Zwischen Unsicherheit und Zuversicht

Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell zeigt in der Ostschweiz fürs zweite Quartal «zarte Erholungssignale», etwa bei Bestelleingängen und Auslastung. Wie ist die Stimmung bei den Tech-Firmen im Rheintal? Gespräche zeigen: Die Lage bleibt angespannt – ist aber von bemerkenswerter Resilienz geprägt.
«Von Erholung zu sprechen, scheint mir verfrüht», sagt Klaus Brammertz, Präsident des Arbeitgeberverbands Rheintal. Seine Eindrücke seien sehr unterschiedlich: In exportstarken Industriebetrieben werde auf nachhaltig positive Signale gewartet. Gleichzeitig stocke der Auftragseingang beim Binnenmarkt-orientierten Gewerbe nun auch. Jens Breu, CEO von SFS, pflichtet bei: «Wir sehen noch keine Erholung. Die Unsicherheiten nahmen nochmals deutlich zu.»
Der Arbeitgeberpräsident sieht die Region dennoch solide aufgestellt: «Die generelle Zufriedenheit ist immer noch ordentlich – wir können nach Spitzenjahren auch mal Dämpfer verdauen.» Eine Unsicherheit treibe alle um: «Heute ‹hü› und morgen ‹hott› ist Gift für Unternehmer. Endet der Ukraine-Krieg bald? Mit welchem Dekret kommt Donald Trump als Nächstes?»
«Wir sehen noch keine Erholung. Die Unsicherheiten nahmen nochmals deutlich zu.»
Gegenwind hält an
Dominik Arnold, CEO von Coltene, sieht insbesondere in Nordamerika eine fragile Nachfrage: «Menschen investieren jetzt eher in Produkte mit erwarteten Preissteigerungen und sparen an anderer Stelle. Im Dentalbereich bleiben notwendige Behandlungen zwar stabil, aber nicht dringende Eingriffe werden zunehmend verschoben werden.» Auch Icotec-CEO Roger Stadler zeichnet ein differenziertes Bild: Einerseits wächst das Unternehmen mit innovativen Wirbelsäulenimplantaten rasant – rund 50 Prozent Umsatzwachstum im Vergleich zum Vorjahr. Andererseits: «Die Zollpolitik ist eine grosse Herausforderung – vor allem im Hinblick auf Liquiditätsplanung und Businessplan.»
«Bei Oertli Instrumente bleibt die Nachfrage gut und stabil», sagt Co-CEO Thomas Bosshard. Die Augenchirurgie sei konjunkturresistenter als andere Medtech-Segmente. Der Wettbewerb nehme aber zu. Wenig beeindruckt von den aktuellen Unsicherheiten gibt sich VAT-CEO Urs Gantner: «Für 2025 erwarten wir ein zweistelliges Umsatzwachstum und gehen auch in den Folgejahren von einem Wachstum aus, das über dem gesamtwirtschaftlichen Trend und dem Marktniveau liegt – bei gleichzeitiger Berücksichtigung der üblichen Zyklizität.» Bosshard und Gantner nennen die Frankenstärke als hartnäckige Herausforderung.
Dauerthema Franken
Die Stärke des Schweizer Franken wird zum permanenten Störfaktor. «Das Umsatzwachstum von Coltene sieht in lokalen Währungen besser aus als in Franken», sagt Arnold. Thomas Bosshard von Oertli Instrumente formuliert es so: «Der stärkste Kostentreiber ist der Wechselkurs. Über 90 Prozent unseres Umsatzes generieren wir im Export – der starke Franken drückt direkt auf die Marge.»
Auch bei der VAT Group, deren Umsatz zu 98 Prozent im Ausland entsteht, ist der Währungseffekt spürbar. CEO Urs Gantner bilanziert: «Unsere Einnahmen sind stark US-Dollar-lastig. Aber rund die Hälfte der Kosten fällt in Schweizer Franken an.» Dennoch blickt die VAT optimistisch auf 2025 und 2026 – gestützt durch künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Investitionen in Halbleiterfabriken für neueste Mikrochips.
«Das divers aufgestellte Rheintal ist krisensicherer als ‹monogame› Regionen.»
