In der Schuld

Text: Alessandro Sgro, Chief Investment Officer Cronberg AG
Die Vereinigten Staaten von Amerika leben seit jeher auf Pump und haben sich teuer fremdfinanziert. Mit rund 36 Billionen US-Dollar Schulden steht der weltgrösste Kapitalmarkt auf einem historischen Schuldenberg, ein Niveau, das mit rund 120 % der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) weltweit nur von neun Staaten, darunter Länder wie Sudan, Venezuela und Griechenland übertroffen wird.
Schon 2024 mussten über 1,1 Billionen US-Dollar allein für den Schuldendienst aufgewendet werden. Das entspricht gut 10% der gesamten Staatsausgaben. Zum Vergleich: Die historisch hohen Militärausgaben lagen mit 8,6% tiefer. Eine solche Verschiebung der fiskalischen Ressourcenverteilung ist nicht nur ein ökonomisches Alarmsignal. Die USA arbeiten inzwischen mehr, um ihre hohen Schulden zu bedienen und nicht um neue Wachstumsimpulse zu setzen.
So hoch die absolute Verschuldung auch ist, entscheidend ist vor allem deren Struktur. Jede Anleihe läuft irgendwann aus. Bis Ende 2025 werden US-Staatsanleihen im Volumen von rund 7,5 Billionen US-Dollar fällig. Diese müssen entweder durch neue Schulden ersetzt oder aus laufenden Einnahmen bedient werden, was in Anbetracht des Haushaltsdefizits von jährlich über 1,8 Billionen US-Dollar illusorisch erscheint. Die Folge: eine Welle neuer Emissionen.
Warum ist das brisant? Weil sich der Charakter des Schuldenbergs zunehmend verändert. Viele der bisherigen US-Schulden wurden in Zeiten niedrigerer Zinsen aufgenommen. Doch die aktuellen Refinanzierungen erfolgten zu deutlich höheren Sätzen. So verwundert es nicht, wenn Donald Trump den FED-Vorsitzenden Jerome Powell regelmässig öffentlich diffamiert und tiefere Zinsen fordert, bislang glücklicherweise ohne Erfolg. Denn die FED verfolgt nahezu stoisch ihr primäres Mandat in Form von Preisstabilität und Vollbeschäftigung.
Das bedeutet aktuell: Die Zinslasten steigen, auch ohne neue Schulden. Je kürzer die durchschnittliche Laufzeit, desto anfälliger wird das gesamte System für Marktschwankungen. Sollte sich die globale Nachfrage nach US-Anleihen abschwächen, etwa weil Investoren politischen und ökonomischen Risiken ausweichen oder Alternativen bevorzugen, könnten die Finanzierungskosten künftig noch höher ausfallen. Und das würde nicht nur den US-Haushalt belasten, sondern weltweit Kapitalmärkte in Mitleidenschaft ziehen. Fakt ist: Die USA sind auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass ihre Schulden auf dem globalen Markt jemand abnimmt. Aktuell gehören Japan, Grossbritannien und China zu den grössten Gläubigern.
In diesem ohnehin angespannten Umfeld drängt die Regierung unter Präsident Trump ein weiteres massives fiskalpolitisches Paket durch den Kongress zu bringen. Die sogenannte «Big, Beautiful Bill» vereint Steuererleichterungen und neue Subventionen mit der Folge, dass das Defizit weiter steigen wird. Besonders brisant ist die darin enthaltene «Section 899», die eine Quellensteuer auf Kapitalabflüsse aus den USA in der Höhe von bis zu 20 % vorsieht. Die US-Regierung bezeichnet sie mit «Revenge Tax», quasi eine Vergeltungssteuer gegen aus ihrer Sicht ungerechte ausländische Steuerregime.
Für internationale Investoren wäre das ein fundamentaler Vertrauensbruch und für die US-Anleihemärkte ein potenzieller Schockmoment. Die fiskalische Lage dürfte sich dadurch weiter verschärfen statt entspannen. Während mit den geplanten Massnahmen kurzfristig Wachstumsimpulse gesetzt werden, wächst im Hintergrund die strukturelle Anfälligkeit der Finanzarchitektur. Eine Beruhigung der Schuldenthematik ist unter diesen Voraussetzungen äusserst unwahrscheinlich.
Zwar zeigen sich die Kapitalmärkte derzeit bemerkenswert stabil. Die Finanzstabilität der USA ist trotz der Herabstufung durch alle drei grossen Ratingagenturen formal intakt. Doch dieser Status beruht auf dem Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Disziplin der US-Regierung. Die Diskussion um eine mögliche indirekte «Debt Monetization», also die Finanzierung von Staatsschulden durch die Notenpresse über den Sekundärmarkt, ist längst keine theoretische mehr. Solche Massnahmen mögen kurzfristig Druck vom Markt nehmen, doch sie bergen erhebliche Risiken: Inflation, Währungsabwertung und der Verlust an Glaubwürdigkeit.
Für Anleger ergibt sich daraus ein ambivalentes Bild: Die Märkte wirken stabil, doch unter der Oberfläche wachsen fiskalische Risiken. Wer in einem solchen Umfeld bestehen will, braucht mehr als nur Marktgefühl. Entscheidend sind drei Grundsätze:
- Diversifikation bleibt der effektivste Schutz gegen politische Einzelrisiken.
- Qualität zählt: Unternehmen mit solider Finanzierung und verlässlichen Cashflow bringen, durch den meist über Jahre erarbeiteten, finanziellen Spielraum, Stabilität ins Portfolio.
- In einem Umfeld wachsender US-Verschuldung und politischer Unberechenbarkeit sollten Fremdwährungspositionen bewusst gesteuert und nicht dem Zufall überlassen werden.
Und letztlich zählt grundsätzlich: Nicht das Reagieren auf jeden Ausschlag bringt Erfolg, sondern das Festhalten an einer robusten, vorausschauenden Anlagestrategie.