St.Galler Festspiele 2025

Zwischen Trauerfeier und Streitkultur

Zwischen Trauerfeier und Streitkultur
Johanna Böckli
Lesezeit: 2 Minuten

An den Festspielen St.Gallen inszeniert Regisseurin Johanna Böckli die neue Gesellschaftskomödie der «Extrawurst»-Autoren «Kalter weisser Mann» – ein bitterböser Spiegel aktueller Debatten mit viel Humor und Tiefgang.

Mit der Komödie «Kalter weisser Mann» von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob rücken die Autoren aktuelle Themen wie Gendergerechtigkeit, Sprachsensibilität und gesellschaftliche Polarisierung in den Mittelpunkt. Dabei setzt sie auf kluge Pointen, präzises Schauspiel und eine Inszenierung, die zum Lachen wie zum Nachdenken anregt. «Die Frage der sozialen Gleichstellung begleitet mich schon lange», sagt Böckli. «Auch in meiner Familie diskutieren wir etwa über gendergerechte Sprache – da gehen die Meinungen stark auseinander. Ich denke, das ist beim Publikum nicht anders.»

Die Handlung spielt während einer Trauerfeier, bei der sich die Führungsetage eines Unternehmens in einem absurd-komischen Streit über politische Korrektheit und Rollenbilder zerlegt. «Gerade weil eine Trauerfeier eigentlich kein Ort für solche Auseinandersetzungen ist, ergibt sich eine enorme Fallhöhe – und daraus entsteht grossartige Komik», erklärt Böckli. Der Humor komme nicht von oberflächlichen Gags, sondern aus den fein gezeichneten Figuren: «Die Autoren sind brillante Beobachter. Sie karikieren unsere Gesellschaft mit Schärfe und doch mit Sympathie. Man erkennt sich wieder – und lacht über sich selbst.»

Das Bühnenbild entwickelte sie gemeinsam mit Ausstatterin Corinne Rusch. «Der Spielort ist vorgegeben – eine Kirche oder Kapelle. Uns war wichtig, diesen Raum modern zu interpretieren und gleichzeitig die Architektur des Hauses Konzert und Theater St.Gallen mit einzubeziehen.

Was ihre Arbeitsweise betrifft, betont Böckli: «Jede neue Inszenierung braucht ihren eigenen Zugriff. Der Produktionsprozess ist zwar vertraut, aber mein Zugang ist immer neu. Bei ‹Kalter weisser Mann› will ich die Komödie klar zuspitzen – ohne den inhaltlichen Kern zu verlieren.»

Anders als bei «Extrawurst» wird es keine feste Publikumsbeteiligung geben: «Damals war eine Abstimmung Teil der Handlung, das hat wunderbar gepasst. Bei einer Trauerfeier sieht das ganz anders aus. Ob sich dennoch ein Moment der Interaktion ergibt, wird sich zeigen.» Auch der Einsatz von Musik bleibt zurückhaltend. «Es wird einige Toneinspieler geben, aber der Fokus liegt klar auf den Schauspielern, ihren Figuren und der Sprache. Die Wirkung soll aus dem Spiel heraus entstehen.»

Was sie sich vom Publikum wünscht? «Dass es lacht, aber auch nachdenkt. Über Sprache, über Machtverhältnisse, über Toleranz. Und dass man beim nächsten Streit vielleicht einen Schritt aufeinander zugeht.» Mit «Kalter weisser Mann» zeigt Johanna Böckli einmal mehr, wie Theater gesellschaftliche Reibung produktiv machen kann – und dabei gleichzeitig bestens unterhält.

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