Gast-Kommentar

Gemeinsinn: die Res Publica.

Gemeinsinn: die Res Publica.
Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.)
Lesezeit: 3 Minuten

Gemeinsinn statt Egoismus: Bereits vor zweitausend Jahren erkannte Cicero, dass Ersteres für einen Staat überlebensnotwendig war. Gemeinsinn entsteht nicht von allein, sondern braucht Leadership. Einige Gedanken dazu von Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie» am Beispiel der Armeedebatte.

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

Als Milizoffizier verfolge ich die öffentliche Debatte um die Verstärkung unserer Armee aktiv. Dieses Thema nimmt regelmässig Platz in den Schlagzeilen. Oft geht es um Finanzen: Die Aus- und gegebenenfalls Aufrüstung sei nur mit einer deutlichen Budgeterhöhung möglich. Korrekt, aber unzureichend – denn es verkennt eines: Geld und Material allein schaffen noch keine Armee. Dazu braucht es einen durch Leadership erzeugten gemeinsamen Willen.

Weil die Verteidigung der Bürger eine vorrangige Staatsaufgabe ist, möchte ich diese These mit Hilfe eines Staatsmannes und Staatsdenkers beleuchten, der eine ähnliche Zeit mit zunehmendem Egoismus erlebte wie wir: Cicero.

Die Republik nach Cicero

Cicero war ein passionierter Anwalt und Staatsmann in der späten römischen Republik, im 1. Jahrhundert v. Chr. Er kämpfte gegen die Ambitionen potenzieller Alleinherrscher. In seinem Buch «De Re Publica», Band I, schreibt er: «Es ist also [...] ein Staat die Sache des Volkes; Volk aber ist nicht jede beliebig zusammengewürfelte Anhäufung von Menschen, sondern der Zusammenschluss einer grösseren Zahl, die durch eine einheitliche Rechtsordnung und ein gemeinsames Staatsziel zu einer Gesellschaft wird.»

Sein Postulat war recht einfach: Ein Staat (und im Kopf dieses Römers gab es nur einen Staat: Rom, Herrscherin der bekannten Welt um das Mittelmeer) ist mehr als die Summe der Einzelinteressen. Er existiert durch Regeln und vor allem durch ein gemeinsames Ziel.

Fehlen die Regeln, ist der Weg für jede Einzelambition und Anarchie frei. Fehlt das Ziel, gibt es keinen gemeinsamen Nenner, wonach sich das Volk richten kann. Das ist der gemeinsame Wille, die «gemeinsame Sache», die «res publica» auf Latein – zu Deutsch: die Republik.

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Was tun wir? Delegieren.

Zurück zur Armeedebatte: Die gemeinsame Sache, das gemeinsame Ziel, fehlt im politischen Leadership und in weiten Teilen des Volkes.

Die mittlerweile zurückgetretene Bundesrätin Viola Amherd liess politische Aufklärungsarbeit durch den Chef der Armee selber verrichten und die Ressourcen durch das Finanzdepartement diktieren. Von einem Steuerungswillen war nichts erkennbar.

Bundesrat und Parlament spielen miteinander Pingpong. Nach über drei Jahren Ukraine-Konflikt haben sie immer noch nicht entschieden, wie die Armee der Zukunft aussehen soll. Wehrpflichtmodell, Ressourcen, erforderliche Verteidigungsleistungen, internationale Kooperation – alles unentschieden. Verantwortung wird herumgeschoben, statt übernommen.

Zahlreiche männliche Bürger entziehen sich ihrer Wehrpflicht. Die einen lassen sich von gefälligen Ärzten als untauglich diagnostizieren. Die anderen gehen in den Zivildienst, wo der Staat bequem kostenlose Ressourcen findet und die Bürger ebenso bequeme Stunden verbringen (zumindest verglichen mit einem Wachdienst nachts bei –10 °C).

Eine Nation, die ohne Leader dasteht; eine Nation, die kein gemeinsames Ziel hat; eine Nation, die aus Egoisten besteht, hat keine Zukunft.

Leadership und Gemeinsinn – oder schleichender Untergang

Vor zweitausend Jahren formulierte Cicero klar, was es für einen Staat braucht. In der Folge wurde das römische Reich zunächst militärisch stärker. Solange tugendhafte Kaiser ihre Bürger in die Pflicht gegenüber der Allgemeinheit nahmen, lief es gut. Sobald die Tugendhaftigkeit der Kaiser jedoch ins Wanken geriet und das römische Volk die Wehraufgaben zunehmend an die Germanen delegierte, zerfiel das römische Reich. Leadership versagte, worauf der Gemeinsinn verschwand.

Wir können uns für oder gegen eine starke Armee entscheiden; wir können uns für oder gegen die Wehrpflicht entscheiden; wir können die internationale Kooperation anstreben oder ablehnen. Aber wir brauchen Leadership von unseren politischen Behörden und einen dadurch erzeugten Gemeinsinn im Volk.

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