angebot nicht oder erst verspätet zur Verfügung gestellt werden.»

Immer neue staatliche Auflagen verhindern, dass das Angebot angemessen ausgeweitet werden kann. Baubewilligungsverfahren dauern zu lange und sind somit zu teuer, immer restriktivere Auflagen in den Bau- und Zonenordnungen verunmöglichen laut SVIT die Verdichtung. Nicht zuletzt die investorenfeindliche Stimmung in den Städten trägt dazu bei, dass das Wohnraumangebot nicht genügend wachsen kann. Allein die Zuwanderung übertreffe den Wohnungsbau – darin nicht eingerechnet die Binnenwanderung. Dem stimmen auch die Fortimo und Christuzzi zu.

«Mikro- und Makrolage sind nach wie vor ausschlaggebend.»

Grosse Wohnung oder doch Tiny House?

Mit der Coronakrise und dem damit verbundenen Homeoffice stieg auch die Nachfrage nach grösseren Wohnungen. Dieser Trend ist nicht abgeflacht: Wo vor drei Jahren grosszügige 3,5-Zimmer-Wohnungen sehr gut nachgefragt wurden, werden heute vorwiegend 4,5-Zimmer-Wohnungen mit kompakten und durchdachten Grundrissen und einer moderaten Aussenfläche sehr gut vom Markt aufgenommen. Das Arbeiten von zu Hause hat sich bei vielen Firmen etabliert.

Doch es gibt auch einen Gegentrend, wie Daniel Romer sagt: Tiny Houses. «Diese sind sicherlich eine extreme Form, aber reduzierte Wohnformen mit hoher Flexibilität sehe ich als Trend. Diese kommen dem Zeitgeist der Nutzer entgegen und haben auch für Investoren durch ihre Flexibilität Vorteile.»

Laut Lars Ullmann werde uns auch das Thema «Wohnen im Alter» immer mehr beschäftigen. Bei den Babyboomern werde beispielsweise immer mehr der Weg aus dem Einfamilienhaus mit Garten in eine zentral gelegene, praktischere Wohnung geprüft. «Oft sind diese Personen noch sehr agil, überlegen sich jedoch: Was mache ich, wenn ich nicht mehr selbst waschen oder putzen kann?»

Elliscasis und Lekaj-Karge sind überzeugt, dass aufgrund der Bauchverdichtung kompakte Grundrisse mit Augenmerk auf die Aussenfläche unumgänglich sein werden. «Grosszügige Aussenbereiche wie Sitzplätze, Balkone, Loggien oder Terrassen werden von Käufern und Mietern gleichermassen geschätzt.»

Text: Miryam Koc

Bild: zVg

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