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«Es braucht einen unbedingten Willen zur Qualität»

«Es braucht einen unbedingten Willen zur Qualität»
Konrad Hummler
Lesezeit: 6 Minuten

Mit seiner Kritik an seiner Heimatstadt hat der Unternehmer Konrad Hummler via NZZ viele Diskussionen ausgelöst. «Wir haben an vielen Orten ganz gute Ansätze», sagt Hummler gegenüber dem Leader. Doch es fehle «eine Willkommenskultur für den Erfolg».

Konrad Hummler, in einem Gespräch mit der NZZ haben Sie nicht mit Kritik an der Stadt St.Gallen gespart. Wie fiehlen die Reaktionen aus?
Ich hatte insgesamt ein überraschend grosses Echo, und zwar aus der ganzen Schweiz. Andernorts blickt man mit Interesse, aber auch einer gewissen Sorge nach St.Gallen, insbesondere, was die wirtschaftliche Situation betrifft.

Wie klang es in der engeren Ostschweiz?
Natürlich meldeten sich etliche Schulterklopfer – als konsensorientierter und auf Wertschätzung ausgerichteter Mensch schätze ich die durchaus. Es meldeten sich auch viele ehrlich ums Wohl der Stadt besorgte Bürger, mit dem Tenor «endlich sagt es mal einer».

Die Kritik kam also gut an.
Nicht nur. Etwa ein Drittel der Leute meinte, ich hätte die positiven Aspekte mehr herausstrichen sollen. Da ist etwas dran. Meine Botschaft war auch nicht negativ gemeint, wir haben an vielen Orten ganz gute Ansätze.

«Andernorts blickt man mit Interesse, aber auch einer gewissen Sorge nach St.Gallen.»

Dann holen wir das hier noch nach! Zuerst aber zur Kritik am Kritiker: «Der wohnt ja gar nicht in der Stadt», hiess es beispielsweise.
Das ist typisch sanktgallerisch: Wenn jemand in Bischofzell oder Teufen zuhause ist, gehört er nicht dazu. Das ist genau das Problem, dass die Stadt sich nicht als Zentrum einer Region versteht. St.Gallen hat auch seit über 100 Jahren nicht mehr eingemeindet, nicht einmal den Versuch dazu unternommen. Wer nicht wächst, meldet sich eigentlich ab. Heute ist St.Gallen ein armes Zentrum, für die umliegenden Gemeinden ist es attraktiver, nicht zur Stadt zu gehören.

St.Gallen als wohlhabende Stadt mit Bodensee-Anstoss?
So müssten wir eigentlich denken – grosszügig. Zumal viele alternative regionale Geschichten wie Agglomerationsverbünde im Wesentlichen Papiertiger geblieben sind.

Welche Alternativen gäbe es denn?
2009 beispielsweise schlug die Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell einen «Gesundheitskanton» vor, der das Gesundheitswesen in der ganzen Ostschweiz führen sollte. Das wurde natürlich im hohen Bogen verworfen. Auch in anderen Bereichen wären solche Functional Organizational Structures eine Möglichkeit, ohne Fusionen oder Eingemeindungen über die Kantonsgrenzen hinaus zusammenzuarbeiten. Gerade das klamme St.Gallen könnte so auch die wohlhabenderen Ausserrhoder Gemeinden einbinden. Aber neu zu denken ist eben sehr unbeliebt.

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Ihre Firma hat den Sitz in der Stadt, auch die Bachstiftung haben Sie hier gegründet. Trotz der «Imprägnierung gegen das Ausserordentliche» kann man in St.Gallen also etwas umsetzen.
Vorweg: Die Stadt St.Gallen ist meine Heimatbasis, hier bin ich aufgewachsen, hier fühle ich mich grundsätzlich wohl. Von der Anlage her ist es auch eine spannende Stadt, weil sie hinten und vorne nicht fertig gebaut ist. Wir haben noch ganz viele Brachen, auf denen man etwas verwirklichen könnte, die man weiterdenken könnte. Die Frage ist: Nimmt das mal jemand in Angriff? 

«Jemand» ist nicht unbedingt die Stadtverwaltung.
Ich denke, wir von Wegelin haben seinerzeit mit der Renovation des ehemaligen Klosters St.Katharina gezeigt, wie man es machen sollte.

Sie hatten einen wesentlichen Teil des Klosters für die Privatbank Wegelin umgenutzt. In der NZZ haben Sie angeregt, die geplante Zusammenführung der Bibliotheken statt am Blumenmarkt in St.Katharina zu realisieren. Würde das Volumen reichen?
Die Frage ist doch: Wie gross muss heutzutage eine Bibliothek sein? Eine Bibliothek muss eine Umgebung sein, wo Menschen gerne mit dem Buch in Berührung kommen, dafür muss man nicht endlos viele Bücher lagern, das kann man auch an anderen Orten lösen. Aber es gäbe spannende Möglichkeiten, das Thema Bibliothek weiterzudenken. Wenn St.Gallen eine Tradition hat, dann ist es Schrift und Buch. Daraus kann man gut eine Story machen.

«Wir haben echt ein ästhetisches Problem in St.Gallen.»

Eine gute Story ist auch die Bachstiftung. Wie kamen Sie auf die verrückte Idee, sämtliche Vokalwerke von Bach in der Ostschweiz aufzuführen und aufzunehmen?
Zentral war die personelle Konstellation von Ruedi Lutz und mir. Wir sind beide St.Galler, wir hatten hier schon vorher vieles kulturell gemacht, wir hatten damals 20 Jahre Wort & Klang von Wegelin hinter uns, wir hatten bereits eventmässig mit dieser Stadt gespielt, wir hatten Konzerte in einem Stahlwerk und im Sittertobel gemacht. Darum war es logisch, dass wir unser nächstes Ding auch in St.Gallen und Umgebung machen. Dass wir auf Trogen als wichtigsten Aufführungsort gekommen sind, war vor allem, weil wir dort einen ideal dimensionierten Konzertraum haben. Veranstalter ist dennoch die Johann Sebastian Bach-Stiftung St.Gallen.

