Ostschweiz

Die Sache mit der Steuergerechtigkeit

Die Sache mit der Steuergerechtigkeit
Lesezeit: 5 Minuten

Eigentlich wollen ihn alle weghaben, den Eigenmietwert. Doch der Teufel steckt im Detail, sprich: Es sind verschiedene Partikularinteressen, die den Blick aufs wünschbare Ganze versperren. Doch nun ist wieder Bewegung in die schwierige Causa gekommen.

Den Eigenmietwert gibt es, mit Unterbrechungen, seit 1915. Damals, mitten im Weltkrieg, erhob der Bundesrat mit Notrecht eine einmalige Kriegssteuer auf dem Eigenmietwert – dem theoretischen Mietwert eines selbst bewohnten Wohnobjektes. 1934, es war die Zeit der grossen Weltwirtschaftskrise, führte die Regierung die Steuer erneut ein, für vier Jahre als «eidgenössische Krisenabgabe zur Gesundung des Bundeshaushalts.» Mit Zustimmung des Parlaments wurde die Frist 1938 verlängert, 1945 nochmals, und diesmal sollte der Eigenmietwert als «Wehrsteuer» solange erhoben werden, bis die im Zweiten Weltkrieg aufgelaufenen Schulden vollständig getilgt waren.

Handfeste Interessen

1958 wurde der Eigenmietwert schliesslich als versteuerbares Einkommen mit Billigung an der Urne ins reguläre Recht überführt. Dabei ist es bis heute geblieben. Alle Versuche, dieses europaweit einmalige Unikum abzuschaffen, scheiterten im Parlament oder an der Urne; man könnte meinen, fast schon aus Gewohnheit.

Doch es stecken auch handfeste Interessen dahinter: So profitieren namentlich die Bergkantone erheblich vom Eigenmietwert, der auch auf den vielen Zweitwohnsitzen erhoben wird. Auch die Banken machen mit ihren Hypothekarkrediten ein gutes Geschäft, weil sich deren Rückzahlung aus steuerlichen Gründen meistens nichts lohnt. Denn die Hypothekarzinsen dürfen, ebenso wie die Unterhaltskosten, in der Steuererklärung abgezogen werden. Das wiederum führt zu einer extrem hohen Schuldenquote der Schweizer Haushalte, die das Bruttoinlandprodukt um fast das Eineinhalbfache übersteigt. Die Pro-Kopf-Verschuldung erreichte 2021 rund 100’000 Franken. Das ist deshalb keine finanzielle Katastrophe, weil das Pro-Kopf-Vermögen dreimal so hoch zu stehen kommt.

  

«Das heutige System bevorzugt grundsätzlich Hausbesitzer, die hoch verschuldet sind.»

Festhypotheken fast geschenkt

Als nach der Weltwirtschaftskrise 2009 die Notenbanken weltweit begannen, die Leitzinssätze zu senken, um die Wirtschaft zu stimulieren, gab es auch für die Hypothekarzinssätze kein Halten mehr. Sie sanken auf nie zuvor gesehene Werte.

Für zehnjährige Festhypotheken wurde 2019 von manchen Banken gerade noch ein Prozent Zins verlangt, oder, anders ausgedrückt: Auf eine Million Franken Schulden waren für zehn Jahre nur gerade 10’000 Franken Jahreszins zu entrichten. Das freute den Staat, denn wegen der niedri-gen Abzüge für die Hypothekarzinsen blieb vom Nettomietwert deutlich mehr an Einkommen übrig.

Rentner zahlen den Preis

Das ärgerte namentlich Rentner, von denen die Banken deutlich höhere Eigenkapitalquoten als die üblichen 20 Prozent verlangen und die entsprechend höhere Steuerrechnungen zu verkraften hatten. Und es brachte den Hauseigentümerverband auf die Palme, der seit Jahren auf allen politischen Ebenen für die Abschaffung des Eigenmietwerts lobbyiert. Dabei bleibt meistens unerwähnt, dass in Zeiten hoher Zinsen die Hausbesitzer nicht unerheblich profitieren und Steuern sparen. Die Schwelle liegt bei drei Prozent – ein Zinssatz, der derzeit in Reichweite liegt.

 «Das heutige System bevorzugt grundsätzlich Hausbesitzer, die hoch verschuldet sind», erklärt Walter Locher, Präsident des kantonalen St.Galler Hauseigentümerverbands. Gleichzeitig bestehe ein stetiger Anreiz, Sanierungsmassnahmen vorzunehmen, damit Unterhaltskosten geltend gemacht werden können. «Dies unterstützt natürlich das Baugewerbe und begünstigt eine laufende Erneuerung der Gebäudeinfrastrukturen. Die Kehrseite davon ist, dass es nur wenige Anreize gibt, seine Hypotheken zu amortisieren. Mit dem Eigenmietwert wird einem ein fiktives Einkommen bei der Steuererklärung hinzugerechnet für die Nutzung des eigenen Wohneigentums. Das ist für viele Hausbesitzer schlicht unverständlich.»

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Walter Locher
Walter Locher

Naturaleinkommen besteuern oder nicht?

