«Von Kunst in Akademien halte ich nicht viel»

Text: Miryam Koc (auch Bilder)
Seit bald einem Jahr steht das «Open House» Square auf dem Campus der Universität St.Gallen. Die Räumlichkeiten sollen besondere und zufällige Begegnungen ermöglichen – und so den Austausch zwischen Studenten, Unternehmern und der Bevölkerung fördern.
Zufällig war der Besuch von Ai Weiwei als «Artist in Residence» am Montag nicht, aber besonders: Der Künstler gilt als einer der wichtigsten Vertretern der chinesischen Gegenwartskunst, mit der er sich nicht scheut, offen Kritik an der chinesischen Politik zu üben.
Missstände als Antrieb für seine Kunst
Der ausverkaufte Anlass «A conversation with Ai Weiwei» lockte auch Gäste wie Stadtpräsidentin Maria Pappa oder Akris-CEO Albert Kriemler ins Publikum. Das Gespräch führten Square-Intendant Philippe Narval und Laura Noll, Postdoktorandin und Gründerin sowie Leiterin des Competence Center for Art+ am Institut für Marketing und Customer Insight (IMC-HSG) an der Universität St.Gallen. Sie erforscht aktuelle Trends und Zukunftsszenarien in internationalen Kunstmärkten.
In seinen Werken verbindet Weiwei oft traditionelle Handwerkskunst mit den Wurzeln seiner chinesischen Kultur. Dabei kritisiert er Chinas Verstösse gegen die Menschenrechte, wirtschaftliche Ausbeutung und die Umweltverschmutzung in seiner Heimat.
Der Antrieb für seine Arbeiten sei stets ein politischer. «In meiner Ästhetik geht es um moralische Urteile und Philosophie. Bei Design geht es nicht um die richtige Form, sondern um die Tiefgründigkeit und eine Interpretation über wer wir sind und worüber wir uns Gedanken machen.»
Kritik an Universitäten
Von Kunst in Akademien hält der Chinese nicht viel, wie er am Montag sagt – dass er sich dabei mitten auf dem Campus einer Universität befindet, scheint ihm egal zu sein. Auch der Kunstmarkt interessiere ihn nicht.
«Man fokussiert sich nach einem Kunststudium zu sehr auf den Wettbewerb und fragt sich: Was mache ich jetzt mit dem ganzen Wissen? Was muss ich tun, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden? Sie haben Wissen, das auf Theorie basiert und nicht auf die Handarbeit und dem echten Schaffen. Studenten geniessen hier eine privilegierte Ausbildung, die aber so fernab von der Realität ist», so Weiwei.
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Nach seinem Erfolg gefragt, sagt der 65-Jährige: «Was ist Erfolg? Das ist ein Wort, worüber ich mir keine Gedanken mache. Wenn sie meine Mutter fragen, dann wird sie sagen, dass ich hier in einer Universität sitze und spreche. Für mich ist das aber Arbeit.»
Wegen seines politischen und gesellschaftlichen Engagements war der Menschenrechtler regelmässig Repressalien durch chinesische Behörden und die Polizei ausgesetzt. Von April bis Juni 2011 war er inhaftiert und hatte bis 2015 Reiseverbot. Ai Weiwei lebt heute im Exil in Portugal.
Bratwurst mit Senf
Neben der öffentlichen Veranstaltung «A conversation with Ai Weiwei» nahm der Künstler an zwei Anlässen in kleinerem Rahmen teil. Für «Meet Ai Weiwei» – ein vierstündiges, intimes Treffen mit Ai Weiwei – konnten sich Studenten sowie junge Menschen aus der ganzen Schweiz bewerben.
Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, persönliche Fragen zu stellen und sich über den Einfluss von Kunst und Aktivismus auf gesellschaftliche Verhältnisse auszutauschen.
Anschliessend traf sich Ai Weiwei mit Professoren sowie Doktoranden der HSG, die sich in ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit mit China beschäftigen.
Der Künstler liess es sich aber nicht nehmen, einen Spaziergang durch die Gallusstadt zu machen und eine Olma Bratwurst zu essen. «Natürlich habe ich nach Senf gefragt», sagt er.