«Nicht so prekär wie in Zürich, aber…»

Elias Zürcher beobachtet den Immobilienmarkt seit Jahren aus nächster Nähe. Er weiss, welche Immobilienarten aktuell am stärksten nachgefragt werden, welche Standorte Potenzial haben, wo Investoren mit Herausforderungen rechnen müssen – und welche Trends die Zukunft bestimmen werden. Besonders gefragt sind derzeit Mehrfamilienhäuser mit minimalem Erneuerungsbedarf und maximaler Rendite aufgrund der nachhaltigen Preisstruktur der Mietwohnungen. «Und selbstverständlich wird auch weiterhin selbst bewohntes Wohneigentum sehr gefragt bleiben – vorzugsweise Einfamilienhäuser», erklärt Zürcher.
In der Ostschweiz seien die Unterschiede zwischen Stadt und Land längst nicht so prekär wie in Zürich. «Mehrfamilienhäuser mit reiner Wohnnutzung findet man oft in ländlichen Regionen, während die Anlageobjekte in den Stadtzentren typischerweise über Mischnutzung verfügen – nebst ein paar Wohnungen auch Büro- und Gewerbeflächen. Diese Art von Mietflächen ist in St.Gallen weniger gefragt, entsprechend wird von den anspruchsvollen Investoren hierfür auch mehr Rendite erwartet.»
«Heute wohnt der Schweizer auf 47 Quadratmetern pro Person, exakt gleich viel wie vor 100 Jahren.»
Rheintal, Sarganserland und Linthgebiet mit Potenzial
Besonders dynamisch entwickle sich laut Zürcher derzeit das Rheintal, das markant aufgeholt habe und auch in den kommenden Monaten und Jahren Potenzial verspreche. «Das Appenzellerland war längere Zeit nicht besonders dynamisch unterwegs. Ich wäre aber nicht überrascht, wenn diese voralpine Region bald plötzlich wieder in Schwung kommt», sagt er. Viel Potenzial sieht er zudem in der Region Sarganserland und insbesondere im Linthgebiet mit dem Zentrum Rapperswil.
Auch die Wohnungsgrössen sind ein Thema. Familien auf dem Land fragen nach grösseren Wohnflächen, während kleine Haushalte in der Stadt tendenziell mit weniger Fläche auskommen. «Aber bei weitem nicht immer. Bisweilen sind die Vorzeichen genau umgekehrt. Es lohnt sich, genau hinzuhören und die Kundenbedürfnisse nicht über einen Leisten zu schlagen», sagt Elias Zürcher. Von politischen Ideen wie jener in Zürich, wonach ein Wohnungswechsel erzwungen werden könne, wenn eine Einzelperson zu viel Platz nutze, hält er nichts: «Derartige Vorstösse halte ich für Unsinn. Der Markt reguliert sich selbst – ohne wirtschaftsfremdes Staatseingreifen.» Interessanterweise habe sich die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in den vergangenen 100 Jahren kaum verändert: «Heute wohnt der Schweizer auf 47 Quadratmetern pro Person, exakt gleich viel wie vor 100 Jahren.»
Für Investoren liegt die grösste Chance nach Zürchers Einschätzung eindeutig in der Sanierung. «Aktuell wird in der Schweiz jährlich nur knapp ein Prozent des Gebäudebestands saniert. Das ist alles andere als nachhaltig. Wir müssten drei- bis fünfmal mehr Gebäude modernisieren, um eine zukunftsfähige Werterhaltung zu betreiben.» Chancen sieht er auch in der Revitalisierung, Modernisierung und Nachverdichtung des Gebäudebestands, aber auch in Neubauten nach vorgängiger Grundstücksarrondierung und Abbruch von Altliegenschaften. «Diese Entwicklung könnte ordentlich Fahrt aufnehmen, wenn die Baubewilligungspraxis zukunftsfähig modifiziert und gleichzeitig die Einsprachemöglichkeiten eingedämmt werden.»
Nachverdichtung als Priorität
Energieeffizienz spielt eine wichtige Rolle – allerdings mit Augenmass. «In der Energiedebatte wünschte ich mir bisweilen etwas mehr Besonnenheit und Realitätssinn», sagt Zürcher. Börsenkotierte Investoren seien heute fast gezwungen, energetischen Aspekten höchste Priorität einzuräumen, auch wenn die Wirkung einzelner Zertifikate kaum überprüfbar sei. Ihm persönlich ist eine andere Nachhaltigkeit wichtig: «Nicht unbedingt Totalabbruch, Entsorgung und ressourcenintensiver Neubau, sondern umweltschonende und sorgfältige Nachverdichtung. Kostet auf den ersten Blick vielleicht etwas mehr, dürfte aber auf die Länge sinnvoller sein.»
Auch zu den typischen Herausforderungen im aktuellen Markt nimmt er Stellung. Die Ostschweiz habe zwar etwas höhere Leerstandsquoten als der schweizweite Durchschnitt, stehe aber im Vergleich zum nahen Ausland gesund da. «Ungesund ist hingegen ein zu tiefer Leerstand wie in Zürich. Auf die daraus entstehenden Exzesse kann ich gerne verzichten. Die Ostschweiz wird von anderen Regionen beneidet für ihre bodenständige und gesunde Entwicklung. Wir können stolz sein auf unsere Lebensqualität in unserer wunderschönen Ostschweiz.»
Gestiegene Bau- und Betriebskosten nimmt Elias Zürcher pragmatisch: «Sich darüber aufzuregen, nützt nichts. Klüger ist, es gelassen hinzunehmen und zu ändern, was man ändern kann – durch sorgfältige Planung, nutzungsorientierte Grundrisskonzepte und nachhaltige Haustechnik.»
«Wir müssten drei- bis fünfmal mehr Gebäude modernisieren, um eine zukunftsfähige Werterhaltung zu betreiben.»
Demografie mit Nachfrage kombinieren
Die demografische Entwicklung wird die Nachfrage stark beeinflussen. «In gut 20 Jahren werden die 65-Jährigen voraussichtlich rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Wenn das mal keinen Einfluss auf die Nachfrage der Wohnbedürfnisse haben wird! Klar müssen wir umdenken, neu denken. Diese Entwicklung haben einige Marktplayer sehr wohl auf dem Radar. Und andere werden nachziehen müssen.»
Für die kommenden Jahre sieht Zürcher primär zwei zukunftssichere Investitionsfelder: Immobilien, die gezielt auf die demografischen Veränderungen eingehen, und energieeffiziente Mehrfamilienhäuser mit smarten Mietwohnungen und moderaten Mietzinsstrukturen. «Und wenn man diese beiden Aspekte geschickt miteinander kombiniert, macht man einiges richtig», so Zürcher.
Ausserdem zukunftsfähig blieben zudem klug konzipierte und modular gebaute Logistikimmobilien – vorausgesetzt, sie sind verkehrstechnisch optimal erschlossen.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer