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Chefin in sechster Generation

Chefin in sechster Generation
Tina Gautschi
Lesezeit: 9 Minuten

Schon als Kind entwickelte Tina Gautschi eine Faszination für Baumaschinen. Heute führt sie als CEO das Unternehmen ihrer Familie in St.Margrethen und weiss, dass eine Baumaschine nur dann wirklich cool ist, wenn sich ihre Anschaffung auch wirtschaftlich rechnet.

In einem Familienunternehmen aufzuwachsen, sei eine «schöne Chance», sagt die 38-jährige Tina Gautschi. Als Kind sei sie zwar nicht bei Geschäftsleitungssitzungen dabei gewesen, doch vieles wurde im traditionsreichen Familienunternehmen von ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Grossvater und ihrer Tante zu Hause am Mittagstisch erörtert. «Als Kind bekommt man die Konversation der Erwachsenen mit, ob man will oder nicht.» Im Familienrahmen wurde über aktuelle Themen gesprochen, es wurden wichtige Aufträge diskutiert und auch über Mitarbeiterschicksale geredet. Tina Gautschi hörte mit und lernte ihre ersten Unternehmerinnen-Lektionen, auch wenn das Kind noch keinen Gedanken daran verschwendete, möglicherweise einmal Chefin dieses Unternehmens zu sein.

Dieser Gedanke reifte erst später, als sich Tina Gautschi im Baubereich weitergebildet hatte. «Konkret wuchs der Wunsch, den Schritt zu wagen und das Unternehmen zu übernehmen, erst 2018», sagt Gautschi. Zu jenem Zeitpunkt gehörte die Gautschi-Gruppe in St.Margrethen ihrem Vater als Hauptaktionär und ihrer Tante, die keine Kinder hat. Tina Gautschi selbst hat eine Schwester, die aber kein Interesse am Bau zeigte.

«Wir haben uns einen Spass daraus gemacht, mit alten Dumpern im Steinbruch rumzufahren.»

Leidenschaft für Baumaschinen

Das war bei Tina Gautschi ganz anders, schon als kleines Kind hatte sie Freude an Baggern, an Kränen, an Baustellen – «ich habe eine aussergewöhnliche Leidenschaft für Baumaschinen, das habe ich wohl von meinem Vater geerbt». Diese Faszination lebte sie nicht nur theoretisch aus: «Als Kind bin ich im Werkhof und im Steinbruch mit dem Jeep, dem Bulldozer und überhaupt allem, was so herumstand, gefahren. Damals ging so etwas noch.» Und weil die Pfadi sich gleich neben dem Firmengelände traf, wurde das Bauunternehmen von «Pfadi-Tina» Gautschi und ihren Gspänli als Spielplatz genutzt. «Wir haben alles verwendet, was nicht niet- und nagelfest war», erinnert sie sich, «wir haben uns einen Spass daraus gemacht, mit alten Dumpern im Steinbruch herumzufahren.»

Eigentlich hätte dieser Spielplatz nach dem Gusto von Tina Gautschi auch ihr Ausbildungsort werden sollen, eine Maurerlehre hätte ihr zugesagt. Ihr Vater riet ihr jedoch ab und empfahl, einen Beruf zu erlernen, bei dem sie später als Mutter einfach wieder einsteigen könnte. Also machte sie eine KV-Lehre bei SFS, sie verkaufte Bewehrungsstahl und hatte somit auch einen Bezug zur Baubranche, obwohl sie lieber selbst gebaut hätte. Sie lernte auch die Zahlenseite des Geschäfts kennen, «heute sehe ich das als Vorteil».

Unmittelbar nach der ersten Berufsausbildung zog es Gautschi in die Rekrutenschule, in der Armee wurde sie, wenig überraschend, den Sappeuren zugeteilt – den Genie-Truppen also, deren «Waffen» primär Baumaschinen sind.

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Einstieg bei anderen Baufirmen

Nach dem Militär zog es Tina Gautschi nicht zurück ins Büro, sondern auf Baustellen. Sie arbeitete bei Baufirmen in Graubünden, wo sie nicht als fille à papa galt: «Die Leute kannten mich nicht, sie wussten nicht, dass ich ein Spross von Bauunternehmern bin», sagt Tina Gautschi. «Ich musste ganz normal arbeiten, wie alle anderen auch. Ich musste zeigen, dass ich da bin, weil ich etwas kann, nicht wegen meines Nachnamens.» Sie wollte für ihr Können respektiert und nicht als Tochter vom Chef behandelt werden. Das Können stimmte, sie konnte mit der Zeit Ausbildungen bis zur Bauführerin absolvieren und in dieser Funktion verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen.

