St.Galler Festspiele 2022

«Wissen, was man singt»

«Wissen, was man singt»
Lesezeit: 3 Minuten

Inspiriert von Friedrich Schillers Drama erzählt Giuseppe Verdis 1845 uraufgeführte Oper Giovanna d’Arco eine ganz eigene Version von Jeanne d’Arc – dem einfachen Bauernmädchen, das das französische Heer zum Sieg über die englischen Besatzer führte. Auch Chorleiter Franz Obermair musste sich innert kürzester Zeit auf die italienische statt der russischen Version der französischen Nationallegende einstellen.

«Die Oper ist mit einer Dauer von etwa zwei Stunden relativ kurz, dennoch ist es eine grosse Chorpartie, da der Chor viel Bühnenzeit hat», sagt Franz Obermair. Das ist für ihn auch etwas Besonderes an dem Stück: Trotz der Kürze gibt es viel Stoff und viel Text einzustudieren. «Meine Aufgabe ist, dass der Chor zum szenischen Probenbeginn perfekt parat ist.»

Flexibilität ist das A und O

Ursprünglich stand Die Jungfrau von Orléans von Pjotr I. Tschaikowsky auf dem Festspielprogramm. Infolge der Ukraine-Krise schwenkte das Theater St.Gallen kurzfristig auf Giovanna d’Arco von Giuseppe Verdi um. Für Obermair hiess es, mit dem Chor innert kürzester Zeit ein neues Stück einzustudieren.

«Das ist schon nicht ohne», sagt der Oberösterreicher. Die Oper von Tschaikowsky ist eine grosse Choroper auf Russisch, was für jeden Chor und Sänger eine Herausforderung sei. Die Vorlaufzeit ist entsprechend gross – zwischen einem Dreiviertel- bis zu einem Jahr. Hier war der Probenprozess praktisch abgeschlossen. Nun musste der Chor innert kürzester Zeit von vorne beginnen. «Ausser dem Namen haben die beiden Opern wenig gemeinsam», erklärt Obermair. Er sieht dies aber gelassen: «Eine gewisse Flexibilität ist im Theater immer da. Wir haben spezielle Zeiten, die besondere Herausforderungen mit sich bringen.»

«Wir wollen eine gewisse Authentizität rüberbringen, die dem Stück gerecht wird.»

Authentizität und Emotionen sind wichtig

Wenn Franz Obermair mit den Chorsängerinnen und Chorsängern des Theater St.Gallen – Profis und Laien – ein neues Werk einstudiert, ist ihm vieles wichtig: «Ein homogenes Klangbild in allen Farben, rhythmische Genauigkeit und gute Textverständlichkeit. Wir wollen eine gewisse Authentizität rüberbringen, die dem Stück gerecht wird», betont Obermair. Das Wichtigste sei, dass man wisse, was man singe, dann ergibt sich der passende Klang oft von selbst. «Ich muss auf einen Verdi ganz anders zugehen als auf einen Wagner oder Mozart, jede Epoche und Sprache ist anders», hält Obermair fest.

Und wie transportiert man Emotionen? «Musik ist grundsätzlich etwas Emotionales. In jedem Stück stecken Gefühle», sagt Obermair. Der Chor für Giovanna d’Arco bestehe aus 40 unterschiedlichen Persönlichkeiten. Hier versucht er, einen gemeinsamen Nenner zu finden. «Ziel ist, die Emotionen aller zu bündeln – da gibt es verschiedene Möglichkeiten, etwa über den Text», erklärt Obermair. «Wenn man den sprachlichen Duktus gut erwischt, kommt auch die richtige Artikulation und der Ausdruck.» Bei Giovanna d’Arco ist
von Trauer bis Freude alles dabei, das muss man authentisch transportieren.

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Homogenes Klangbild

Franz Obermair ist seit der Spielzeit 2021/22 Chorleiter am Theater St.Gallen. Ihn reizt die Arbeit mit den Sängern, die menschliche Stimme. «Ich versuche ein möglichst differenziertes Klangbild zu erarbeiten und Textverständlichkeit zu generieren, damit man im Publikum auch etwas versteht», sagt Obermair, der selbst Knabensopran war.

Für Obermair sind es die ersten St.Galler Festspiele. «Die grösste Herausforderung der Freilichtaufführung ist sicher, dass das Orchester und der Chor im Gegensatz zu einer Aufführung im Theater räumlich getrennt sind», sagt er. «Die Herausforderung ist, dass der Zuschauer dies nicht merkt», erklärt er. «Der Klosterhof hat eine eigene Akustik – das gilt es gut zu koordinieren.» Persönlich findet der 31-Jährige den Klosterplatz und die Kulisse toll.

«Ich bin gespannt darauf, wie das wirkt mit den Türmen, dem Licht, dem Ambiente – und wie das Publikum mitgeht», freut sich Obermair. In St.Gallen fühlt sich der Oberösterreicher wohl. «Eine charmante Stadt, ein Theater mit einem tollen künstlerischen Niveau – und das Ganze in einer ansprechenden Gegend, wo man schnell in der Natur ist.»

Text: Tanja Millius

Bild: Marlies Thurnheer

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