St.Gallen

Verbesserungen auf den zweiten Blick

Verbesserungen auf den zweiten Blick
Jan Henric Bogen
Lesezeit: 4 Minuten

Jan Henric Bogen ist gesamtverantwortlicher Direktor des Theaters St.Gallen. Mit dem renovierten Theater kann er ein Haus eröffnen, das endlich wieder den aktuellen Anforderungen entspricht.

Jan Henric Bogen, am 22. Oktober eröffnen Sie mit Lili Elbe das renovierte Theater St.Gallen. Was überwiegt: Freude auf die neue Umgebung oder Nervosität, ob alles klappt?
Ganz klar die Freude. Auf die Eröffnung arbeiten wir seit Jahren hin, so dass wir es kaum erwarten können, bis wir das Haus für das Publikum öffnen können. Aber es wäre nicht das Theater, wenn es gar keine Nervosität gäbe. Theater ist live, da kann immer mal etwas schiefgehen.

Was ändert sich für Sie als Direktor mit der Renovation?
Wir weihen ein saniertes und erweitertes Theatergebäude festlich ein. Darauf freue ich mich allein schon deshalb, weil das in einer Karriere nur äusserst selten vorkommt. Wichtiger aber ist, dass sich die Arbeitsbedingungen für viele unserer Mitarbeitenden durch den Umbau deutlich verbessern. Das wird Auswirkungen auf unsere Produktionen haben. Mit der Renovation werden wir unseren Ruf regional, national und international weiter ausbauen können.

Und für die Schauspieler, Musiker und Menschen hinter den Kulissen?
Viele bauliche Massnahmen bleiben den meisten Gästen auf den ersten Blick verborgen, weil sie zum Ziel hatten, unsere Arbeitsbedingungen an heutige Gegebenheiten anzupassen. Die Liste der Verbesserungen ist lang, z.B. stehen unserer Requisiten- und Beleuchtungswerkstatt endlich Arbeitsräume mit Tageslicht zur Verfügung. Ausserdem wurde mehr Platz für Maske, Kostümabteilungen und Künstlergarderoben geschaffen. Den Darstellenden stehen zeitgemässe Umkleideräume mit Duschen zu Verfügung, der Chor erhielt einen akustisch an seine Bedürfnisse angepassten Probesaal, während sich auch der Einspielbereich des Orchesters verbessert hat. Und: Die Decke im Ballettsaal wurde angehoben, wodurch nun endlich auf der ganzen Fläche das Training von Sprüngen und Hebefiguren möglich ist. Was allen – Mitarbeitenden und Publikum – zugutekommt, sind die akustischen Verbesserungen im Saal.

Sie haben sicher auch eine künstlerische Vision für das Theater St.Gallen.
Natürlich. Konzerte und Theatervorstellungen finden niemals im luftleeren Raum statt; sie sind mit der Gegenwart ihrer Aufführung verknüpft. Theater muss für mich daher ein Spiegel der Zeit und Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein. Mir ist wichtig, dass Konzert und Theater St.Gallen diese Funktion in den Produktionen verdeutlicht, d.h. wir wollen relevante Debatten anstossen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns von einem liebgewordenen Kanon verabschieden, denn auch Klassiker sind in der Lage, unsere Gegenwart kritisch zu befragen.

 

«Viele bauliche Massnahmen bleiben den meisten Gästen auf den ersten Blick verborgen, weil sie zum Ziel hatten, unsere Arbeitsbedingungen an heutige Gegebenheiten anzupassen.»

Diese Debatten werden aber wohl nicht nur auf der Bühne gezeigt …
… sondern auch innerhalb unserer Organisation ernst genommen, richtig. Daher haben wir uns drei Kernwerte gesetzt, die wir bei allen Entscheidungen mitbeachten wollen: Diversität, Nachhaltigkeit und Partizipation. Beispielsweise finde ich es wichtig, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in Leitungspositionen anzustreben. Zudem wollen wir mit einem modularen Bühnenbild, das bei den ersten drei Produktionen im Schauspiel in der Lokremise zum Einsatz kommt, einen Beitrag zu einem nachhaltigeren Theaterbetrieb leisten. 

