St.Gallen

«KI dient als eine Art Leistungsnivellierer»

«KI dient als eine Art Leistungsnivellierer»
Siegfried Handschuh
Lesezeit: 4 Minuten

Welche Auswirkungen hat Künstliche Intelligenz (KI) auf unseren Arbeitsalltag? Wir haben ChatGPT gebeten, dazu ein paar Fragen zu erstellen. Beantwortet wurden sie von Prof. Dr. Siegfried Handschuh, Professor für Data Science and Natural Language Processing am Institut für Informatik der HSG und Urs Sidler, Leiter Innovation Center im Switzerland Innovation Park Ost.

Welche konkreten Auswirkungen hat KI bereits heute auf den Arbeitsalltag von Fachleuten in verschiedenen Branchen?

Prof. Dr. Siegfried Handschuh: Künstliche Intelligenz, insbesondere generative Künstliche Intelligenz, hat bereits signifikante Auswirkungen. Sie dient als eine Art Leistungsnivellierer, indem sie die Fähigkeiten von weniger erfahrenen oder qualifizierten Arbeitnehmern auf ein Niveau hebt, das mit dem durchschnittlichen oder sogar dem von hochqualifizierten Fachleuten vergleichbar ist. Insbesondere grosse Sprachmodelle wie GPT-4 haben gezeigt, dass sie die Produktivität individuell enorm steigern können und dabei qualitativ hochwertigere Ergebnisse als ohne KI-Nutzung liefern. 

 

Inwieweit verändert KI die Art und Weise, wie Teams in Unternehmen zusammenarbeiten und welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich dadurch?

Urs Sidler: Mit den Fähigkeiten von KI-Systemen lassen sich Arbeitsprozesse, Produkte, Dienstleistungen, Zusammenarbeitsmodelle, etc. ganz neu denken. Sprich, der Veränderungsprozess der Arbeitswelt, der mit der Digitalisierung begonnen hat, erlebt jetzt gerade eine massive Beschleunigung. Diverse Fachexperten und Repräsentanten von Tech-Grössen lassen sich sinngemäss wie folgt zitieren: «Die Einführung von KI wird nochmals einen massiv grösseren Einfluss auf das soziale und wirtschaftliche Zusammenleben der Menschheit haben, als es die Einführung des Internets schon hatte.»

Siegfried Handschuh: KI verbessert die Kommunikation durch Filterung und Zusammenfassung relevanter Informationen sowie Echtzeit-Übersetzungen. Sie unterstützt fundiertere Entscheidungen durch Analyse grosser Datenmengen und Mustererkennung. Routineaufgaben werden automatisiert, was Zeit für kreativere Tätigkeiten schafft. Als Brainstorming-Partner fördert KI Innovation und hilft bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Durch personalisierte Lerninhalte ermöglicht sie Mitarbeitern, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Im Projektmanagement optimiert KI Ressourcen und passt Pläne an. Kundeninteraktionen werden effizienter und personalisierter gestaltet. Auch Compliance-Überwachung und Talentmanagement profitieren von KI.

 

  

Welche Arbeitsbereiche und Tätigkeiten werden am stärksten von der Automatisierung durch KI betroffen sein, und wie sollten Fachkräfte sich darauf vorbereiten?

Siegfried Handschuh: In der Vergangenheit ging man davon aus, dass KI hauptsächlich Routine- und regelbasierte Aufgaben beeinflussen würde. Doch die Entwicklung der generativen KI, wie sie von ChatGPT und ähnlichen Systemen repräsentiert wird, hat gezeigt, dass diese Technologie eine Form von Kreativität besitzt und sich stark auf die Arbeit von Wissensarbeitern auswirkt. Um sich darauf vorzubereiten, sollten Fachkräfte lernen, wie sie effektiv mit KI zusammenarbeiten können. In den von mir angebotenen Weiterbildungskursen betone ich stets: Nicht die KI selbst bedroht ihren Job, sondern die Konkurrenz, die weiss, wie man KI nutzt.

Urs Sidler: Wurden mittels Digitalisierung bis Dato vor allem klar definierte Arbeitsschritte automatisiert, rücken nun vermehrt auch Tätigkeiten von Wissensarbeiterinnen und -arbeitern und kreativen Berufen in den Fokus. Da dieser rasende Zug nicht aufzuhalten ist, empfehlen wir allen Personen und Organisationen: Beschäftigt euch jetzt mit KI und adaptiert die neuen Möglichkeiten in eure Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsabläufe. Die Chancen, sich so einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten, sind zeitlich begrenzt.