Grundsätzlich steht die Frage im Raum, ob ein sogenanntes Naturaleinkommen überhaupt besteuert werden darf. Generell gilt in der Schweiz das Prinzip der Leistungsbesteuerung: Wer leistungsfähiger ist, also mehr verdient, wird überproportional besteuert. So muss etwa, wenn jemand ein Firmenauto auch privat nutzen darf, dieser Anteil als Einkommen versteuert werden, weil diese Naturalleistung des Arbeitgebers einer Lohnzahlung entspricht.

Gerhard Schwarz, Publizist und Präsident der Progress Foundation, sagt etwa, dass diese Regelung auch bei selbst bewohntem Eigentum Sinn mache. Im Übrigen schaffe jeder Versuch, mit Steuerpolitik eine Form von Gerechtigkeit zu erreichen, meist «neue Ungerechtigkeiten» – im Falle einer Abschaffung des Eigenmietwerts würden sich Mieter benachteiligt fühlen. «Am Schluss muss man zwischen zwei schlechten Lösungen wählen: Die Eigenmietwertbesteuerung ist die weniger schlechte».

65 Jahre erfolglos

«Seit nunmehr 65 Jahren ist immer wieder versucht worden, diese Steuer abzuschaffen – bisher ohne Erfolg», bilanziert Walter Locher. Im Jahr 2001 hatte der Bundesrat in einer Botschaft die Abschaffung des Eigenmietwerts als wünschenswert erachtet. Doch es geschah – nichts. 2010 schlägt er in einem indirekten Gegenvorschlag wiederum dessen Abschaffung vor. 2012 lehnt der Nationalrat ab. 2016 lässt der Bundesrat verlauten, eine Abschaffung sei politisch kaum durchsetzbar.

Inzwischen hat der politische Wind etwas gedreht. «Aufgrund der unermüdlichen Bemühungen des HEV Schweiz, zuletzt mit einer Petition im Jahre 2017, und dem Einsatz der damaligen Ständerätin und heutigen FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter zusammen mit dem damaligen Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber besteht nun berechtigte Hoffnung, dass die Abschaffung endlich gelingt», sagt Locher. Die eidgenössischen Räte beugen sich mittlerweile seit sechs Jahren über das Thema.

  

«Am Schluss muss man zwischen zwei schlechten Lösungen wählen.»

Spruchreif – beinahe

So liegt jetzt eine Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts auf dem Tisch, mit der die meisten politischen und wirtschaftlichen Kräfte grundsätzlich leben können – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn es harzt an den zwei wesentlichen Punkten, die schon frühere Vorlagen scheitern liessen.

Aktuell sind sich die beiden Parlamentskammern einig, dass der Eigenmietwert abgeschafft werden soll und konsequenterweise damit – mit wenigen Ausnahmen – sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene keine Unterhaltskosten für die Liegenschaft mehr abgezogen werden dürfen. Doch während der Nationalrat die Abschaffung explizit auch für Zweitwohnungen, die selbst genutzt werden, vorsieht, will der Ständerat mit Rücksicht auf die Bergkantone, die hohe Steuerausfälle befürchten, nichts davon wissen. Und während der Ständerat 70 Prozent der Hypothekarzinsen weiter als abzugsfähig erachtet, will der Nationalrat nur 40 Prozent zulassen.

Hinter den Kulissen wird laut NZZ an einer Lösung für die Bergkantone gearbeitet, die diesen neue Einnahmequellen von den Hausbesitzern eröffnen soll, während der Steuerabzug für die Hypothekarzinsen vorerst strittig bleibt.

Ja, aber …

«Wenn diese Beschlüsse so vom Ständerat übernommen und anschliessend auch vom Nationalrat akzeptiert werden, dann ist das eine gute Nachricht für die Hauseigentümer,» kommentiert Walter Locher. Es bleibe zu hoffen, dass noch in dieser Legislatur die Räte die Abschaffung in Form einer system- und verfassungskonformen Vorlage beschliessen. Eine solche ist Voraussetzung für das erfolgreiche Obsiegen im Rahmen einer Referendumsabstimmung.

«Es sind sehr viele Interessen im Spiel: Jene der Hauseigentümer selbst, jene der Mieter, des Gewerbes in Bezug auf die Investitionstätigkeit für Unterhaltsarbeiten, der Finanzinstitute und – last, but not least – der kantonalen Finanzdirektoren, die um den Wegfall willkommener Steuereinnahmen fürchten.» Diese Furcht sei sicherlich nicht kleiner geworden, so Locher, nachdem während der Sommermonate die Nationalbank klargemacht hat, dass die Kantone bis auf Weiteres nicht mit weiteren Einnahmen aus Nationalbankgewinnen rechnen können. «Der Hauseigentümerverband wird damit weiterhin stark gefordert sein.»

So oder so zeigt sich das erwähnte Dilemma in der Steuerpolitik: Die Abschaffung von Ungerechtigkeit schafft neue Ungerechtigkeit. Benachteiligt fühlen werden sich, neben den verschiedenen Lobbygruppen, namentlich Mieter, die gerade die Erhöhung des Referenzzinssatzes zu verkraften haben. Allfällige Referendumsdrohungen von linker Seite dürften deshalb in der Entscheidungsfindung von grosser Bedeutung sein.

Text: Urs Fitze

Bild: unsplash, zVg

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