St.Gallen

Zu Hause alt werden – OST liefert Inputs

Zu Hause alt werden – OST liefert Inputs
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Möglichst lange und selbstbestimmt zu Hause wohnen – dies ist der Wunsch vieler Schweizer. Der demografische Wandel bringt Herausforderungen, denen das innovative Wohnlabor «SimDeC» der OST – Ostschweizer Fachhochschule mit einem partizipativen Ansatz Impulse entgegensetzt.

Text: pd

Schon immer trug Marlies* (fiktiver Name, wahre Geschichte) gerne Blusen. Sie liebte, wie sie darin aussah und das Gefühl, das sie ihr gaben. Eine Welt brach für sie zusammen, als sie die Knöpfe ihrer Blusen eines Tages nicht mehr selbst schliessen konnte. Ausgelöst durch eine Chemotherapie litt Marlies an Sensibilitätsstörungen, die das Zuknöpfen unmöglich machten.

Ihre Frustration wurde so gross, dass sie alle ihre Blusen wegwarf. Jahre später lernte Marlies einen Gegenstand kennen, mit dem das Schliessen von Knöpfen wieder ganz einfach wurde.

Diese sogenannte «Knöpfhilfe» ist kein teures technisches Gerät, sondern schon für zwanzig Schweizer Franken im Sanitätshaus verfügbar. Hätte Marlies davon gewusst, wäre ihr viel Kummer erspart geblieben.

Alltagsprobleme durch einfache Technik lösen

«Wer nicht weiss, dass es eine Lösung gibt, arrangiert sich mit dem Problem», verdeutlicht Josef Huber die Situation von Marlies. Er ist der Leiter des SimDeC (Simulation im Bereich Dementia Care) und Dozent im CAS Lebensweltorientierte Demenzpflege an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. «Es gibt eine unfassbare Vielfalt und Vielzahl technischer Lösungen, die einen entscheidenden Beitrag dazu leisten könnten, Menschen das Älterwerden in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen», führt der Experte aus.

Dies ist insofern relevant, als der Wunsch nach dem zu Hause alt werden zuerst an Alltagsphänomenen scheitert. «Wie lange jemand zu Hause wohnen kann, entscheidet sich schleichend im Alltag. Flaschen gehen zu schwer auf, die Pfeffermühle bereitet Schmerzen beim Berühren oder Produkte und Lebensmittel sind herausfordernd verpackt. Notfälle wie Stürze oder die Sorgen von Angehörigen zählen eher zu den späten, akuten Gründen, dass Menschen eine neue Wohnsituation brauchen», erklärt Josef Huber.

Aus dem Wohnlabor SimDeC erzählt Josef Huber von einem anderen Beispiel: «Eine Person war bei uns, die aufgrund von Demenz das silberne Besteck nicht mehr erkennen konnte. Dies lag nicht an einer optischen Störung, sondern an Erkennungsproblemen.» Aus Erfahrung weiss Josef Huber, dass Menschen mit Demenz die Farbe Rot besonders gut erkennen können. «Ein Besteck mit roten Griffen war die Lösung – 14 Monate Autonomie schenkte es nicht nur der betroffenen Person, aber auch deren Angehörigen.»

Einfache Lösungen wie diese kennen die meisten Betroffenen nicht. Das überrascht Josef Huber kaum: «In unserer Gesellschaft gibt es ein strukturelles Problem, dass Wissen über Technik mit Betroffenen nicht geteilt wird. Mitunter fehlt sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen die Kraft und Zeit für die Recherche nach Lösungen.» Das SimDeC der OST bietet als Innovationszentrum zum Mitmachen genau für diese Herausforderungen Unterstützung.

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Zu Besuch im Wohnlabor SimDeC

Ausprobieren, anfassen, reflektieren – darum geht es im SimDeC. «In der Mietwohnung, die voller technischer Geräte ist, sitzen wir mit Vertretern der Bevölkerung an einem Tisch und diskutieren Wünsche, Erwartungen und Befürchtungen zu den Themenfeldern Wohnen, Technik und Demenz», beschreibt Josef Huber das Wohnlabor.

Ziel ist es, Verbesserungswünsche für Produkte aufzunehmen und die Bedarfslandschaft besser zu kennen. Gemeinden, Städte, Spitäler, betroffene Personen und auch Angehörige wenden sich mit Anfragen an das SimDeC. «Wenn ein Problem an uns herangetragen wird, machen wir eine aktuelle Marktübersicht und entwickeln gemeinsam eine fachlich und ethisch reflektierte, kriterienorientiert begründete Entscheidung.»

Blaue Kisten voller Lösungen

In diesem Bereich wird vor allem zu einzelfallbezogenen, konkreten Problemen in der Bevölkerung geforscht. Eine Biografien- und Perspektivenvielfalt spielt für Josef Huber dabei eine bedeutende Rolle. «Es ist wichtig, massgeschneiderte Lösungen für einzelne Fälle zu finden», betont der Spezialist im Bereich Pflege und Technik. Basierend auf solchen Fällen bündelt das SimDeC verschiedene Lösungen in blauen Kisten.

«Eine Kiste ist beispielsweise voller verschiedener Flaschenöffner, in einer haben wir Sprachnotrufgeräte und eine weitere ist mit Augentropfen-Applikationshilfen gefüllt.» Diese Kisten werden dann von Standort zu Standort geschickt, zum Beispiel an die Pro Senectute oder an Quartiervereine.

«Anhand einer konkreten Geschichte und den passenden Lösungen informieren wir die Menschen möglichst ohne Stigma über die Techniken. Als Forscher lernen wir wiederum aus den Rückfragen.»

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