Fokus Energie 2025

«Der Einsatz definiert die Technologie»

«Der Einsatz definiert die Technologie»
Daniel Balmer
Lesezeit: 4 Minuten

Die Migros Ostschweiz setzt auf Biodiesel, Wasserstoff, Biogas und künftig auch auf Batterieantriebe – und produziert einen Teil des Treibstoffs lokal im Kraftwerk Kubel in St.Gallen. Daniel Balmer, Leiter Transportlogistik, erklärt, warum es keine Einzellösung geben kann und welche Rolle Alltagstauglichkeit und Versorgungssicherheit spielen.

Daniel Balmer, die Migros Ostschweiz hat 2025 zwei neue Wasserstoff-Sattelschlepper in Betrieb genommen, zusätzlich zur bestehenden Flotte mit Biogas- und Dieselfahrzeugen. Welche Rolle spielt dieser Schritt in Ihrer Gesamtstrategie zur Dekarbonisierung des Transports?
Wir fahren bereits seit Ende 2020 mit zwei Wasserstoff-Lastwagen. Jetzt kommen neue Modelle auf den Markt – auch Sattelschlepper –, und es ist für uns wichtig, diese Technologie unter realen Bedingungen zu testen. Mit den H₂-Fahrzeugen dekarbonisieren wir nicht nur unsere Transporte, sondern setzen auch lokal produzierten Wasserstoff aus dem Kraftwerk Kubel ein. Damit fahren wir emissionsfrei und stärken gleichzeitig die regionale Wirtschaft. Wir sind ein Stück weit auch autark unterwegs. 

Warum haben Sie sich für Wasserstoff-Fuel-Cell-Technologie entschieden und nicht etwa für batterieelektrische Antriebe oder Biogas?
Brennstoffzellenfahrzeuge lassen sich schnell betanken, haben eine hohe Reichweite, fahren leise und sind mit grünem Wasserstoff vollständig emissionsfrei. In unserem Einsatzgebiet mit vielen Höhenmetern, langen Strecken und engem Fahrplan ist das ein grosser Vorteil. Batterie-Elektrofahrzeuge benötigen Schnellladestationen – die gibt es in Gossau zurzeit noch nicht. Zudem wollen wir keine Ladepausen im Fahrbetrieb. Wir prüfen aber auch diese Technologie, gerade für Lieferungen in Wohnquartieren am frühen Morgen. Dort ist der leise Betrieb ein Vorteil gegenüber dem Verbrenner.

Und wie bewährt sich die Reichweite der H₂-Fahrzeuge im Alltag?
Die Reichweite von über 400 Kilometern reicht für unsere Routen von Schaffhausen bis ins Bündnerland problemlos aus. Ein grosser Vorteil ist die AVIA-Tankstelle in Gossau, gleich bei unserer Betriebszentrale. Unsere Fahrzeuge kehren täglich mehrmals zurück, was das Tanken vereinfacht. Wichtig, ja essenziell ist dabei die Zuverlässigkeit: Produktion, Tankstelle und Verfügbarkeit des Wasserstoffs müssen reibungslos funktionieren – sonst ist die Filialbelieferung gefährdet. Und das ginge gar nicht.

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Im Sommer 2024 hat die Migros Ostschweiz insgesamt 20 Biogas-Lastwagen in Betrieb genommen.
Im Sommer 2024 hat die Migros Ostschweiz insgesamt 20 Biogas-Lastwagen in Betrieb genommen.

Lässt sich bereits abschätzen, wie gross der fossilfreie Anteil Ihrer Lieferkilometer ist?
Die Migros-Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 bei den eigenen gefahrenen Kilometern 70 Prozent weniger CO₂ auszustossen als im Basisjahr 2019. Wir befinden uns auf diesem Absenkpfad und sind aktuell absolut auf Kurs.

Ihr Wasserstoff stammt aus dem Kraftwerk Kubel im Sittertobel in St.Gallen. Welche Vorteile bringt Ihnen diese regionale Produktion, auch im Hinblick auf Versorgungssicherheit?
Das passt zu uns als lokal verankerter Genossenschaft: Aus der Region, für die Region. Die Zusammenarbeit mit der SAK und der Osterwalder-Gruppe funktioniert sehr gut. Die Wege sind kurz, der Austausch ist regelmässig und konstruktiv; das stärkt unsere Versorgungssicherheit und erlaubt uns, die Entwicklung aktiv mitzugestalten. Und zudem haben wir von der Produktion zur Tankstelle nur eine minimale Distanz. 

Wie sieht Ihre mittelfristige Planung aus? Setzen Sie künftig stärker auf H₂-Fahrzeuge oder weiterhin auf eine Kombination verschiedener Antriebe?
Wir verfolgen bewusst einen Multitechnologie-Ansatz. So können wir Schwankungen bei Treibstoffpreisen, Verfügbarkeit und Störungen in der Energieversorgung besser abfedern und bleiben flexibler. Entscheidend ist für uns die Zuverlässigkeit im Betrieb. Wir möchten uns nicht von einer einzigen neuen Technologie abhängig machen, insbesondere nicht von einer, die noch in Entwicklung ist und gewisse Unsicherheiten mit sich bringt.

Langfristig wird sich der Elektroantrieb beim LKW durchsetzen.

Spielen auch Förderbeiträge oder Partnerschaften wie H₂-Mobilität Schweiz bei Investitionen in neue Antriebstechnologien eine Rolle?
Die Alltagstauglichkeit hat für uns Priorität – nicht die Fördergelder. Natürlich verursachen neue Technologien oft höhere Anfangskosten, und da kann eine Förderung in der Einführungsphase hilfreich sein. Entscheidend sind aber die TCO-Kosten – also die Gesamtkosten über die Lebensdauer eines Fahrzeugs. Neue Antriebe müssen sich im direkten Vergleich mit den etablierten Technologien behaupten.

Welche Erkenntnisse aus dem Wasserstoffprojekt könnten auch für andere Detailhändler oder Logistikunternehmen relevant sein?
Jein: Neue Technologien müssen sich dem konkreten Einsatz anpassen – nicht umgekehrt. Was bei einem Unternehmen gut funktioniert, kann bei einem anderen mit anderem Betriebskonzept ungeeignet sein. Jedes Unternehmen muss seine eigene Lösung finden. Dazu braucht es Feldversuche und Erfahrungswerte mit verschiedenen Technologien. Es wird künftig nicht die eine perfekte Lösung geben – aber sie muss auf jeden Fall betrieblich verlässlich und bezahlbar sein.

Welche nächsten Schritte planen Sie im Bereich Infrastruktur, Fahrzeugtechnologien oder Zusammenarbeit mit Energiepartnern?
Langfristig wird sich der Elektroantrieb beim LKW durchsetzen. Die Herausforderung wird sein, wie man den Strom – also den Treibstoff – während der Fahrt dem Motor zuführt. Auch die Verfügbarkeit grosser Strommengen wird eine zentrale Herausforderung. Aus unserer Sicht braucht es Übergangstechnologien, auch auf Verbrennerbasis. Ob sich Batterie oder Brennstoffzelle durchsetzt, wird vom Einsatzzweck abhängen. Ich persönlich denke: beides. Der Einsatz definiert die Technologie.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: zVg

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