Gast-Kommentar

Arbeiten in Ihrem Unternehmen auch Sklaven?

Arbeiten in Ihrem Unternehmen auch Sklaven?
Paul Beerli, Verwaltungsrat, Beerligroup AG, Niederteufen
Lesezeit: 3 Minuten

Warum diese provokante und aus der Zeit gefallene Frage? Mitarbeiter in KMU erleben oft ein menschlicheres Arbeitsumfeld als jene in Grossunternehmen. In Grossunternehmen wird zunehmend auf IT-Systeme gesetzt, um Effizienz, Qualitätssicherung und Kontrollierbarkeit zu steigern – doch dies führt zur Entmenschlichung der Arbeit.

Text: Paul Beerli

Wenn Unternehmen beginnen, das Miteinander der Mitarbeiter durch Software wie ERP- und MIS-Systeme sowie durch Compliance-Vorgaben, Corporate Guidelines und Prozessbeschreibungen (wie z.B. ISO-Normen) zu steuern, setzt eine Tendenz zur «Versklavung» der Belegschaft ein. Vor allem in grossen Unternehmen entstehen Kontrollabteilungen, die andere Abteilungen überwachen.

Beispiele:

  1. Werden in der Produktion zu viele Fehler gemacht, wird eine Qualitätsmanagementabteilung geschaffen.
  2. Im Finanz- und Rechnungswesen ergänzen interne Prüfungen und externe Revisionen die reguläre Buchhaltung.

In solchen Strukturen wird der gesunde Menschenverstand zunehmend ausgeschaltet und ist oft nicht mehr erwünscht. Instinktives Handeln wird unterdrückt: Hat etwa ein Verkaufsleiter das Gefühl, dass Kunden andere Produkte benötigen, kann er dies nicht belegen, da nur harte Zahlen und Daten zählen. Grossunternehmen verlassen sich stattdessen auf Kunden- und Mitarbeiterumfragen, die eine vermeintlich «exakte Wahrheit» liefern – eine gefährliche Illusion.

Ein Beispiel dafür: Bei der letzten AHV-Prognose des Bundesamts für Sozialversicherungen wurde der gesunde Menschenverstand nicht einbezogen, der möglicherweise gefragt hätte: «Kann das, was die Systeme uns sagen, wirklich stimmen?»

Auch in der Personalauswahl dominieren maschinelle Rekrutierungsverfahren und Punktebewertungen, während das Bauchgefühl und die menschliche Urteilskraft an Bedeutung verlieren – eine bedauerliche Entwicklung, die uns diese Fähigkeiten langfristig verlernen lässt.

Vertrauen und Offenheit

Vertrauen in kleinen Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern aufzubauen, ist realistisch. In Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern wird dies nahezu unmöglich. Offenheit und eine gesunde Führungsbeziehung basieren auf Vertrauen, was umso schwieriger wird, je mehr Hierarchieebenen und Angestellte es gibt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz: Je mehr KI in einem Unternehmen genutzt wird, desto weniger findet ein echter menschlicher Austausch statt. Mitarbeiter wenden sich nicht mehr an ihre Chefs oder Kollegen, sondern fragen die KI. In kleineren Unternehmen hingegen kennen sich die Menschen noch persönlich, und der emotionale Austausch ist möglich.

In Grossunternehmen mit Hunderten oder Tausenden Menschen bleibt der persönliche Kontakt auf der Strecke. Mitarbeiter in den unteren Ebenen haben oft keinen Kontakt zu den Führungskräften der oberen Ebenen und entwickeln daher kein Vertrauen oder emotionale Bindung zu ihnen.

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Was vom Menschlichen bleibt

Grossunternehmen halten sich durch Guidelines, Vorschriften, Prozessbeschreibungen und Illusionen zusammen – sei es das Firmenmotto, der Slogan oder Geschichten über die Gründer. Diese Narrative stiften eine künstliche Identität, die das Fehlen menschlicher Nähe überdecken soll.

In vielen Grossunternehmen bleibt jedoch kaum Raum für Führungskräfte, ihre Persönlichkeit einzubringen. Je höher man in der Hierarchie aufsteigt, desto seltener entstehen echte Beziehungen. Der Kitt in solchen Firmen besteht aus Normen, internen Gesetzen sowie Ethik und Moral.

Das Fazit

Für mich ist die wichtigste Fähigkeit eines Chefs, intuitiv zu erkennen, ob seine Führung Wirkung zeigt. Das erkennt man an der Aufmerksamkeit und den leuchtenden Augen der Mitarbeiter – und auch an den leuchtenden Augen des Chefs selbst.

Wenn diese positive Resonanz spürbar wird, entsteht Erfolg und eine echte Führungsbeziehung. Dieser Ansatz benötigt kaum IT-Systeme und erst recht keine «Sklaven».

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