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Einsprachen: Vom Schutzinstrument zur Wachstumsbremse

Einsprachen: Vom Schutzinstrument zur Wachstumsbremse
Mathias Tschanen ist Inhaber und Geschäftsführer der Tschanen Gruppe in Müllheim
Lesezeit: 4 Minuten

Einsprachen blockieren vielerorts Bauprojekte, verteuern das Wohnen und schrecken Investoren ab. Abschaffen sollte man sie nicht – Partizipation und Rechtsschutz gehören zur direkten Demokratie. Damit Einsprachen aber nicht zunehmend zur strategischen Waffe zweifelhafter Interessen werden, sollte das Instrument reformiert werden, wie Bauunternehmer Mathias Tschanen im Gespräch erklärt.

Was einst als wichtiges Korrektiv im Bauprozess gedacht war, ist heute vielerorts zur Blockadetaktik verkommen. Eine Reform ist gefragt – nicht um Einsprachen abzuschaffen, sondern um sie wieder zu dem zu machen, was sie sein sollten: ein sinnvolles Instrument für mehr Qualität und Fairness im Planungsprozess.

Wichtiger Pfeiler der Demokratie – mit Rissen

Einsprachen gehören zum schweizerischen Bauwesen wie der Baukran zur Skyline – und das ist grundsätzlich auch gut so. Denn Partizipation und Rechtsschutz sind tragende Säulen unserer direkten Demokratie. Wer vom Bau eines neuen Gebäudes betroffen ist, soll sich wehren dürfen. «Einsprachemöglichkeiten gehören zu den Grundrechten von uns allen», sagt Bauunternehmer Mathias Tschanen, Inhaber der Tschanen Gruppe. Der Präsident des Thurgauischen Baumeisterverbands sitzt für die SVP im Grossen Rat. «So kann man sich bei Fehlern oder Versäumnissen einbringen und schützen.»

Doch was in der Theorie als Mitspracherecht gedacht war, wird in der Praxis zunehmend zum strategischen Hebel. Die Zahl der Einsprachen nimmt zu – und mit ihr die Missbrauchsfälle. Tschanen beobachtet eine klare Entwicklung: «Vielfach wird Einsprache erhoben, ohne dass ein echtes Interesse oder eine fundierte Kenntnis des Projekts besteht.»

Zwischen Ideologie und Erpressung

Die Motive für Einsprachen sind heute so vielfältig wie fragwürdig. Manche Gegner handeln aus politischer Überzeugung, andere aus persönlichem Frust oder schlicht mit dem Ziel, sich finanziell abgelten zu lassen. Besonders problematisch: Auch Organisationen, die kaum direkt betroffen sind – wie Umweltverbände oder sogar ausländische Gemeinden – mischen sich in die Verfahren ein.

«Ich erinnere mich an ein Outletprojekt, gegen das sich sogar deutsche Gemeinden zur Wehr setzten», so Tschanen. Noch problematischer seien jedoch professionelle Einsprecher, die über Rechtsschutzversicherungen agieren, um gezielt Druck auszuüben. «Sie treiben es vielfach auf die Spitze und geniessen die Verzögerungstaktiken auf allen Seiten.» Statt frühzeitig das Gespräch mit Bauherrschaften zu suchen, landet das Dossier direkt beim Anwalt. Die Folge: lange Verfahren, verhärtete Fronten – und letztlich keine Gewinner. «Einsprachen haben nicht nur ihren finanziellen Preis. Verzögerungstaktiken und Erpressungen führen vielfach auf beiden Seiten nur zu Verlierern.»

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Jahre der Unsicherheit – und steigende Kosten

Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung sind gravierend. «Alle reden von steigenden Baukosten – dabei sind die Einsprachen und die masslosen Überregulierungen ein wesentlicher Teil des Problems», weiss Tschanen. Der Weg durch alle Instanzen dauert oft Jahre. In dieser Zeit fallen Anwalts- und Gerichtskosten an, teils auch Entschädigungen oder Nutzungsausfälle. Diese Kosten schlagen am Ende direkt auf die Preise durch – Mietende und Käuferschaft zahlen mit. In einem Umfeld, in dem Wohnraum knapp und Wohneigentum für viele unerschwinglich wird, ist das ein fatales Signal. Es entmutigt Investoren, lähmt die Bautätigkeit und verschärft den Wohnungsmangel.

Verfahren mit Reformbedarf

Dass die aktuelle Praxis das ursprüngliche Ziel des Instruments verfehlt, liegt für Tschanen auch an strukturellen Problemen. «Die finanzielle Hemmschwelle ist viel zu tief», sagt er. «Würde man eine moderate Verfahrensgebühr einführen, würde das sofort für mehr Ernsthaftigkeit sorgen.»

Ein weiterer Vorschlag: Eine verbindliche Vorprüfung der Einsprache durch eine neutrale Instanz. «Wichtig ist, dass man sich auf diese Vorprüfung verlassen kann – und dass sie im weiteren Verfahren Bestand hat.» Ebenfalls notwendig sei ein Verbot, Einsprachen finanziell abzugelten. «Das öffnet Tür und Tor für eine Kultur der Erpressung», warnt Tschanen.

Behörden im Dauerstress

Auch auf Seite der Verwaltung läge einiges im Argen. «Die Behörden sind oft überfordert, die Verfahren dauern viel zu lange», sagt Tschanen. Er plädiert für einfachere Prozesse, mehr Mut zu klaren Entscheiden – und eine gezielte Entlastung der Verwaltung. Besonders die frühe Phase im Bewilligungsprozess sei überfrachtet: «Vielfach verlangen Gemeinden schon in der Konzeptphase zu viele Details und mischen sich in Gestaltungsfragen ein, die gar nicht in ihren Kompetenzbereich gehören.»

Die Digitalisierung könne helfen, Abläufe zu beschleunigen, aber sei kein Allheilmittel. «Ich sehe die Digitalisierung eher als Ergänzung – nicht als Gamechanger», so Tschanen.

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Wer handeln muss – und wie

Damit sich etwas ändert, brauche es politischen Willen. «Die gesetzgebenden Behörden – also Bund, Kanton und Gemeinden – müssen die Einsprachemöglichkeiten überarbeiten und den heutigen Gegebenheiten anpassen», fordert Tschanen. Die Einsprachelegitimation müsse klarer gefasst werden, auf direkt Betroffene beschränkt. Zugleich müsse man die Rolle der Einsprecher neu definieren: nicht als Gegner eines Projekts, sondern als konstruktive Stimme. «Wir sollten uns wieder auf die Entwicklung unserer Wohnräume konzentrieren – nicht auf deren Verhinderung.»

Zeit für einen neuen Konsens

Einsprachen sind unverzichtbar – aber sie müssen mit Verantwortung genutzt werden. «Es geht nicht darum, das Einsprachewesen abzuschaffen», sagt Tschanen. «Sondern darum, es wieder auf seinen ursprünglichen Zweck zurückzuführen.» Partizipation ja – aber mit Augenmass. Nur so gelingt die Balance zwischen Mitwirkung und Machbarkeit, zwischen Schutz und Fortschritt. Wenn Einsprachen wieder als ernstzunehmendes, aber nicht missbrauchbares Werkzeug wahrgenommen werden, gewinnen alle: Investoren, Gemeinden – und nicht zuletzt die Menschen, die auf neuen, bezahlbaren Wohnraum warten.

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