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«Die Kosten des Nichthandelns sind um ein Vielfaches höher»

«Die Kosten des Nichthandelns sind um ein Vielfaches höher»
Fredy Zaugg
Lesezeit: 4 Minuten

Die Stadt St.Gallen will bis 2050 klimaneutral sein – mit einer klaren Strategie, verbindlichen Zielen und einem breiten Massnahmenpaket. Fredy Zaugg, Leiter Umwelt und Energie, erklärt im Interview, wo die Stadt bereits gut unterwegs ist, wo noch Herausforderungen warten – und warum Klimaschutz mehr als Technik erfordert.

Fredy Zaugg, St.Gallen will bis 2050 klimaneutral sein. Was bedeutet dieses Ziel konkret für die Stadt?
Das Ziel macht die Klimagasemissionen zu einem entscheidenden Faktor für die Stadt. In vielen Bereichen ist sie selbst aktiv – etwa beim Ausbau des Fernwärmenetzes oder der Umstellung der Stromversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energie. In der Mobilität setzen wir auf den öffentlichen Verkehr, auf Elektrifizierung und ein attraktives Velonetz. Doch auch der Konsum hat eine hohe Relevanz für das Klima: In diesem Bereich fallen fast 60 Prozent der Klimagasemissionen an – einen grossen Anteil hat dabei die Ernährung.

Welche Rolle spielt das Energiekonzept 2050 bei der Umsetzung – und was ist daran neu?
Das Energiekonzept 2050 zeigt auf, mit welchen Massnahmen und in welchen Schritten der Klimagasausstoss reduziert werden soll. Es ist seit 2012 in Kraft. Zu den bisherigen Bereichen Wärme, Strom und Mobilität kam vor gut einem Jahr der Bereich Konsum und Ressourcen hinzu.

Wo besteht aus Ihrer Sicht der grösste Handlungsbedarf?
Wärme und Strom sind etabliert und gut auf Kurs. Bei der Mobilität kommen die Verkehrsbetriebe mit der Elektrifizierung wie geplant voran, beim Individualverkehr besteht aber grosser Nachholbedarf. Ziel ist eine kombinierte, effiziente und umweltfreundliche Mobilität – mehr Wege mit ÖV, Velo oder zu Fuss. Auch beim Konsum stehen wir noch am Anfang. In den Bereichen Ernährung, Kreislaufwirtschaft, Konsumverhalten und Freizeitmobilität gibt es viel zu tun.

Bis 2050 soll der Energieverbrauch um ein Drittel sinken und vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Ist das realistisch?
Ja. Seit dem Referenzjahr 2010 hat sich der Endenergieverbrauch um 13 Prozent reduziert. Der Anteil erneuerbarer Energie am Gesamtverbrauch stieg bis Ende 2024 auf 37 Prozent (2010: 17 Prozent). In den Bereichen Wärme und Strom sind wir gut unterwegs. Beim Heizungsersatz sehen wir Fortschritte: In über 70 Prozent der Fälle wird auf erneuerbare Energie umgestellt. Beim Individualverkehr liegen wir hingegen noch deutlich unter den Zielwerten.

Wie wirkt sich das geplante Bevölkerungswachstum auf die Zielerreichung aus?
In absoluten Zahlen werden Energieverbrauch und Emissionen steigen. Aber nicht proportional, weil wir davon ausgehen, dass neuer Wohnraum und Mobilitätsbedürfnisse effizienter gedeckt werden als im Bestand. Auf das Ziel von null Tonnen CO₂ bis 2050 hat das Wachstum keinen Einfluss – denn null bleibt null. 

Wie will die Stadt Einfluss auf das private Konsumverhalten nehmen?
Durch Information, Sensibilisierung und gezielte Unterstützung – etwa über den städtischen Energiefonds. Unsere Kampagnen «Gemeinsam wirkt – St.Gallen wird klimaneutral» und «clevergeniessen» bieten Plattformen zur Vernetzung, Informationen oder Kurse wie z.B. zur klimafreundlichen Ernährung. Ausserdem kann die Stadt mit gutem Beispiel vorangehen, zum Beispiel bei der nachhaltigen Beschaffung.

 

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Die PV-Anlage auf der SGKB-Halle gehört zur St.Galler Solar-Community.
Die PV-Anlage auf der SGKB-Halle gehört zur St.Galler Solar-Community.

St.Gallen setzt stark auf Partizipation. Welche Wirkung erzielt dieser Ansatz?
Klimaneutralität ist ein Transformationsprozess. Mit technischen Massnahmen allein erreichen wir das Ziel nicht. Deshalb setzen wir auf Partizipation – um die Kräfte von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung zu bündeln. Bei der Entwicklung des neuen Bereichs «Konsum und Ressourcen» haben wir Workshops und eine Konsultation durchgeführt. Daraus sind die Plattform gemeinsam-wirkt.ch, die St.Galler Klimawoche mit rund 50 Veranstaltungen und das Klimaforum «Gemeinsam wirkt» hervorgegangen. Beim Tauschmobil, das dieses Jahr in zwei Quartieren Halt macht, diskutieren wir mit lokalen Akteuren konkrete Angebote in der Kreislaufwirtschaft. Wenn wir zusammenspannen, können wir gemeinsam für den Klimaschutz enorm viel erreichen,

Wie eng arbeiten Stadt, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen – und wo gibt es Hürden?
Diese Zusammenarbeit ist essenziell. Es gibt regelmässigen Austausch mit der Bauwirtschaft. Im Ernährungsbereich haben wir Kontakte zur Gemeinschaftsgastronomie aufgebaut. Auch zur Universität St.Gallen und zur OST bestehen vielfältige Beziehungen. Hürden gibt es dort, wo unterschiedliche Interessen bestehen oder finanzielle und politische Rahmenbedingungen begrenzen. Eine Herausforderung ist auch, Personen zu erreichen, die Klimaschutz zwar positiv sehen, aber im Alltag noch anders handeln.

Welche Rolle spielt der Energiefonds bei der Umsetzung der Massnahmen?
Eine sehr zentrale. Im Gebäudebereich ermöglichen Fördergelder klimafreundliche Lösungen, die sich nicht rein über Einsparungen amortisieren lassen. Auch im Bereich Konsum und Ressourcen ist der Energiefonds wichtig – er unterstützt Veranstaltungen, Projekte und Organisationen, die zur Klimaneutralität beitragen.

Was ist für Sie die grösste Herausforderung – und wo steht St.Gallen 2035?
Die grösste Herausforderung ist, dass die Klimakrise für viele noch zu abstrakt ist. Dabei lohnt sich der Einsatz: Die Kosten des Nichthandelns sind um ein Vielfaches höher. Und es braucht mehr als Technik – auch Verhaltensänderungen sind nötig. Im Jahr 2035 wird in St.Gallen bei jedem Heizungsersatz auf erneuerbare Energie gesetzt. Mehr als die Hälfte des Energiebedarfs wird durch erneuerbare Energien gedeckt – und an Sommertagen reicht die lokale Solarstromproduktion, um den gesamten Strombedarf der Stadt zu decken. Wir sind dann gemeinsam ein gutes Stück weiter – und sehen den Weg zur Klimaneutralität als Chance für eine prosperierende, lebenswerte Stadt.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: zVg

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