 

Welche ethischen und sozialen Herausforderungen ergeben sich aus der Integration von KI in den Arbeitsalltag und wie können diese bewältigt werden?

Urs Sidler: KI ist, wie jede andere Technologie auch, in erster Linie wertneutral. Erst der Einsatz bzw. die konkrete Anwendung macht KI zu einem nützlichen oder aber gefährlichen Werkzeug. Oder in anderen Worten: ein KI-System kommt aus eigener Initiative nie auf die Idee ein neues KI-System zu implementieren, das die Weltherrschaft anstrebt. Der erste Befehl dazu müsste von einem Menschen ausgehen. Da sich mit Sicherheit auch Menschen mit zweifelhaften Absichten KI zu Nutze machen werden, liegt es an der (Welt-) Gesellschaft, verbindliche Regeln aufzustellen und diese auch durchzusetzen.

 

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Inwiefern könnte KI dazu beitragen, die Arbeitsbelastung von Fachkräften zu verringern oder repetitive Aufgaben zu automatisieren?

Siegfried Handschuh: Eine aktuelle Studie zeigt, dass Wissensarbeiter mithilfe der zeitgemässen generativen KI im Durchschnitt ca. 12 Prozent mehr Aufgaben erledigen, Aufgaben 25 Prozent schneller erledigen können und eine 40 Prozent höhere Qualität erreichen. Bei Spitzenkräften ist die Leistungssteigerung nicht so ausgeprägt, weil generative KI eine Tendenz zur Mitte hat. Aber wie zuvor ausgeführt, wirkt generative KI als eine Art Leistungsnivellierer, der schwächere Fachkräfte nach oben hebt, d.h., man kann damit persönliche Schwächen besser kompensieren.

 

Welche Herausforderungen bestehen bei der Integration von KI-Systemen in bestehende Arbeitsumgebungen?

Siegfried Handschuh: Dabei stehen Unternehmen vor mehreren Herausforderungen. Eine davon ist, dass KI in einigen Bereichen extrem leistungsfähig ist, während sie in anderen Bereichen hinter den menschlichen Fähigkeiten zurückbleibt. Dies kann zu Fehleinschätzungen darüber führen, welche Aufgaben sinnvollerweise automatisiert werden sollten. Ein weiteres Problem ist, dass Menschen dazu neigen, bei der Verwendung hochwertiger KI zu stark auf die KI zu vertrauen und ihre eigenen Fähigkeiten nicht ausreichend nutzen. Dies kann dazu führen, dass die menschlichen Mitarbeitenden ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Urteilsvermögen nicht weiterentwickeln und bei der Arbeit mit KI weniger aufmerksam sind.

 

Wie kann KI genutzt werden, um personalisierte Lern- und Entwicklungsprogramme für Fachkräfte zu erstellen und ihre beruflichen Fähigkeiten zu verbessern?

Urs Sidler: Mit KI lassen sich personalisierte Lern- und Entwicklungsprogramme viel einfacher entwickeln als mit herkömmlichen, regelbasierten Ansätzen, da der aktuelle Wissensstand bzw. die allenfalls vorhandene Wissenslücke über Sprachmodelle feingranularer ermittelt werden kann. Auch auf persönliche Präferenzen der zu schulenden Person kann individueller eingegangen werden.

 

Welche Auswirkungen hat die zunehmende Automatisierung durch KI auf die Berufsbildung und die Anforderungen an zukünftige Arbeitskräfte?

Urs Sidler: Da mit dem Internet in der Hosentasche das Wissen inzwischen allgegenwärtig ist, musste bzw. muss auch die Berufsbildung vermehrt auf Methodenkompetenz setzen. Mit KI sollte nun zusätzlich der Fokus vermehrt auf branchen- bzw. fachspezifisches Konzeptverständnis gesetzt werden. Sind z.B. alle Standard-Aufgaben automatisiert, wird ohne Konzeptverständnis jedes System zur unverständlichen Blackbox und somit zur Gefahr für das Unternehmen. Haben die Mitarbeitenden jedoch das zugrundeliegende (Fach-) Konzept verstanden, können sie a) die Systemresultate besser beurteilen, b) Ausnahmefälle einfacher handhaben und c) das Gesamtsystem optimieren.

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