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«Bei der Windkraft sind wir Entwicklungsland»

«Bei der Windkraft sind wir Entwicklungsland»
Dieter Strohm
Lesezeit: 4 Minuten

Dieter Strohm, Präsident des Vereins Pro Wind St.Gallen-Appenzell, räumt im Interview mit Mythen rund um Windenergie auf und erklärt, warum die Ostschweiz ein riesiges, bislang ungenutztes Potenzial hat.

Dieter Strohm, Windkraft hat in der Schweiz keinen leichten Stand – warum engagieren Sie sich trotzdem mit voller Überzeugung für diese Energieform?
Um dem vom Menschen verursachten Klimawandel entgegenzuwirken, müssen wir die Nutzung fossiler Energieträger massiv reduzieren. Die Technologien sind vorhanden – E-Mobilität, Wärmepumpen, elektrifizierte Industrieprozesse. Dafür braucht es künftig deutlich mehr Strom.

Heisst das: mehr Stromproduktion in der Schweiz?
Genau. Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern, müssen wir auf Wasserkraft, Photovoltaik und Windkraft setzen. Gerade bei der Windenergie haben wir enormen Nachholbedarf.

Wie sieht die Bilanz aktuell aus?
Während Wasserkraft und Photovoltaik bereits substanziell ausgebaut sind, bleibt Windkraft stark zurück: Wir nutzen nicht einmal ein Promille des realistischen Potenzials. Besonders gravierend ist das, weil Windenergie zu zwei Dritteln im Winter Strom liefert – also genau in jener Zeit, in der wir am meisten darauf angewiesen sind. Während unsere Nachbarländer längst vorangehen, treten wir in diesem Bereich auf der Stelle. In diesem Sinne ist die Schweiz ein Entwicklungsland in Sachen Windkraft.

«Windenergie liefert Strom genau dann, wenn wir ihn brauchen: im Winter.»

Viele sagen, Windenergie lohne sich in der Schweiz gar nicht. Stimmt das?
Nein, das ist schlicht falsch. Es gibt zahlreiche Standorte mit sehr guten Windverhältnissen. Die Kantone prüfen in ihren Richtplänen sorgfältig, welche Flächen sich eignen – unter Berücksichtigung von Natur- und Landschaftsschutz. 

Wie wird sichergestellt, dass ein Projekt tatsächlich wirtschaftlich ist?
Bevor konkrete Planungen erfolgen, werden mindestens zwölf Monate lang Windmessungen durchgeführt. Nur wenn die Werte stimmen, wird weiter investiert. Zudem zeigen zahlreiche Beispiele aus Süddeutschland, Österreich – und auch aus der Schweiz –, dass sich moderne Anlagen sehr wohl rechnen.

Das Argument der «Verspargelung» ist ebenfalls weitverbreitet. Wie gehen Sie damit um?
Windräder beeinflussen das Landschaftsbild – das bestreitet niemand. Aber sie stehen für eine unabhängige, klimaneutrale Energieversorgung. Und sie sind rückbaubar. Nach 25 Jahren können sie vollständig entfernt werden.

Abacus  enespa  

Sehen Sie andere Infrastrukturen als problematischer?
Ja, unbedingt. Skigebiete, Autobahnen oder Hochspannungsleitungen prägen die Landschaft oft viel stärker. Die Gegner arbeiten zudem häufig mit überzeichneten Visualisierungen, die ein verzerrtes Bild erzeugen.

Ein weiteres Gegenargument ist der Lärm. Wie realistisch ist das?
Moderne Anlagen sind deutlich leiser und unterliegen strengen Lärmvorschriften. Zudem laufen Windräder nur bei Wind – also bei Bedingungen, die ohnehin andere Umgebungsgeräusche mit sich bringen.

Was empfehlen Sie Menschen mit Bedenken?
Am besten macht man sich selbst ein Bild. Ich empfehle allen, einen bestehenden Windpark aus der Nähe anzusehen. Die reale Erfahrung ist oft eine ganz andere als das Bild, das in Debatten oder Visualisierungen vermittelt wird. Viele erkennen vor Ort, wie leise und unaufdringlich moderne Anlagen tatsächlich sind.

Wasserkraft gilt in der Schweiz als tragende Säule. Wozu braucht es da noch Windenergie?
Wasserkraft ist zweifellos wichtig, doch das Ausbaupotenzial ist begrenzt. Photovoltaik produziert primär im Sommer. Windenergie hingegen liefert im Winter – und ergänzt die anderen Technologien ideal. Ein kluger Energiemix nutzt die Stärken aller erneuerbaren Quellen.

Wie gross ist das Potenzial in der Ostschweiz?
Im Kanton St.Gallen liegt das Windstrompotenzial bei rund 300 GWh pro Jahr, in Appenzell Ausserrhoden bei 120 GWh und in Appenzell Innerrhoden bei 15 GWh. Das ist eine relevante Strommenge – vor allem, weil etwa zwei Drittel davon im Winter anfällt. Damit kann Windkraft einen gezielten Beitrag leisten, um die Winterstromlücke zu verringern und die Versorgungssicherheit in der Ostschweiz zu erhöhen.

Wie steht es um die Auswirkungen auf Tiere?
Der Schutz von Vögeln und Fledermäusen ist Teil jeder Umweltprüfung. Wo nötig, werden Betriebszeiten eingeschränkt oder Anlagen bei bestimmten Bedingungen abgeschaltet. Studien zeigen, dass sich Auswirkungen so stark reduzieren lassen.

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Was braucht es für die Umsetzung?
Es braucht klare politische Rahmenbedingungen, langfristige Planungssicherheit und eine konsequente Umsetzung der Energiestrategie 2050. Ebenso entscheidend ist ein faktenbasierter, offener Dialog – ohne Mythen und Polarisierung. Je früher Gemeinden und Bevölkerung eingebunden sind, desto grösser ist die Chance, dass Windkraftprojekte mitgetragen werden.

Welche Fehlinformationen begegnen Ihnen am häufigsten?
Sehr oft höre ich die Annahme, Windkraft lohne sich nicht. Hinzu kommen falsche Aussagen über Gesundheitsrisiken, Lärm oder Landschaftsschäden. Viele dieser Mythen werden gezielt gestreut, um fossile Interessen zu schützen. Wir setzen auf Fakten – und auf Erfahrungen aus der Schweiz und Europa.

Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung?
In erster Linie konstruktive Offenheit. Verunsicherung ist normal, darf aber nicht in eine Blockadehaltung führen. Die Erfahrung zeigt: Wo gut informiert wird und die Bevölkerung mitreden kann, entstehen mehrheitsfähige Projekte. In vielen Regionen wie Chur GR oder Charrat VS wurden Windprojekte mit grosser Mehrheit angenommen – weil sie verständlich erklärt und gut kommuniziert wurden.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: zVg

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