Fokus Gesundheit 2022

Erschöpft oder schon ausgebrannt?

Erschöpft oder schon ausgebrannt?
Lesezeit: 5 Minuten

Kaum eine andere Krankheit wird in einem Atemzug mit Stress so häufig genannt  wie der Burn-out. Doch wie erkennt man diesen und was unterscheidet ihn von  einer Depression? In der Klinik Teufen und im Psychosomatischen Zentrum Rorschach werden jährlich Tausende Patienten mit Burn-outs behandelt. Dr. psych. Caterina Corea, CEO der Klinik Teufen Group AG, über gesellschaftlichen Druck, Perfektionismus und die richtige Therapie.

Caterina Corea, Sie sind CEO der Klinik Teufen und des Psychosomatischen Zentrums Rorschach. Inwiefern unterscheiden sich die beiden?
An beiden Standorten der Klinik Teufen Group AG bieten  wir unseren Patienten ein effizientes, standortübergreifendes, ambulantes psychosomatisches Behandlungskonzept an – mit dem Ziel, krankmachenden Verhaltens- und Beziehungsmuster zu erkennen und zu korrigieren. 

An wen richtet sich Ihr Angebot spezifisch?
An erwachsene Menschen, die aufgrund unterschiedlicher Lebensereignisse an unterschiedlichen Formen von Stressfolgeerkrankungen leiden – meist Burn-outs, Angststörungen oder Depressionen.

Die letzten zwei Jahre waren geprägt von der Pandemie. Neben körperlichen Beschwerden stieg auch das psychische Leid in der Gesellschaft. Wie haben Sie diese Zeit «am Puls» erlebt?
Es war eine aussergewöhnliche Zeit, die die psychische Gesundheit der Menschen belastete: Angst und Ungewissheit waren das allgemeine Gefühl der Menschen. Die Gewissheit ist verschwunden, während die Angst vor der Zukunft und die Schwierigkeit, den Alltag neu zu organisieren, zugenommen haben. Viele Menschen mussten einen neuen Sinn für zwischenmenschliche Beziehungen entdecken.

Wie viele Patienten behandeln Sie derzeit?
Die Zahl unserer Patienten wächst kontinuierlich. Nach den letzten mir vorliegenden Daten behandeln die beiden Kliniken rund 1600 neue Patienten pro Jahr.

 

Caterina Corea:  Dem Wandel der Zeit anpassen.
Caterina Corea: Dem Wandel der Zeit anpassen.

Gibt es Beschwerden, die derzeit besonders häufig auftauchen?
Ja. Die generalisierten Angststörungen und psychophysischen Erschöpfung stehen derzeit im Vordergrund.

Wie erklären Sie sich das?
Die Ursachen einer psychosomatischen Erkrankung sind vielfältig, da wir diverse Einflussfaktoren auf unsere Gesundheit haben. Viel Stress am Arbeitsplatz aufgrund von Personalmangel, der Pflicht und der Zwang zu leisten, die Angst, entlassen zu werden; persönliche Beziehungen, die aufgrund des äusseren Erscheinungsbildes immer oberflächlicher und instabiler geworden sind, mangelndes Selbstwertgefühl und die Schwierigkeit, eigene Grenzen zu setzen, sind alles Faktoren, die sich mit der Zeit negativ auf die psychische Gesundheit auswirken.

Das betrifft viele Menschen – und trotzdem landen nicht alle in einer Klinik. Wann ist man «einfach nur» erschöpft und wann wird daraus  ein Burn-out?
Die Grundsymptomatik ist sehr ähnlich: Müdigkeit, Angstzustände, psychosomatische Symptome  wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Herzbeschwerden, Schwindelgefühle, Darmbeschwerden, Ernährungsumstellung, vermehrtes Rauchen und sozialer Rückzug. Bei beiden Zuständen kann man sich besonders nervös und reizbar fühlen. Was einen Burn-out von einem stressigen Zustand unterscheidet, ist die Tatsache, dass sich der Burn-out laut der OMS in der neuen Revision der letzten Definition der Internationalen Klassifikation der Krankheiten nur auf den Arbeitsbereich bezieht und nicht auf andere Lebensbereiche ausgedehnt werden sollte. In der Praxis kann man nicht von Burn-out sprechen, wenn man in anderen Situationen und Bereichen – Familie, Freundschaften oder Beziehungen – unter chronischem Stress leidet.

Gibt es Berufe, in denen Menschen besonders gefährdet sind?
Forschungen haben gezeigt, dass Arbeitsplätze mit grösserer Verantwortung (etwa Führungskräfte) und mit starken zwischenmenschlichen Interaktionen (wie medizinisches Personal, Polizei oder Lehrkräfte) besonders betroffen sind. Aber auch Berufe mit sehr hohen ständigen Lernanforderungen und mit wenigen Sozialkontakten (bspw. in der IT-Branche) sind stark mit Burn-outs verbunden.

