Fokus Energie 2023

Damit das Stromnetz nicht überlastet wird

Damit das Stromnetz nicht überlastet wird
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Die Art und Weise, wie wir Strom erzeugen und verbrauchen, ändert sich. Daraus ergeben sich neue Anforderungen ans Stromnetz. Jürg Solenthaler, Leiter Geschäftsbereich Netz und Mitglied der Geschäftsleitung der St.Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK), erklärt, welche Herausforderungen bereits gelöst sind – und welche noch auf uns zukommen.

Jürg Solenthaler, was wurde in den vergangenen Jahren getan, um das Ostschweizer Stromnetz auf die zukünftigen Anforderungen vorzubereiten?
Bereits von 2009 bis 2014 hat die SAK eine «Zielnetzplanung» für ihr Verteilnetz gemacht und daraus die zukünftigen Netzstandards definiert. Damit wurden die Anforderungen an die Versorgungssicherheit als Rahmenbedingung für die Netzplanung festgelegt. In der Zielnetzplanung wurde die gesamte Netzstruktur überprüft, analysiert und gemäss den künftigen Bedürfnissen entwickelt. Die Umsetzung erfolgt nun laufend im Rahmen der Netzinvestitionsplanung. Bei wachsenden Anteilen an dezentraler Einspeisung, Elektromobilität und Speichertechnologien gewinnt diese Planung zunehmend an Gewicht. 

Durch die vielen dezentralen zugebauten Energieerzeugungsanlagen wird die Komplexität im Verteilnetz zunehmen.
Ja. Eine technische Herausforderung sind dabei primär die wechselnden, fluktuierenden Lastflüsse. Um die Verbraucher zuverlässig und normenkonform mit Strom zu versorgen und den erzeugten Strom abführen zu können, muss das Verteilnetz angepasst werden. Bezüglich des Zubaus von dezentralen Photovoltaikanlagen hat die SAK bereits vor einigen Jahren verschiedene Zubau-Szenarien sowie deren Auswirkungen auf ihr Niederspannungsnetz untersucht.

Was haben sie ergeben?
Sie haben gezeigt, dass kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht und die SAK-Netzinfrastruktur – nebst punktuell notwendigen Netzverstärkungen – leistungsfähig genug ist. Aufgrund der geopolitischen Lage mit ihren Auswirkungen auf die Energiepreise und -märkte hat sich der Zubau von Photovoltaikanlagen aber stark beschleunigt. Aktuell ist die SAK deshalb gefordert. Um die Photovoltaikanlagen unserer Kunden ans Netz anschliessen und dabei alle Normen sowie die Spannungsqualität einhalten zu können, sind zunehmend Netzverstärkungen notwendig. Insbesondere in den Niederspannungsnetzen sind die Herausforderungen für die Verteilnetzbetreiber gross. Deshalb erstellt die SAK aktuell eine Zielnetzplanung auf der Netzebene 7, deren Erkenntnisse dann in die Netzstandards einfliessen werden.

 

  
Jürg Solenthaler
Jürg Solenthaler

Mit zu dieser Dezentralisierung tragen hauptsächlich erneuerbare Energien bei. Wie hat sich ihr Anteil im Netz in den vergangenen Jahren entwickelt?
Der Anteil an erzeugter Stromproduktion mit erneuerbaren Energien im Versorgungsgebiet der SAK hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Per Ende 2022 waren dies rund 4100 Photovoltaik-Anlagen mit einer installierten Gesamtleistung von rund 70 Megawatt (MW).

Wie viel Strom kommt schon heute aus Kundenanlagen?
Der Anteil an der Strombeschaffung für die grundversorgten SAK-Kunden aus Rücklieferungen von im Netz installierten Kundenanlagen (Wasserkraft- und Photovoltaik-Anlagen) beträgt rund sieben Prozent (42 Gigawattstunden). Der Anteil durch eigene Kraftwerke oder Beteiligungen (Wasserkraftwerke, Photovoltaik) liegt bei rund 15 Prozent (93 Gigawattstunden). Und am Markt beschaffen wir rund 78 Prozent (475 Gigawattstunden).

Mit der Elektrifizierung der Mobilität steigt nicht nur der Strombedarf, sondern wird auch das Verteilnetz stärker belastet, oder?
Natürlich. Entscheidend dabei ist das Ladeverhalten der Kunden. Hauptherausforderung für die SAK als Verteilnetzbetreiber ist eine hohe Bezugsleistung mit hoher Gleichzeitigkeit – die Lösung eine Staffelung der Ladeleistung «so schnell wie nötig – nicht so schnell wie möglich». Vor allem bei gleichzeitiger Ladung vieler Fahrzeuge mit hoher Leistung können hohe Leistungsspitzen und Netzbelastungen oder sogar Überbelastungen entstehen, insbesondere auf der Niederspannungs-Netzebene.

 

«Die Digitalisierung spielt bei der Weiterentwicklung des Verteilnetzes eine grosse Rolle.»

Und was tun Sie dagegen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: einerseits der Ausbau der Stromnetze, andererseits ein netzoptimiertes Lademanagement mit intelligenten Steuerungen mit Leistungsbegrenzungen bzw. zeitlicher Steuerung/Verschiebung der Lastspitzen oder eine Kombination mit Eigenstromproduktion.

Im Rahmen verschiedener Diplom- und Projektarbeiten hat die SAK die zukünftigen Anforderungen an ihre Netzinfrastruktur aufgrund der Entwicklung der Elektromobilität untersucht. Was ist dabei herausgekommen?
Netzsimulationen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten mit verschieden hohem Mobilitätsanteil haben gezeigt, dass aufgrund der aktuellen Entwicklung bis 2035 keine generellen Netzverstärkungen notwendig sind. Trotzdem hat die SAK erste Massnahmen umgesetzt – etwa die Erfassung sämtlicher Ladestationen im Netzinformationssystem für eine periodische Überprüfung der Lastentwicklung.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der zukünftigen Entwicklung des Ostschweizer Stromnetzes?
Eine sehr grosse! Deshalb wurde sie in den letzten Jahren auch im Netzbereich stetig ausgebaut. Einerseits bei den technischen Infrastrukturen wie Schutz- und Leittechnik, aber auch durch den Einsatz prozessunterstützender Systemem für medienbruchfreie mobile Prozesse und Unterstützung unserer Monteure bei der täglichen Arbeit. Immer wichtiger werden für die Planung und den Netzbetrieb relevante Netzdaten, Informationen und Applikationen für Netzmonitoring und Prognosen, um beispielsweise Netzengpässe systemunterstützt möglichst automatisiert und frühzeitig erkennen zu können. Die SAK hat deshalb in den letzten Jahren ihr Netzinformationssystem umfassend digitalisiert.

Was kann dieses Netzinformationssystem?
Es überprüft etwa die Vorgaben für Sicherungsauslösungen mittels automatisierter Analyse der Nullungsbedingungen. Weiter erfolgt täglich pro Netzanschluss eine automatisierte Berechnung der maximalen restlichen Einspeiseleistung für eine Photovoltaikanlage sowie der maximal möglichen Anlaufströme motorischer Verbraucher. Mit dem dynamischen Netzmonitoring werden Lastflüsse und Betriebsmittelzustände ermittelt und damit deren Aus- und Überlastung überprüft.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: istock, zVg

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