«Der Boden ist unser wichtigstes Kapital»

«Der Boden ist unser wichtigstes Kapital»
Markus Bernhardsgrütter
Lesezeit: 5 Minuten

Im St.Galler Mädertal, nahe Gossau, bewirtschaftet die Familie Bernhardsgrütter rund 24 Hektaren Land. Der Biohof gilt als Pionier in der regenerativen Landwirtschaft: Statt den Boden intensiv zu bearbeiten, setzen Markus und Sonja Bernhardsgrütter auf Humusaufbau, Bodenleben und Mischkulturen. Gleichzeitig haben sie mit der SaisonBox ein innovatives Direktvermarktungssystem etabliert, das Gemüse und Früchte frisch vom Feld in die Haushalte der Region bringt, wie der im «Genuss-LEADER» 2025 zeigt.

Markus Bernhardsgrütter, Sie haben Ihren Hof von den Eltern übernommen – aber stark verändert. Warum?
Meine Eltern führten einen klassischen IP-Suisse-Betrieb mit Viehhaltung, Ackerbau und etwas Gemüse. Mir lag das Gemüse schon immer näher. 2016/17 habe ich den Betrieb übernommen, 2023 dann auf Bio-Knospe umgestellt. Der entscheidende Schritt war ein Kurs zur regenerativen Landwirtschaft im Jahr 2020. Dort habe ich gelernt, den Boden wirklich zu verstehen – als komplexes System mit Milliarden von Lebewesen. Das hat mich gepackt. Seither ist klar: Unser wichtigstes Kapital ist der Boden.

Was bedeutet regenerative Landwirtschaft für Sie konkret?
Zwei Sätze fassen es für mich zusammen: gut auf den Boden schauen – und enkeltauglich wirtschaften. Wir wollen Böden hinterlassen, die vielleicht sogar besser sind als heute. Praktisch bedeutet das: Wir bearbeiten den Boden nur oberflächlich, um Verdichtungen zu vermeiden. Der Untergrund bleibt intakt und kann länger Wasser speichern – gerade bei Wetterextremen ein wichtiger Vorteil. Wenn wir den Spaten in einen verdichteten Boden stecken, sehen wir sofort den Unterschied: Er ist grau, riecht faulig und stinkt. Ein gesunder Boden hingegen ist krümelig, riecht gut und lebt.

Wie fördern Sie dieses Bodenleben?
Mit einer Vielzahl an Massnahmen. Wir arbeiten mit Gründüngungen, zum Teil Mischungen aus über 20 Pflanzenarten – Sonnenblumen, Leinen, Mais, Raps und vieles mehr. Jede Pflanze bringt ihre Eigenschaften ein, jede hat andere Wurzeln. Durch die Photosynthese geben Pflanzen Zucker in die Wurzeln ab. Damit füttern sie Bakterien, die wiederum Nährstoffe aus dem Boden erschliessen. Pilze verlängern die Wurzeln wie zusätzliche Arme. Dieses Zusammenspiel ist unglaublich faszinierend – und es funktioniert nur, wenn man den Boden in Ruhe lässt. Pflügt man, zerstört man diese Strukturen.

Ein weiterer Punkt ist die Nährstoffbalance. Wir machen ein- bis zweimal pro Jahr Pflanzensaftanalysen, um zu sehen, welche Elemente fehlen. So können wir gezielt düngen, statt pauschal. Oft reicht ein Kilo eines Spurenelements pro Hektare, um Mangelerscheinungen zu beheben. Das ist präziser, effizienter und schont den Boden.

Säntis  enespa  
Die Böden danken die spezielle Pflege: Sie werden jedes Jahr krümeliger.
Die Böden danken die spezielle Pflege: Sie werden jedes Jahr krümeliger.

«Ein gesunder Boden ist krümelig, riecht gut und lebt.»

Welche Wirkung hat das auf die Kulturen?
Eine vitale Pflanze ist robuster gegen Schädlinge und Krankheiten. Kunden berichten auch, dass unser Gemüse aromatischer sei. Beweisen können wir es nicht, aber klar ist: Ein guter Boden zieht sich durchs Band – von der Pflanzengesundheit über den Ertrag bis hin zum Geschmack. 

Sie sprechen auch von Wasser als wichtigem Faktor. Inwiefern?
Wasser ist nicht gleich Wasser. Wir arbeiten mit einer Kompostteemaschine, die mit einem Vortexwirbel arbeitet. Das Wasser wird verwirbelt und mit Luft angereichert – so wird es belebt. Das klingt esoterisch, ist aber sehr konkret: Die Pflanzen reagieren positiv darauf. Komposttee spritzen wir regelmässig auf die Blätter, um die Pflanzen zu stärken. Generell gilt: Je vitaler der Boden, desto besser kann er Wasser speichern und weitergeben.