 

  

«Die Zunahme von Stressfolgeerkrankungen ist vor allem auf Perfektionismus zurückzuführen.»

Und auf welche Frühwarnzeichen sollte man achten?
Frühwarnzeichen eines Burn-outs können Gefühle des Energieverlustes oder Erschöpfung sein, eine erhöhte mentale Distanz zum Arbeitsplatz oder negative Gefühle im Zusammenhang mit der Arbeit sowie eine eingeschränkte berufliche Wirksamkeit. Ein Burn-out entwickelt sich fast immer langsam und schleichend. Er entsteht durch belastende Situationen, die über einen längeren Zeitraum anhalten und an deren Anfang immer ein besonders hohes Engagement der Betroffenen steht. Die extreme Verfügbarkeit dieser Menschen kann dazu führen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, was nach einiger Zeit zu emotionaler und körperlicher Erschöpfung führt.

Was kann man also tun, damit es erst gar nicht zu einem Burn-out kommt?
Biologische und Persönlichkeitsfaktoren spielen eine grundlegende Rolle. Anders gesagt: Jeder Mensch verkraftet psychosoziale Belastungen anders. Generell verhelfen regelmässige körperliche Aktivitäten, eine gesunde Ernährung, eine gute Schlafqualität und regelmässige Entspannungen sowie enge emotionale Bindungen zu guter Gesundheit und Ausgeglichenheit.

Hat sich die öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz gegenüber der Krankheit verändert?
Allgemein hat die Anzahl der sogenannten Stressfolgeerkrankungen, darunter Burn-outs und Erschöpfungsdepressionen, in den letzten 20 Jahren massiv zugenommen. Die Zunahme von Stressfolgeerkrankungen ist auf die Beschleunigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse, den leistungsorientierten Lebensstil, die Akzentuierung der Persönlichkeitszüge und vor allem auf Perfektionismus zurückzuführen. Die Akzeptanz bei der jüngeren Generation ist schon viel besser: Eine Studie, an der unsere Klinik beteiligt war, hat gezeigt, dass psychische Störungen und darunter auch Burn-outs kein Tabu mehr sind. Junge Menschen achten sehr auf ihre Lebensqualität und sind generell viel sensibler für Gesundheitsfragen. Sie sind nicht bereit, für Arbeit «auszubrennen» und wählen zunehmend teilzeitliche Arbeitsverhältnisse.

 

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Was passiert nach einer Burn-out-Diagnose in Ihrer Klinik?
Wir nehmen sehr schnell Kontakt zu Betroffenen auf und erheben im ersten Termin mit ihnen die möglichen Krankheitshintergründe. Auf dieser Basis wird ein individuelles Therapieprogramm für sie erarbeitet und mit ihnen gemeinsam umgesetzt – natürlich mit dem Ziel, ihre Lebensqualität wiederherzustellen. Unsere Methode der ambulanten psychosomatischen Rehabilitation ist ein Behandlungsprogramm unter fachärztlicher Leitung, das wöchentlich stattfindet und aus psychotherapeutischer Einzelbetreuung, Gruppengesprächen, Informationsveranstaltungen, psychoedukativen Elementen und diversen körperorientierten Therapieverfahren wie Medizinisches Training, Yoga, Physiotherapie oder Medizinische Massage besteht.

Und wie lange sind Burn-out-Patienten durchschnittlich in Behandlung?
Ein Rehabilitationsprozess dauert bei uns durchschnittlich vier bis sechs Wochen, was bedeutet, dass die Patienten von Montag bis Freitag täglich in Therapie sind. Anschliessend können verschiedene Therapieformen und Programme zur Nachbehandlung beschlossen werden, um positive Ressourcen zu stärken und die Wiedereingliederung in den Alltag und den Arbeitsplatz zu erleichtern. Die Nachhaltigkeit unseres Programms ist durch Studien belegt.

Zum Schluss: Welche Ziele möchten Sie mit der Klinik Teufen Group noch erreichen?
Leidenschaft, Entschlossenheit und Liebe zu den Dingen, die ich tue, führen mich zu der Überzeugung, dass die Klinik Teufen Group in der Lage sein wird, sich dem Wandel der Zeit anzupassen und die Herausforderungen anzunehmen, die die Zukunft bringt. Alle unsere Ziele sind darauf ausgerichtet, dass die Mitarbeiter immer stolz darauf sein werden, zu diesem Unternehmen zu gehören. Nur zufriedene und motivierte Angestellte sind in der Lage, eine erfolgsversprechende Therapie anzubieten, die den Erwartungen von Patienten und Überweisern gerecht werden kann.

Text: Miryam Koc

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