Wovon der Brand St.Gallen profitiert.
Vermutlich wird St.Gallen nie so oft im Internet erwähnt wie im Zusammenhang mit der Bachstiftung. Wir sind auch in São Paulo, Mexiko-Stadt und Los Angeles bekannt.

Die Idee war nicht gerade bescheiden.
Nein. Meine Intention war «glocal»: Lokal etwas auf die Beine stellen, dann aber so schnell wie möglich über Social Media in den globalen Bereich hinaus gehen. Den regionalen und nationalen Level wollten wir überspringen – das ist gelungen. Die moderne Kommunikation hat auch ihre Vorteile. 

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Bräuchten wir mehr solche Denke, solche Projekte, damit St.Gallen wieder etwas mehr funkelt und strahlt? Wenn man den St.Galler Bahnhof betrachtet, merkt man, dass hier früher in anderen Dimensionen gedacht wurde.
Wir müssen grosszügig denken und dann auch umsetzen, im Vertrauen darauf, dass wir es hinbekommen. Doch die schiere Grösse ist nicht das, was zählt, vielmehr braucht es einen unbedingten Willen zur Qualität. Und wir brauchen eine Willkommenskultur für den Erfolg, auch für den wirtschaftlichen Erfolg. Das ist meine grösste Sorge, das ist es, was ich kritisiere: Dass man fahrlässig sehr gute Positionen aufgegeben hat. Und gar nicht merkt, was man da eigentlich in der Hand hätte.

Was haben wir denn?
Das grossartige Projekt für die Erneuerung des Textilmuseums zeigt: Wenn ein Projekt gut ist, ist es auch möglich, es zu realisieren. Das müsste nun bei der Bibliothek auch passieren, dass man sich auf eine machbare Dimension und auf ein attraktives Konzept einigt und das dann durchzieht. Auch bei der HSG muss das Bekenntnis zur Qualität so unbedingt werden wie bei der ETH: Wir wollen die besten Studenten, nicht so viele wie möglich.

Hat St.Gallen ein politisches Problem, oder liegt es an der Mentalität?
Es liegt an der Mentalität. Die Politik würde schon umsetzen, was das Volk will. Als die Leute während Corona merkten, dass es mit weniger Einsatz auch geht, dass sie nur 60 Prozent zuhause im Pyjama arbeiten können, war das eigentlich eine Katastrophe. Die Folge ist der Fachkräftemangel: Den haben wir nicht, weil wir zu wenig Leute haben, sondern weil diese weniger arbeiten wollen. St.Gallen erging es nach der Textilkrise genau gleich. Die Leute merkten, dass sie auch so durchkommen, wenn sie vielleicht etwas bescheidener sind. Der Schock hatte sie nicht zu einer Reaktion angestachelt, sondern zur Lethargie geführt. Aus diesem Modus müssen wir rauskommen. Und das können wir auch, davon bin ich überzeugt.

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«Vier Jahre ist zu viel, der Zauber des Kinderfestes verliert sich so.»

Der Entscheid, das Kinderfest erst in vier Jahren wieder zu organisieren, zeigt in eine andere Richtung.
Das ist tatsächlich zum Heulen! Wenn es etwas gibt in dieser Stadt, das identitätsstiftend ist und Freude macht, dann ist es das Kinderfest. Immer, wenn es stattfand, waren alle restlos begeistert. Wie kann ein Stadtrat dazu kommen, das Kinderfest zu verschieben, weil es ein paar Schwierigkeiten gibt und der Anlass zu viel zu tun gibt? Dann müssen wir nachdenken, was wir einfacher machen können. Aber sicher nicht verschieben und generell einen Vier-Jahres-Rhythmus erwägen. Mit dem Drei-Jahres-Rhythmus hat ein Kind in jeder Stufe ein Kinderfest erlebt. Vier Jahre ist zu viel, der Zauber des Kinderfestes verliert sich so.

Wenn Sie zaubern könnten, was würden Sie für St.Gallen tun?
Endlich das Waaghaus in Ordnung bringen! Ich habe aus den neunziger Jahren immer noch ein Projekt von Tilla Theus in der Schublade, ich würde es dem Stadtrat gerne an die Hand geben. Das Projekt hatten seinerzeit Schützengarten und Wegelin initiiert, der damalige eidgenössische Denkmalpfleger war begeistert. Teil des Projekts war eine 20 Meter lange Stadt-Bar im Erdgeschoss. Die Theke über die ganze Gebäudelänge ruht in der Mitte auf einer Achse. Jeder Gast, der sich dazusetzt, kann Gäste auf der anderen Seite wenige Zentimeter anheben, das Waaghaus würde so erlebbar. Der damalige Stadtpräsident Heinz Christen hatte die Idee allerdings überhaupt nicht goutiert, weil er dann durch eine Beiz in den Saal des Stadtparlaments gelangen müsse. Und eine Privatinitiative war ohnehin verdächtig.

Also machte man: nichts?
Das war symptomatisch für St.Gallen. Konsequenz: Der markante Bau im Herzen der Stadt leidet seit 30 Jahren vor sich hin. Wir haben echt ein ästhetisches Problem in St.Gallen, die Stadt ist schmuddelig, und eines der schönsten Häuser der Stadt lassen wir einfach verfallen.

Text: Philipp Landmark

Bild: Leo Boesinger

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