Die Zeit für die Aktien ist noch nicht da

Diejenigen Kommentatoren, die die Gegenbewegung im Juli als Bärenmarktrallye bezeichnet haben, fühlen sich bestätigt und warnen vor einem markanten neuen Einbruch der Kurse wie 2001 oder 2008. Gerade im Vergleich zu 2008 gibt es ein paar Gemeinsamkeiten. Dazu gehören hohe Energiepreise, eine restriktivere Geldpolitik und eine sich abschwächende Konjunktur. Der Erdölpreis ist 2007/08 innert weniger Monate von 50 US-Dollar pro Fass auf 150 US-Dollar gestiegen. Die Fed hat den Leitzins zwischen 2005 und 2008 von 1% auf über 5% angehoben. Anfang 2008 zeigten die vorausschauenden Konjunkturindikatoren die einsetzende Abschwächung der Wirtschaft an.
Was wäre ein Auslöser für einen Crash?
Es fehlt aber das Ereignis, dass aus einer zyklischen Börsenschwäche einen Börsencrash macht. 2008 waren es die Subprime-Krise und der Konkurs von Lehman Brothers, welche eine weltweite Bankenkrise auslösten. Das Finanzsystem stand am Rande des Abgrunds und die Liquidität an den Finanzmärkten versiegte komplett. Die Banken sind in diesem Jahr nicht das Problem und eine Wiederholung der Finanzkrise ist unwahrscheinlich. Eine mögliche Energiekrise im nächsten Winter könnte so ein Ereignis sein. Der markante Anstieg der Gasund Strompreise beschränkt sich aber auf Europa. In den USA und in Asien ist ein Energiemangel kein Thema. Wichtiger für diese Regionen ist der Ölpreis und dieser ist wieder deutlich gesunken. Eine Wiederholung von 2008 ist zwar nicht unmöglich, aber aus meiner Sicht nicht das wahrscheinliche Szenario.
Konjunkturzyklus genau im Blick
Ich gehe davon aus, dass wir es mit einer klassischen zyklischen Börsenschwäche zu tun haben. Entsprechend werden die Kurse auch durch die klassischen Faktoren des Konjunkturzyklus getrieben. Die Zentralbanken werden die Zinsen weiter anheben, um die Inflation und den Lohndruck unter Kontrolle zu bringen. Dafür wird die Arbeitslosenrate steigen und die Zahl der offenen Stellen abnehmen müssen. Im nächsten Jahr wird das Tempo der Zinserhöhungen abnehmen, aber ein Wechsel zu wieder tieferen Zinsen ist unwahrscheinlich. Die Konjunkturabschwächung wird kommen und befindet sich erst am Anfang. Das ist nicht das Umfeld im Konjunkturzyklus, das für steigende Aktienkurse spricht. Den Aktienmärkten stehen deshalb noch ein paar schwierige und nervöse Monate bevor. Positiv ist, dass die Kurse schon deutlich gefallen sind und einen rechten Teil der erwarteten Wirtschaftsschwäche vorweggenommen haben.
Ein guter Zeitpunkt für einen breiten Einstieg in die Aktien ist, wenn die Zentralbanken die Zinserhöhungen beendet haben und sich ein Ende der konjunkturellen Talfahrt abzeichnet. Die Aktienmärkte freuen sich dann auf die Konjunkturerholung und die Kurse nehmen diese vorweg. An diesem Punkt sind wir noch nicht, aber für das nächste Jahr sieht es diesbezüglich nicht schlecht aus.
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Thomas Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von 12 Milliarden Franken. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.
St. Galler Kantonalbank AG Die St.Galler Kantonalbank wurde 1868 gegründet und ist seit 2001 an der Börse SIX Swiss Exchange kotiert. Der Kanton St. Gallen hält als Mehrheitsaktionär 51.0% des Aktienkapitals. Als Universalbank bietet sie den Kunden in ihrem Heimmarkt die gesamte Palette von Finanzdienstleistungen an. In Zürich ist sie mit einer auf Vermögensverwaltung spezialisierten Niederlassung präsent. Mit ihrer umfassenden Dienstleistungspalette betreut sie Privatkunden in der Deutschschweiz in allen Fragen der privaten Vermögensplanung und Vermögensverwaltung. Am 31. Dezember 2021 beschäftigte die St.Galler Kantonalbank Gruppe insgesamt 1314 Mitarbeitende und verwaltete Kundenvermögen von CHF 55,8 Milliarden. Das Stammhaus besitzt Staatsgarantie und ein Aa1 Deposit Rating (Rating für Kundeneinlagen) und ein Aa2 Unsecured Debt Rating (Rating für Obligationenanleihen) von Moody's.