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Immobilien trotzen Corona-Krise

Immobilien trotzen Corona-Krise
Lesezeit: 5 Minuten

Der Schweizer Immobilienmarkt floriert nach wie vor, die Nachfrage nach Wohneigentum übersteigt bei weitem das Angebot. Aber auch Renditeliegenschaften bleiben im Tiefzinsumfeld ein begehrtes Anlagevehikel. Ist diese Entwicklung gut oder schlecht für den Thurgau? Reto Inauen, Präsident des Verbands der Thurgauer Raiffeisenbanken, kennt die Antwort.

Reto Inauen, die Thurgauer Baukonjunktur blieb auch im vierten Quartal 2020 solide, schwächte sich aber etwas ab. Die Bautätigkeit war leicht rückläufig.
Ja, auch im Thurgau hat die Bauwirtschaft vergangenes Jahr Einbussen verzeichnen müssen. Allerdings wird nach wie vor viel gebaut. Gerade der Wohnungsbau bleibt dank der tiefen Zinsen sehr interessant. Dies zeigt sich unter anderem an den Baugesuchen für neue Miet- und Eigentumswohnungen, die im Thurgau im Krisenjahr 2020 auf ähnlichem Niveau wie 2019 blieben. Bei den Investitionen in der Industrie gehe ich aber von etwas grösserer Zurückhaltung aus. Die Situation bleibt herausfordernd, es werden eher zu grosse Produktionskapazitäten gemeldet.

Besonders beliebt sind wohl Zentren mit Nähe oder guten Anschlüssen nach Zürich wie die Regionen Frauenfeld und Mittelthurgau?
Absolut! Hier entstehen in erster Linie Miet- und Eigentumswohnungen, aber auch Firmen investieren. Der Thurgau bietet noch bezahlbares Wohneigentum für Familien, die auf der Suche nach einem Haus mit eigenem Garten sind. Aufgrund der Corona- Situation ist dieses Bedürfnis noch stärker geworden. Nicht zuletzt verfügt der Thur-gau über höchst attraktive Wohnlagen in Seenähe. 

Renditeobjekte wie Mehrfamilienhäuser sind nach wie vor ein beliebtes Anlagevehikel. Welche Branchen investieren hier aktuell?
Im herrschenden Tiefstzins-Umfeld sind Immobilien für institutionelle Anleger praktisch alternativlos geworden. Vor allem Wohnliegenschaften werfen attraktive Renditen bei überschaubarem Risiko ab. Vor allem Pensionskassen haben in den vergangenen Jahren ihre Immobilienquote deutlich erhöht. Aber auch Versicherungen haben ihre Aktivitäten am Immobilienmarkt merklich vergrössert. Private entdecken solche Anlagen vereinzelt, wobei nicht vergessen werden darf, dass solche Anlagen für Private auch mit beträchtlichen Risiken behaftet sind. Der hohe Leerwohnungsanteil in gewissen Gemeinden sollte aufhorchen lassen.

 

  

«Bei den Investitionen in der Industrie gehe ich von etwas grösserer Zurückhaltung aus.»

Und wie ist das Verhältnis zwischen privaten und institutionellen Anlegern?
In den letzten 20 Jahren hat der Anteil der Wohnungen im Eigentum von Institutionellen stark zugelegt, während der Anteil der Mietwohnungen im Besitz von Privathaushalten deutlich zurückgegangen ist. Der Anteil Wohnungen im Besitz von anderen Akteuren wie den klassischen Immobilienfirmen, Genossenschaften oder der öffentlichen Hand ist hingegen relativ stabil geblieben.

Auch Crowdfunding-Plattformen haben in der Vergangenheit unterschiedliche Liegenschaften in ganz verschiedenen Regionen für Miteigentümergemeinschaften erworben.
Ja, allerdings scheint sich der Grossteil der Objekte ausserhalb der allerbesten Lagen zu befinden. Um die beworbenen Renditen zu erzielen, ist dies wohl auch nötig. Nach wie vor handelt es sich aber um eine kleine Nische im Markt für Renditeliegenschaften. Zudem scheint der Trend an Fahrt verloren zu haben: 2019 wurde beispielsweise bereits deutlich weniger Kapital auf diesen Plattformen vermittelt als 2018.

Führt die Verknappung von Bauland dazu, dass ein vermehrter Wettbewerb von institutionellen Anlegern entsteht, damit die Preise nach oben getrieben werden und sich so noch weniger Normalverdiener Wohneigentum leisten können?
Das knappe Angebot und die grosse Nachfrage haben in allen Segmenten zu starken Preisanstiegen geführt. Es ist im Thurgau nicht überall gleich, aber die Tendenz ist an den meisten Orten steigend. Vor allem in den Zentren Frauenfeld, Weinfelden und Kreuzlingen treibt die Nachfrage die Preise in die Höhe. Das Problem dabei ist auch, dass gegenwärtig wenig neue Liegenschaften auf den Markt kommen: Die Thurgauer sind aufgrund der Corona-Krise eher verunsichert und bleiben lieber länger im eigenen Heim. Trotz jährlicher Preisrekorde am Einfamilienhaus-Markt konzentrieren sich Projektentwickler eher auf den Bau von Eigentums- und Mietwohnungen.

Wieso das?
Angesichts des in den Immobilienmarkt fliessenden Kapitals von institutionellen Investoren rechnet sich der Bau von Renditeliegenschaften auf dem knappen Gut Bauland derzeit meist mehr. Weil die Preise deutlich stärker als die Einkommen steigen, können sich so immer weniger Haushalte Wohneigentum leisten. Das Einkommen von immer mehr Haushalten ist zu klein, um die hohen kalkulatorischen Tragbarkeitshürden zu überspringen.