In dieser Zeit hat Tina Gautschi als Nebeneffekt auch andere Firmenkulturen kennengelernt; erst 2018 kam sie zurück ins Familienunternehmen. Damals reifte in ihr der Entschluss, die Familienfirma zu übernehmen. Darum hat sie sich mit einer Unternehmerschulung an der HSG darauf vorbereitet, sie absolvierte das CAS-Programm St.Galler Management Seminar für KMU. «Da habe ich viele spannende Leute kennengelernt, etwa den stellvertretenden Direktor der Schweizerischen Nationalbank oder den Logistikchef von Coop. Ich habe schnell festgestellt, dass wir uns sehr oft mit den gleichen Themen beschäftigen, obwohl wir aus ganz anderen Branchen kommen», sagt Tina Gautschi. «Letztlich geht es in der Führung eines Unternehmens immer um Menschen.»

«Den Markt kann man nicht ändern, man kann nur das Unternehmen neu ausrichten, optimieren, umstrukturieren.»

Unbequeme Fragen

Zu Hause in St.Margrethen musste Tina Gautschi erst einmal «unser Unternehmen wieder kennenlernen», darum arbeitete sie in der Gautschi AG vorerst als Bauführerin. «Ich musste mich auch hier ein bisschen beweisen, musste zeigen, dass ich ein Plätzchen verdient habe. Ich kam auch nicht gleich in die Geschäftsleitung.» Als Bauführerin war sie im Autobahnbau aktiv und konnte so viele Mitarbeiter im Einsatz näher kennenlernen. Auch als sie Mitglied der Geschäftsleitung wurde, führte sie weiterhin Baustellen. 2020 war es dann so weit: Tina Gautschi übernahm die Gruppenleitung und wurde CEO, ihr Vater Christoph Gautschi blieb als Verwaltungsratspräsident im Unternehmen.

Nach ihrer Rückkehr, mit der Erfahrung aus anderen Baufirmen, hat Tina Gautschi das eigene Familienunternehmen mit anderen Augen gesehen – und auch einige Dinge auf den Kopf gestellt. «Klar, ich habe alle geärgert, alle Kollegen in der Geschäftsleitung, die 40 Jahre miteinander gearbeitet haben», erzählt sie lachend. «Plötzlich kam ich und stellte unbequeme Fragen, die niemand beantworten konnte. Weil man es ja immer so gemacht hatte.» Viele dieser gewohnten Abläufe seien nicht per se falsch gewesen, doch die Zeiten hätten sich eben geändert. Durch ihre andere Sicht entstanden auch Konflikte, was Tina Gautschi nicht aus der Ruhe brachte: «Konflikte sind nicht weiter tragisch, sie können ein Unternehmen weiterbringen», betont sie, «nur mit Ja sagen kommt man nicht weiter. Man muss ab und zu alles kritisch hinterfragen und eine Standortbestimmung machen.»

Als sie neu in die Führungsebene des Unternehmens kam, konnte sie viele für die Kollegen selbstverständliche Dinge gar nicht wissen. «Ich hatte das Privileg, nachfragen zu dürfen», sagt sie und nennt ein simples Beispiel: «Wieso haben wir seit 30 Jahren ein Magazin an diesem Standort, obwohl es extrem unpraktisch ist?» Als Neuling hat man die Chance, vermeintlich blöde Fragen zu stellen, Tina Gautschi hat diese Chance genutzt. «Weil ich auch andere Abläufe, andere Systeme gesehen habe, konnte ich das, was wir tun, hinterfragen.» Dabei erkannte sie: «Es gibt auch Dinge, die seit 40 Jahren gleich gehandhabt werden und heute noch gut sind.»

