Wie viel (Ab-)Lenkung erträgt unsere freie Gesellschaft?

Text: Claudia Schmid
Präsident Alain D. Bandle begrüsste die Rekordzahl von rund 300 Alumni in den Räumlichkeiten von Google Schweiz in Zürich. Das Motto lautete «Brot und Spiele 2.0: Wie viel (Ab-)lenkung erträgt unsere freie Gesellschaft?».
Multipolarer Dschungel im Wertesystem
Die erste Diskussionsrunde war der Politik nach dem «Superwahljahr» 2024 gewidmet. NZZ-Chefredaktor Eric Gujer bezeichnete die liberale Weltordnung als «mausetot». Die USA würden zwar weiterhin ein Imperium mit Verbündeten bleiben, doch sei die Zeit vorbei, als sie Sicherheit gratis lieferten. Eine neue Weltordnung, in der neben den USA auch China, Russland, Indien und die EU mitbestimmen wollten, sei komplex und sehr instabil. «Es wird einige Zeit vergehen, bis wir eine neue Stabilität in der Weltordnung erreichen werden.»
Unter der Moderation von Otto C. Honegger wurde der Gedanke eines «geopolitischen multipolaren Dschungels» im Wertesystem vertieft. Zum Ukrainekrieg erklärte Amerikanistin Claudia Brühwiler, die USA hätten sich schon lange vom Traum einer Ukraine der alten Grenzen verabschiedet.
Slawist Ulrich Schmid zeigte sich überzeugt, dass ein möglicher Frieden nicht zwischen der Ukraine und Russland ausgehandelt werde. Dies widerspreche eindeutig den Interessen Putins. «Im Nahen Osten lässt sich momentan nicht abschätzen, welche Kräfte sich durchsetzen werden», lautete die Einschätzung von Nahostexperte Erich Gysling. Die Region strotze vor Unsicherheiten.
Staatliche Förderung und digitale Ordnung
Der zweite Block thematisierte die staatliche Förderung der Wirtschaft. Den Fragen von Bilanz-Chefredaktor Dirk Schütz stellten sich Hans Hess, VRP Synhelion AG, Gérard Piasko, CIO Maerki Baumann Co. & AG, Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, VR Nestlé, und Max Keller, Co-Geschäftsführer der Start Foundation.
In der Runde wurde betont, durch die Handelskriege habe der Freihandel eine massive Zäsur erhalten, wobei ein kleines Land wie die Schweiz besonders stark betroffen sei. In dieser Zeit des Wandels gelte es, sich auf die Stärken zu konzentrieren. Mit Pragmatismus, Offenheit und Innovationsfähigkeit werde es gelingen, sich den verändernden Bedingungen zu stellen. Voraussetzung aber sei, dass die Unternehmen aus eigener Kraft tätig würden und nicht auf Fördergelder setzten.
Auch interessant
Unter dem Titel «Digitale Ordnung» erhielten die Zuhörer durch Google und die Accenture Gaming Community Einblicke in die Welt der Künstlichen Intelligenz und der Boombranche Gaming. Ethikprofessor Peter G. Kirchschläger plädierte dafür, das positive Potenzial der neuen Technologie auszuschöpfen, jedoch gleichzeitig das negative Potenzial zu meistern. Er nannte Probleme im Bereich der Menschen- und Kinderschutz-Rechte oder die Verletzung rechtlicher Normen des Urheberrechts als Beispiele unerwünschter Auswirkungen.
Ethikdozentin Anita Sophia Horn warf die Frage auf, was eine gute digitale Gesellschaft ist. Um Schaden zu verhindern, brauche es dringend Leitlinien der Ethik. Roi Y. Tavor von Google stellte sich nicht grundsätzlich gegen Regulierung, doch müsse sie sinnstiftend sein. Der aktuelle regulatorische Prozess hinke dem Stand der KI-Realität stets stark hinterher, bemängelte Merantix-Gründer Adrian Locher.
Übersicht und Gelassenheit behalten
FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube und Philosoph Otfried Höffe diskutierten zum Abschluss, wie wir als Individuen angesichts von Krisen, Polarisierung, Selbstoptimierung, Hass und Ausgrenzung noch Übersicht und Gelassenheit behalten können. Ein Fazit lautete: In unserer Zeit gebe es zwar Schlechtes, doch habe auch das Gute zugenommen. Hilfreich sei, nicht im Elfenbeinturm zu leben, sondern den Blick zu öffnen und mit der Maxime durch das Leben zu gehen, dass alles auf unserer Welt interessant ist.
Der 2013 gegründete HSG Alumni Seniors Club zählt über 5000 Alumni der Generation 55+, bietet informative und unterhaltsame Auseinandersetzungen mit aktuellen, zielgruppenrelevanten Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft und ist gleichzeitig die ideale Plattform für die Pflege alter Freundschaften. Der Seniors Club wird von Alain D. Bandle präsidiert.
HSG Alumni ist die Alumni-Organisation der Universität St.Gallen (HSG). Mit weltweit über 42‘000 Mitgliedern und jährlich 350 Events betreut der Verein eine der grössten und aktivsten universitären Alumni-Communitys. Die Organisation mit 16 Angestellten, einem 13-köpfigen Vorstand und mehreren hundert Freiwilligen, die sich in den Vorständen der weltweit 190 Clubs engagieren, wird rechtlich und finanziell unabhängig von der Universität als eigenes Unternehmen professionell geführt. Mehr Informationen unter www.hsgalumni.ch