Sie waren in Antwerpen und Gent tätig, davor in Hagen und Nürnberg, jetzt in St.Gallen. Worin unterscheidet sich St.Gallen?
Konzert und Theater ist in der Stadt und der Umgebung tief verwurzelt, das zeigt sich allein schon an unseren Spielorten: Uns stehen mit der Tonhalle und dem in die Zukunft weisenden Theaterbau im Stadtpark sowie der Lokremise am Bahnhof und der Festspielbühne im Klosterhof an allen Knotenpunkten der Stadt grossartige Räume zur Verfügung. Und: Wir haben internationale Strahlkraft über den gesamten Bodenseeraum hinaus.

Die Besucherzahlen sind in den letzten 20 Jahren bei Oper und Schauspiel gesunken, nur das klassische Konzert ist leicht gewachsen. Wie wollen Sie die Beziehung zwischen Theater und lokaler Gemeinschaft stärken?
Wir möchten die Community in Zukunft aktiver am Theaterbetrieb partizipieren lassen. Mit dem neuen Format «Mit» geben wir dem Publikum die Möglichkeit, über das Zuschauen hinweg in Verbindung mit dem Theater zu treten. Dafür stehen neben Einführungsmatineen und -soireen auch Probenbesuche und Talkformate auf dem Programm. Davon abgesehen haben wir unsere Aktivitäten auf Social Media ausgebaut, um unserem Publikum bereits vor dem Vorstellungsbesuch Blicke hinter die Kulissen zu ermöglichen. Und für etwas mehr Freiheit bei der Terminplanung haben wir zusätzliche Abo-Formate – etwa ein bereits sehr beliebtes Halbtax – geschaffen.

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Und wie planen Sie, in Zeiten sich wandelnder kultureller Vorlieben das Theater ansprechend für die jüngere Generation zu halten?
Die Stärke des Theaters lag immer schon darin, dass es mehr ist als ein Schauspiel, eine Oper oder ein Konzert auf einer Bühne. Das Theater ist stets ein Ort der Begegnung und der Interaktion, der es ermöglicht, gemeinsam einen Moment zu erleben, der sich nie mehr wiederholen wird, und dabei über existenzielle Fragen nachzudenken. Ich bin überzeugt, dass diese Funktion in Zeiten der Digitalisierung unseres Alltags noch virulenter wird als jetzt schon – auch für unser jüngeres Publikum. Wir kommunizieren auch auf Medien, die den Jungen näher liegen. Ausserdem senken wir die Zugangsvoraussetzungen: Mit unserem neuen U30-Club können alle unter 30 nahezu alle Vorstellungen für 15 Franken besuchen. Das erscheint mir eine nachhaltige Investition in die Zukunft. 

Ist das nicht ein Spagat: Einerseits ein jüngeres Publikum ansprechen, andererseits das ältere Stammpublikum nicht verschrecken?
Nicht unbedingt, auch weil ich etwas vorsichtig bin, was «jung» und «alt» angeht. Die Erfahrung zeigt, dass auch unser Stammpublikum vielschichtig und durchaus offen für Neues ist. Essentiell ist für mich eher die gesellschaftliche Relevanz unserer Produktionen bei gezielt hohem künstlerischem Niveau.

Da passt eine Transgender-Oper wie Lili Elbe ins Bild.
Eben. Denn einerseits ist das Thema Genderidentitäten etwas, was die Gemüter derzeit bewegt. Andererseits geht es uns nicht um Effekthascherei, sondern ich bin überzeugt, dass die faszinierende Lebensgeschichte der Titelfigur Lili Elbe alles hat, was eine gute Oper ausmacht – nicht zuletzt eine packende Liebesgeschichte.

Werden Ernani und Wilhelm Tell, die beiden anderen Opern dieser Spielzeit, dafür klassische Aufführungen sein?
Auch Lili Elbe ist eine «klassische» Oper mit allem, was dazu gehört, auch wenn sie bei uns zum ersten Mal überhaupt inszeniert wird und sogar eigens für unser Haus geschrieben wurde. Ernani und Wilhelm Tell sind aber zweifellos zwei Vertreter aus dem «klassischen» Opernkanon, den wir – bei aller Offenheit für Neues – lieben und weiterhin pflegen.

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