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Kein Zwang, die Firma weiterzuführen

Dass Tina Gautschi eines Tages den Familienbetrieb übernehmen würde, war alles andere als selbstverständlich, sie wurde nicht in diese Richtung gedrängt. «Es gab keinen Zwang», erinnert sie sich. «Darin liegt auch eine Chance, denn ich bin überzeugt: Wenn man jemanden zwingt, dann kommt es nicht gut.» Als sie sich dann mit einer möglichen Übernahme des Unternehmens beschäftigte, fragte ihr Vater, ob sie sich wirklich sicher sei, ob sie sich bewusst sei, was das bedeutet. «Er sagte zu mir: ‹Du musst das Geschäft nicht übernehmen – aber wenn du das willst, dann sind wir Feuer und Flamme.›»

Ähnliches wird Tina Gautschi in ein paar Jahren vermutlich selbst sagen. Sie ist Mutter eines vierjährigen Sohns, den sie nicht dazu drängen möchte, dereinst in ihre Fussstapfen zu treten. Den Bezug zum Familienunternehmen habe der Bub allerdings schon: «Mein Sohn ist viel mit meinem Mann unterwegs, der mehr zu Hause ist», sagt sie, «dann erzählt er manchmal, dass er auf einer Baustelle einen Kran gesehen habe, der kein Gautschi-Kran sei, weil er nämlich grün war.» Wenn ihr Sohn dannzumal Interesse am Unternehmen zeigt, sei das okay, «wenn nicht, ist das auch recht. Wir sind da offen».

Vater stand vorbildlich zurück

Heute ist Tina Gautschi immer noch sehr dankbar, dass sie diese Chance bekam. «Und dass mich mein Vater machen liess. Er hat das vorbildlich gemacht, er ist zurückgestanden», sagt Gautschi, das hätten nicht alle Generationen gleich gut gemacht. «Das ist wohl etwas vom Schwierigsten: Selbst loslassen, sich zurückzuziehen und den jungen Leuten das Ruder zu überlassen. Mein Grossvater konnte das nicht so gut wie mein Vater.»

Christoph Gautschi ist als Verwaltungsratspräsident nicht mehr operativ tätig, doch Tina Gautschi spürte nach ihrer Übernahme manchmal, dass ihr Vater sie zwar gewähren liess, es selbst aber wohl anders gelöst hätte. «Er kam gelegentlich zu mir ins Büro und hat etwas angesprochen, auch weil er wollte, dass die Neuerungen nicht Überhand nehmen und ich nicht den roten Faden verliere», erzählt Gautschi. «Solche Inputs gab er im Hintergrund, der Rest der Firmenleitung hat davon wenig mitbekommen.» Ihr Vater habe sich umgekehrt auch öfter von ihren Ideen überzeugen lassen, sagt Gautschi. Es habe durchaus sein Gutes, bei Entscheidungen auf einen gewissen Widerstand zu treffen: So müsse sie ihre Argumente schärfen, um ihr Gegenüber zu überzeugen.

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Vom Ur-Ur-Ur-Grossvater gegründet

Das heutige Bauunternehmen wurde 1890 von Gottlieb Gautschi als Steinmetzbetrieb in Zürich gegründet, 1902 zog er nach St.Margrethen, übernahm den Steinbruch und baute den Werkhof an der Hauptstrasse. Heute gehören acht Unternehmungen mit gegen 200 Mitarbeitern zur Gautschi-Gruppe. Menschen, für die Tina Gautschi eine grosse Verantwortung wahrnimmt: «Vor diesem Teil meines Jobs habe ich einen Riesen-Respekt», sagt sie, «denn das ist die grösste Aufgabe eines Familienunternehmens, es geht um Familien, nicht nur um unsere Familie.»

Das Unternehmen wird seit sechs Generationen von Tina Gautschis Familie geführt, «und wir arbeiten zum Teil mit der sechsten Generation von Angestellten zusammen. Schon die Vorfahren der heutigen Belegschaft hatten bei meinem Ur-Ur-Ur-Grossvater gearbeitet». Die damaligen und die heutigen Mitarbeiter hätten eine hohe Erwartungshaltung an die Unternehmerfamilie, «das ist auch etwas Schönes, denn es bedeutet, dass meine Vorfahren nicht alles falsch gemacht haben». Die junge Chefin fühlt sich nicht nur für den einzelnen Mitarbeiter verantwortlich, sondern auch für dessen Familie und Umfeld. «Wir kennen die Angehörigen, wir kennen die Kinder.» Es ist etwas anderes, mit solchen Angestellten zu arbeiten als mit Leuten, die man nicht persönlich kennt. «Ich bin stolz darauf, dass wir unsere Leute so gut kennen und darum auch optimal einsetzen können, dort, wo sie stark sind. Das ist ein Vorteil eines Familienunternehmens.»

