CSIO 2022

Mit dem «Unreitbaren» zum EM-Titel

Mit dem «Unreitbaren»  zum EM-Titel
Riccarda Wenger päppelte Campari Z auf.
Lesezeit: 4 Minuten

Wäre diese Geschichte nicht wahr, hätte sie auch aus der Feder von Walt Disney stammen können: Ein wildes Pferd wird von Ort zu Ort, von Ausbildner zu Ausbildner geschickt, weil es als unbelehrbar gilt. Doch dank des unermüdlichen Einsatzes von Riccarda Wenger und Elian Baumann wird aus Campari Z ein Shootingstar, der besonders am CSIO St.Gallen glänzte.

Aber von Anfang an: Schon in den ersten Augenblicken meinte es das Leben mit Campari Z nicht wirklich gut. Die essenzielle Biestmilch wurde dem braunen Fohlen verwehrt, und so musste es für zwei Wochen ins Tierspital. Danach sollte es bei einer Züchterfamilie in Belgien als Nachfolger seiner Mutter zum Hobby-Springpferd der Tochter werden, weshalb es in Beritt gegeben wurde. Es stellte sich heraus, dass Campari Z sehr schwer zu reiten war; die Züchterfamilie versuchte es bei fünf verschiedenen Ausbildnern – alle blieben erfolglos. Auch Tierärzte konnten sich nicht erklären, was mit dem Pferd los war, und Campari Z wurde mit sieben Jahren verkauft.

«Entweder drehte er durch oder blockierte.»

Liebe auf den ersten Blick

In einem Stall in Bern traf Hobbyreiterin Riccarda Wenger im Dezember 2014 zum ersten Mal auf das braune Pferd mit der weissen Schnauze. «Er hat mir auf Anhieb gefallen», sagt Wenger. Doch weil auch die damaligen Reiter Mühe mit ihm hatten, wurde er nach Italien zu einem Profispringer verkauft – und erneut blieben Erfolge aus. Also beschloss Wenger 2015, das Pferd unter ihre Fittiche zu nehmen. «Ich wollte eigentlich kein weiteres Pferd kaufen, aber bei Campari Z konnte ich nicht anders», so Wenger. Vom Gefühl getrieben, dass in Campari Z mehr steckt, päppelte sie das gebrochene Pferd wieder auf, ritt es täglich aus, verlor beinahe die Geduld, aber blieb am Ball. Campari Z liess sich auf kurze Springtrainings ein. «Das grösste Problem war seine Unruhe. Entweder drehte er durch oder blockierte. Für mich wurde er ausserdem zu stark.» Also machte sie sich auf die Suche nach einem Reiter, der es mit Campari Z aufnehmen konnte, und wendete sich an den Solothurner Elian Baumann, der bereits als Kind auf Wengers Pferden ritt.

Kein einfacher Start

Die Zusammenarbeit gestaltete sich zunächst holpriger als gewünscht: «Campari Z war wirklich unrittig», sagt Elian Baumann. Auch Riccarda Wenger erinnert sich noch gut an die erste Begegnung der beiden: «Obwohl Elian meinte, dass er Campari Z nicht reiten könne, rief ich ihn nach 14 Tagen einfach nochmals an – und überredete ihn.» So begann das neue Duo, intensiv zu trainieren. Der 33-Jährige zeigte sich überrascht, dass das Pferd doch mehr konnte, als es zunächst schien. «Campari Z hatte nicht das beste Nervenkostüm und deshalb war es sehr wichtig, zu spüren, was er braucht», so der Springreiter. «Er benötigte sehr viel Zeit und Geduld.» Die Arbeit schien sich auszuzahlen, Campari Z machte grosse Fortschritte, konnte seine Kraft richtig einsetzen. Es folgten die ersten nationalen und bald internationalen Turniere. Auch die Züchterfamilie von Campari Z wurde dank eines Youtube-Videos, welches Riccarda Wenger online stellte, auf das Pferd aufmerksam. «Die Familie hatte nach dem Pferd gesucht und konnte mich dank des Videos finden. Sie sind extra in die Schweiz gereist, um Campari Z zu sehen. Sie waren überglücklich! Das hat mich natürlich auch sehr stolz gemacht», sagt Wenger.

  

Campari Z wird zum Shootingstar

2018 absolvierte Baumann mit ihm Turniere in Italien und bekam eine Startmöglichkeit am 4*-Turnier in Crans-Montana, wo die beiden eine Prüfung der grossen Tour über 1,50 m gewannen. Danach folgte Marokko, wo sie ihren ersten Nationenpreis bestritten und mit vier und null Strafpunkten den Sieg mit der Equipe feierten. Auch in den weiteren Jahren kamen Erfolge dazu, wie der dritte Platz beim Grand Prix auf 5*-Niveau in Ascona. Am CSIO 2021 in St.Gallen belegten die beiden dann den sensationellen sechsten Platz beim Grand Prix und sorgten international für Aufmerksamkeit. Es folgte der Nationenpreis-Sieg in La Baule (F), der Sieg beim GP von Gorla Minore (I) und als Krönung das Aufgebot für die EM in Riesenbeck (D), wo sich Elian Baumann und Campari Z den Team-Titel holten. «Das sind Erfolge, die ich mir zu Beginn nicht hätte erträumen können. Ich verdanke Campari Z einen grossen Teil meiner Karriere, aber auch Riccarda Wenger und Hans Grunder, dessen Stall und hervorragende Infrastruktur mir zur Verfügung sehen», so Baumann. 2017 hat er sich mit seiner Partnerin Natalie Donski selbstständig gemacht. Sie bilden heute zwischen acht bis zwölf Pferde in Rüegsauschachen BE aus.

Den Erfolg wiederholen

Auch dieses Jahr startet Elian Baumann mit Campari Z am Longines CSIO St.Gallen. «Im eigenen Land zu springen, ist immer ein Highlight. Wir hoffen natürlich, dass wir den Erfolg vom letzten Jahr wiederholen können.» Für Baumann hat das Pferd aber schon jetzt alle Erwartungen übertroffen – auch wenn Olympia 2024 in Paris die endgültige Krönung für Campari Z wäre, der dann mit 17 in den Ruhestand gehen könnte. «Das wäre natürlich ein Highlight. Aber bei mir steht das Tierwohl an erster Stelle und ich wünsche mir, dass Campari Z uns noch lange und gesund erhalten bleibt. Alles andere ist nur ein schöner Zusatz.»

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