 

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«Der hohe Leerwohnungsanteil in gewissen Gemeinden sollte aufhorchen lassen.»

Stimmt der Eindruck, dass vermehrt auch Kaufinteressenten aus Zürich im Thurgau Wohnraum suchen, weil dieser im eigenen Kanton unbezahlbar ist?
Grundsätzlich sind mehr Personen aus Zürich in den Kanton Thurgau gezogen als umgekehrt, ja. Das ist nachvollziehbar, denn die Lebenshaltungskosten sind verhältnismässig gering, die Immobilienpreise insgesamt immer noch auf einem tieferen Niveau als im Grossraum Zürich. Dies verdeutlicht, dass der Thurgau mit seiner guten Anbindung an diese Metropolregion zu einer attraktiven Wohnalternative geworden ist. Auch aus Süddeutschland verzeichnen wir immer noch Zuwanderer. Ich bin davon überzeugt, dass der Thurgau insbesondere aufgrund der hohen Wohn- und Lebensqualität für Neuzuzügler so attraktiv ist.

Und verdrängen diese zum Teil sehr kaufkräftigen Ausserkantönler nicht auch die Einheimischen vom Immobilienmarkt? Könnten ähnliche Entwicklungen einsetzen wie in überteuerten Regionen wie dem Engadin?
Die Situation ist mit Hotspots wie Zürich oder St.Moritz nicht vergleichbar. Das Preisniveau ist dort sehr viel höher. Im Thurgau ist der Zugang zu Wohneigentum immer noch wesentlich einfacher als andernorts. Und vergessen wir nicht: Thurgauer entdecken in Corona-Zeiten wie andere Schweizer auch vermehrt die Vorteile einer Ferienwohnung. Etliche nutzten die Zeit zum Recherchieren – einerseits weil Ferien in der Schweiz an Attraktivität gewinnen, andererseits weil die Ferienwohnungen zum inspirierenden Homeoffice in den Bergen avanciert sind. Nicht nur die Preise sondern logischerweise auch die Nachfrage nach Zweitwohnungen ist letztes Jahr gestiegen.

Noch: Wie beurteilen Sie aber diese Entwicklung für den Thurgau?
Die Preissteigerungen sind tatsächlich sorgfältig zu verfolgen. Als Banker verstehe ich mich als Dienstleister und Lösungsanbieter. In diesem Sinne kann ich dazu beitragen, nachhaltige Möglichkeiten bei Handänderungen zu finden – gerade wenn es um komplexe Familienverhältnisse oder Erbteilungen geht. Wir sind alle in der Pflicht, es auch jungen Familien zu ermöglichen, Wohneigentum zu erwerben. 

Kommen wir nochmals auf die Preissteigerungen zurück: Bewegen wir uns aus Ihrer Sicht als Banker aktuell auf eine Immoblase zu?
Mittlerweile haben wir tatsächlich ein sehr hohes Preisniveau erreicht. Allerdings ist diese Entwicklung nach wie vor fundamental erklärbar. Im anhaltenden Tiefzinsumfeld sind Immobilien – Wohneigentum und Renditeliegenschaften – äusserst attraktiv. Die Preisentwicklung ist schliesslich einfach Ausdruck einer hohen Nachfrage, die auf ein knappes Angebot trifft. Im Gegensatz zur Immobilienblase der 1990er Jahre, sind heute kaum Spekulanten am Werk. Renditeliegenschaften werden primär durch risikobewusste, professionelle Akteure wie Pensionskassen und Versicherungen gebaut und erworben, welche an längerfristigen Erträgen und nicht an kurzfristigen Gewinnen interessiert sind. Auch am Eigenheimmarkt sucht die grosse Mehrheit der Käufer tatsächlich ein neues Zuhause und wettet nicht auf künftige Preissteigerungen. Unter diesen Umständen bleibt eine «sanfte Landung» gegenüber einer abrupten Preiskorrektur das viel wahrscheinlichere Szenario.

  

«Trotz jährlicher Preisrekorde am Einfamilienhaus-Markt konzentrieren sich Projektentwickler eher auf den Bau von Eigentums- und Mietwohnungen.»

Wie sehen Sie die künftige Entwicklung – auch was die Hypothekarzinsen anbelangt?
Die Notenbanken halten die Leitzinsen aufgrund der ökonomischen Verwerfungen durch COVID-19 weiter tief. Ein deutlicher Anstieg der Hypothekarzinsen ist deshalb auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Kurzfristige Ausschläge, wie wir sie in den vergangenen Wochen gesehen haben, sind aber nicht auszuschliessen. Daher werden Immobilien weiterhin attraktiv bleiben und es ist auch in absehbarer Zukunft von weiteren Preissteigerungen auszugehen. Allerdings rechnen wir mit einer sich abschwächenden Dynamik. Durch das hohe Preisniveau wirken am Eigenheimmarkt die hohen Tragbarkeits- und Eigenkapitalhürden zunehmend dämpfend auf die Preisentwicklung, da sich immer weniger Haushalte noch Eigentum leisten können. Bei Renditeliegenschaften geraten durch das Preisniveau und die steigenden Leerstände die Renditen immer mehr unter Druck. Daher dürften auch hier die Bäume nicht ewig gegen Himmel wachsen.

Text: Tanja Millius

Bild: Marlies Thurnheer

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