«Das ist wohl etwas vom Schwierigsten: selbst loslassen, sich zurückzuziehen und den jungen Leuten das Ruder zu überlassen.»

Mitarbeiter mit Mitsprache

Die Verantwortung für die Angestellten wurde im Familienunternehmen schon immer grossgeschrieben, dennoch stehen die einzelnen Menschen heute noch stärker im Zentrum als bei früheren Generationen. Sichtbar wird dies dadurch, dass die Mitarbeiter viel mehr Mitspracherecht haben als früher, «schon bei meinem Vater war das viel stärker ausgeprägt als bei meinem Grossvater». Früher habe es eine klassische Hierarchie gegeben, «der Mitarbeiter hat einfach gearbeitet, es war nicht vorgesehen, dass er mitgestaltet und mitentscheidet», sagt Tina Gautschi. «Heute tun unsere Leute genau das.» Über die sechs Führungsgenerationen betrachtet, habe da eine massive Veränderung stattgefunden. Gute Mitarbeiter wollen aktiv mitgestalten, sich einbringen und Verantwortung übernehmen. Bei der Gautschi-Gruppe können sie das, und das Unternehmen kann wiederum das Know-how seiner Leute viel besser nutzen. Seit im Unternehmen ein Sportverein der Angestellten gegründet wurde, dient dieser der Firmenkultur und dem Zusammenhalt der Leute untereinander. «Das ist aber auch eine zusätzliche Austauschplattform, da entstehen gute Ideen, die das Unternehmen weiterbringen», sagt Gautschi. Ähnliches passiert, wenn sich die Baupoliere gelegentlich zu einer Grillade im Steinbruch treffen. «Auch da entstehen gute Diskussionen. Da wurde etwa der Vorschlag formuliert, dass man alle unsere Magazine an einem Standort zusammenziehen könnte, damit die Poliere nicht durch die Gegend fahren und an jedem Ort etwas aufladen müssen», sagt Gautschi. «Der Chefpolier hat die Idee dann in der Geschäftsleitung präsentiert. Dort hat der schlaue Vorschlag überzeugt, zumal er auch auf der Kostenseite besser ist.» Damit solche Verbesserungen im Arbeitsalltag entstehen können, sei es notwendig, dass die Leute frei sagen können, was sie denken. «Das Umsetzen guter Ideen zeigt dann, dass wir unsere Leute ernst nehmen.»

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Schwieriger Markt

Als Tina Gautschi die CEO-Funktion übernahm, hatte sie noch die Hoffnung, dass sich die Baukonjunktur, die seit der Jahrtausendwende in einer schwierigen Phase steckte, wieder stabilisiere. Doch: «Als ich übernahm, kam auch noch Corona.» Dadurch geriet die Baubranche zusätzlich in die Krise, insbesondere die Bauteuerung machte den Betrieben zu schaffen. Für die junge Chefin des Traditionsunternehmens Anlass, die Ärmel hochzukrempeln: «Den Markt kann man nicht ändern, man kann nur das Unternehmen neu ausrichten, optimieren, umstrukturieren.» Dabei denkt sie, typisch für Familienunternehmen, auch immer in einer längerfristigen Dimension. «Schon mein Grossvater sagte, dass alle Entscheide enkeltauglich sein müssen.» Als Familienunternehmen mache man vielleicht eher etwas, das in einem kurzfristig denkenden Konzern verpönt wäre. Dennoch komme es auch in einem Familienunternehmen vor, dass man sich aufgrund der Konjunktur von Mitarbeitern trennen müsse. «Wir versuchen aber, auch in schwierigen Situationen gute Leute zu halten – und wir haben nur gute Leute, das ist in solchen Momenten ein Problem.» Die grösste Herausforderung sei es für sie als CEO, Stabilität zu gewinnen: «Um trotz unruhigem Markt Ruhe in die Firma zu bringen.»

Text: Philipp Landmark

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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