Was hat die Umstellung im Alltag verändert?
Wir müssen stärker vorausplanen. Wer pflügt, kann morgens ackern und mittags säen. Bei uns ist das – sofern es Kultur und Zustände zulassen – anders: Wir müssen Beete Wochen vorher vorbereiten. Dafür danken es uns die Böden, die Jahr für Jahr krümeliger und leichter zu bearbeiten werden. Wir arbeiten mit fixen Fahrspuren – das GPS lenkt den Traktor immer genau gleich, sodass wir dort, wo Gemüse wächst, während der Saison nicht mehr befahren. Und ja, manchmal teste ich buchstäblich mit allen Sinnen: Farbe, Geruch, Struktur – sogar ein bisschen Wurzeln probieren gehört dazu.

«Wir ernten nur, was bestellt ist.»

Sonja Bernhardsgrütter, welche Rolle übernehmen Sie auf dem Hof?
Ich bin Teilzeit-Oberstufenlehrerin und kümmere mich auf dem Hof um Personalfragen, Kundenanfragen, Bestellungen für den Hofladen und alles Organisatorische. Ich bin die «gute Seele» im Hintergrund. Markus treibt die landwirtschaftlichen Innovationen voran, ich sorge dafür, dass die Abläufe im Laden und im Team stimmen.

Ihr Hof ist auch ein Vorzeigebetrieb für Direktvermarktung. Was steckt hinter der SaisonBox?
Markus Bernhardsgrütter: Ursprünglich war das meine Diplomarbeit. Heute ist daraus eine GmbH geworden, die auch Software für andere Betriebe anbietet. Rund ein Dutzend in der Schweiz nutzen sie. Für die Kunden ist es einfach: App herunterladen, Box auswählen oder selbst zusammenstellen, Mindestbestellwert 20 Franken, Lieferung fünf Franken. 95 Prozent sagen: «Stell mir einfach etwas Saisonales zusammen.» Wir ernten nur, was bestellt ist, schneiden Salat am Morgen frisch – und wenige Stunden später liegt er bei den Leuten zu Hause. Frischer geht nicht. 

Welche Vorteile bringt das gegenüber dem Detailhandel?
Wir vermeiden Foodwaste und haben direkten Kontakt zur Kundschaft. Zudem bleibt die Wertschöpfung auf dem Hof. Neben der SaisonBox betreiben wir den Hofladen «Saisonmaison» mit Produkten von Partnerbetrieben – Käse, Öl, Pasta – und sind auf dem Wochenmarkt in Gossau präsent. Aber der Hauptkanal bleibt die Box.

Auch interessant

«Regional ist das neue Bio»

«Regional ist das neue Bio»

Hochmoorkäse: Einer mit Profil

Hochmoorkäse: Einer mit Profil

«Stillstand ist Rückschritt»
Genuss 2025

«Stillstand ist Rückschritt»

Ihr Hof ist auch ein Arbeitgeber. Wie organisieren Sie das?
Sonja Bernhardsgrütter: Wir haben fünf Festangestellte und rund 20 Teilzeitkräfte – darunter Pensionierte, Menschen mit IV-Rente oder Studierende. Wir geben bewusst Leuten eine Chance, die nicht überall Arbeit finden. Das bringt Vielfalt ins Team – und macht Freude.

Gab es Aha-Erlebnisse, die Sie überzeugt haben, dass der regenerative Ansatz funktioniert?
Markus Bernhardsgrütter: Ja. Gleich neben einem Acker habe ich eine Naturwiese nicht gepflügt. Dort war der Boden viel dunkler, krümeliger, wasserführender. Daneben der Ackerboden – grobschollig, schwer zu bearbeiten. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, wie gross dieser Unterschied ist. Das war ein Schlüsselerlebnis.

Was sind die grössten Herausforderungen?
Immer das Wetter. Wir brauchen den richtigen Moment für die Bodenbearbeitung, sonst riskieren wir Verdichtungen. Kompromisse sind unvermeidlich. Zudem ist die Planung anspruchsvoll. Und: Regenerativ heisst nicht, dass man nur Blumen sät und Humus aufbaut – wir müssen am Ende auch Geld verdienen.

Sie gelten als Pioniere. Wie stark ist die Bewegung in der Schweiz?
Sie wächst. Wir stehen im Austausch mit anderen, auch international. Aber wir missionieren nicht. Jeder muss seinen Weg finden.

Zum Schluss: Welche Botschaft möchten Sie den Konsumenten mitgeben?
Jeder Kassenzettel ist wie ein Stimmzettel. Mit jeder Bestellung entscheiden die Konsumenten, welches System sie unterstützen. Wer bei uns einkauft, fördert eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Aber wir zeigen nicht mit dem Finger auf andere. Wir wollen einfach beweisen, dass es funktioniert – für uns, für die Böden, für kommende Generationen.

biohofmaedertal.ch

Text: Pascal Tschamper

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

Auch interessant

Wie Walensee, Waldrand und Winde einen Wein prägen

Wie Walensee, Waldrand und Winde einen Wein prägen

Auf der Jagd – für die Liebeswerkstatt

Auf der Jagd – für die Liebeswerkstatt

Köstliche Kaffee-Kunst
LEADER-Special

Köstliche Kaffee-Kunst