Geopolitische Komplexität
Ein weiterer roter Faden in allen Gesprächen ist die Zunahme politischer Einflussfaktoren. Arnold betont, wie wichtig die Logistikoptimierungen seien, wenn es um Tarifkosten gehe: «Glücklicherweise steht unsere grösste Produktion in Ohio in den USA», so der Coltene-CEO. Auch Breu sieht in der strategischen Dezentralisierung von SFS einen Wettbewerbsvorteil, um die Wirkung von Zöllen gering zu halten. SFS setze seit Jahren auf eine «Local-for-Local»-Strategie mit hoher Liefersicherheit. Er geht zudem davon aus, dass «Zölle vor allem die Produkte für Endkunden in den USA verteuern und das globale Wirtschaftswachstum hemmen – wie schon 2016 und 2017.»
Für Bosshard (Oertli Instrumente) erschwert die Tendenz zur Lokalisierung von Wertschöpfung die Rahmenbedingungen. Für ihn sind aber geopolitische Unsicherheiten viel entscheidender als Zölle: «Planbarkeit wird schwieriger, Entscheidungen müssen schneller und mit mehr Risiko getroffen werden.» Mit der Marginalisierung Europas täten sich aber auch neue Märkte auf: etwa in Indien oder im Mittleren Osten. Stadler (Icotec) wünscht sich mehr Initiative und Ideenreichtum seitens Politik – etwa durch einen erleichterten Marktzugang zu US-Medizinprodukten, wie ihn eine aktuelle Motion in Bern anstrebt.
Begründete Zuversicht
Bemerkenswert ist die Entschlossenheit, unter diesen Rahmenbedingungen nicht nur zu bestehen, sondern weiter zu investieren – in Produkte, Prozesse, Menschen. «In Grenznähe haben wir über Jahrzehnte unbändigen Kampfgeist und Ideenreichtum aufgebaut», sagt Brammertz. Das divers aufgestellte Rheintal sei krisensicherer als «monogame» Regionen.
Arnold (Coltene) weiss: «Wir haben einige der besten Produkte auf dem Markt und ein kompetentes Team.» Einen Schlüssel sieht er im digitalen Marketing und in fortwährend neuen Lösungen für die Praxis. Breu setzt bei SFS auf lokale Entscheidungskompetenz, um Chancen schnell zu nutzen. Marktspezifische Diversifikation helfe, neues Wachstum zu erschliessen. Bosshard will den Herausforderungen konkret mit hohem Eigenfertigungsanteil sowie Investitionen in Automatisierung und Skalierung begegnen. «So strebt Oertli Instrumente weiterhin ein gesundes organisches Wachstum an.»
Für Icotec prognostiziert CEO Stadler gar ein beschleunigtes Wachstum. So bleibt dessen Finanzierung eine Herausforderung – doch das seien «schöne Sorgen». Von einer «graduellen Beschleunigung des Geschäfts» spricht auch Gantner. Die VAT sei dank genügender Produktionskapazitäten in der Schweiz und Malaysia dafür bereit. Auch Arnold sieht weiterhin Wachstumspotenzial: «Unsere Herausforderung ist, fortwährend Innovationen zu entwickeln, die Zahnärzten Mehrwert bieten.»
«Der öffentliche Verkehr und die Ausbildungslandschaft sind wichtig, um den Standort attraktiv zu halten.»
Bildung, Fachkräfte, Standort
Dauerthema bleibt auch der Fachkräftemangel. Brammertz weiss: «Nach wie vor ist es sehr schwer, hochqualifizierte Leute zu finden – obwohl einige Unternehmen sogar Arbeitsplätze abbauen müssen.» Er plädiert für mehr Ausbildungsengagement: «Es gibt noch zu viele Unternehmen, die nicht selbst ausbilden – das ist unverständlich.» Zudem sei die Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen ausbaufähig – insbesondere mit Berufsschulen und der Fachhochschule. Dennoch bleibt Brammertz überzeugt vom Standort: «Unser Slogan ‹Guter Job und gutes Leben› wird täglich mit Inhalten gestützt.»
Nüchterner Optimismus
Die CEOs teilen Brammertz Optimismus. Die Qualität des Arbeitsumfelds, die hohe Lebensqualität und die industrielle Dichte bleiben Stärken. Aber sie müssen gepflegt, verteidigt und weiterentwickelt werden. «Der öffentliche Verkehr und die Ausbildungslandschaft sind wichtig, um den Standort attraktiv zu halten», sagt VAT-CEO Gantner.
Die Stimmung im Tech Valley Rheintal ist von nüchternem Optimismus geprägt – auch dank hoher Anpassungsfähigkeit. Bosshard ist überzeugt, wer schnell, präzise und kundennah agiert, könne auch jetzt wachsen. «Risiken agil managen und Chancen schnell nutzen», nennt es Arnold.
Text: Pascal Tschamper
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer, zVg