Handlungsfreiheit

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo
Kürzlich tauschte ich mich mit einer Unternehmerin aus, und wir klagten über dasselbe Thema: Abhängigkeit, ja Erpressbarkeit in Sachen Personal. Mal das bekannte «20 % mehr Lohn, oder ich gehe», mal die zweiseitige Liste von Kompromissen gegenüber privaten Bedürfnissen, mal die gefälligen Arztzeugnisse (wo definitiv gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht!).
Dieses Thema ist ein Dauerbrenner in Unternehmerkreisen – vor allem in KMU, die sich den Luxus von Personalüberfluss nicht leisten können und wo jede Abwesenheit, jede Kündigung weh tun kann.
Grund genug, um sich mit der damit einhergehenden Handlungsunfähigkeit auseinanderzusetzen. Denn Leadership braucht Freiheit und Handlungsfähigkeit, sonst verkommt es zur Administration.
Wir gehen dafür zwei Schritte zurück und schauen uns zuerst den beliebten Begriff der Freiheit an. Ist Freiheit einfach Beliebigkeit, Willkür, die Abwesenheit von Zwang – oder ist sie auf eine bestimmte Art und Weise auszuüben? Was sagt uns die Philosophie dazu?
Freiheit hat einen Wert!
Immanuel Kant, einer der grössten deutschen Philosophen, lebte im 18. Jh. n. Chr. Seine umfangreichen Werke beinhalten Überlegungen zu den Themen Vernunft, externe Einflüsse und Urteilskraft. Was uns Kant sagt: Klar, wir leben unter dem Einfluss externer Faktoren, zum Beispiel unserer Sinne. Wir haben aber die Vernunft geschenkt bekommen. Nutzen wir diese, um herauszufinden, was gut und was schlecht ist – und um danach zu handeln.
Was eine gute Handlung ist, lässt sich leicht erkennen, sagt uns weiter Kant: Ist diese Handlung nur im Einzelfall nützlich, jedoch bei genereller Wiederholung durch andere schädlich, so ist sie zu verwerfen. Eine gute Handlung trägt eine gewisse Gesetzmässigkeit in sich: Wenn diese Handlung durch andere wiederholt wird und dabei ebenfalls nützlich ist, so ist sie moralisch gut.
Freiheit ist also gut, Beliebigkeit nicht. Vernünftiges Handeln und bewusster Einsatz der Freiheit haben einen moralischen Wert, so Kant. Wie können wir dies im unternehmerischen Kontext nutzen?
Vorbildfunktion – immer wieder
Im Führungskontext kommt man sehr rasch auf die Vorbildfunktion. Nur wenn meine Entscheidung und Handlung als Vorbild für andere (hier wohl in erster Linie das Personal) dient, hat sie einen positiven moralischen Wert. Riesige Spesenabrechnungen, erratische Präsenzzeiten, nicht nachvollziehbare (weil nicht erklärte) Entscheidungen zählen zu den möglichen Negativbeispielen.
Hingegen sind Präsenz und Einsatz in schwierigen Situationen, das Anerkennen eigener Fehler und die Begründung von Entscheiden geeignet, positive Imitation durch andere im Betrieb auszulösen. Solche Beispiele sind nach Kant positiv zu werten. Kants Lektion geht aber noch weiter als die Vorbildfunktion.
Für die Handlungsfreiheit kämpfen
Freiheit hat nach Kant einen positiven moralischen Wert. Im Umkehrschluss ist Unfreiheit, Handlungsunfähigkeit nicht der menschlichen Vernunft würdig. Kant gebietet uns daher, für unsere Handlungsfreiheit zu kämpfen.
In unternehmerischem Klartext bedeutet dies, immer einen Plan B für ungünstige Lageentwicklungen zu haben. Solche Entwicklungen können vom Markt oder von den eigenen Ressourcen her kommen. Zu Letzteren gehören einerseits Infrastrukturen und andererseits das Personal. Schauen wir uns das bereits eingangs angesprochene Thema Personal an:
Ist eine Person im Betrieb so unverzichtbar, dass ihr Ausfall verheerende Auswirkungen hätte? Nicht gut. Die Ohnmacht ist nah. Man wird einerseits für arbeitnehmerseitige Forderungen erpressbar. Andererseits tritt ein Risiko irgendwann einmal ein: Kein Mitarbeiter bleibt ewig.
Personalrisiken sind – auch bei KMU – immer reduzierbar, wenn nicht gar eliminierbar. Effektive Stellvertretungen (und nicht nur Ferienplatzhalter) aufzubauen, gehört dazu. Das Vermeiden dauerhafter Kleinstorganisationseinheiten ebenso. Mitarbeiter, welche Informationen vorenthalten, um sich unverzichtbar zu machen, sind zurechtzuweisen und bei Uneinsichtigkeit in einem geordneten Prozess zu verabschieden.
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Ich ziehe folgendes Fazit aus meiner Lektüre von Immanuel Kant:
- Handlungsfreiheit ist immer und fortwährend zu suchen.
- Wenn diese etabliert ist, sind Entscheidungen so zu treffen, dass sie als Vorbild für andere in ähnlichen Situationen dienen könnten.
- Die Antizipation ungünstiger Lageentwicklungen und die Vorbereitung einer Antwort darauf ist eine zentrale unternehmerische Aufgabe – gerade im Thema Personal. So lässt sich die Handlungsfreiheit verbessern.