Wirtschaft

Weichenstellung für Wirtschaft und Verkehr

Weichenstellung für Wirtschaft und Verkehr
Marcel Aebischer
Lesezeit: 4 Minuten

Mit der «Kantonsstrasse zum See» samt Anschluss Witen entsteht eines der zentralen Infrastrukturprojekte im Kanton St.Gallen. Marcel Aebischer vom TCS erläutert, wie die Verbindung die regionale Standortattraktivität stärkt, Chancen für Gewerbe und Tourismus eröffnet und weshalb die Abstimmung über den Baukredit Signalwirkung für den ganzen Kanton hat.

Marcel Aebischer, welchen konkreten Nutzen der «Kantonsstrasse zum See» sehen Sie für die Bevölkerung?
Die Region leidet seit Jahren unter einem überlasteten Verkehrssystem, das historisch gewachsen ist und städtebauliche Entwicklungen behindert. Mit der neuen Verbindung gelingt ein Befreiungsschlag: Die Zentren werden entlastet, das Verkehrsnetz neu geordnet, und die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer steigt. Das ist nicht nur verkehrspolitisch, sondern auch städtebaulich eine Weichenstellung für die nächsten Generationen. Die lokale Bevölkerung hat dem Projekt zugestimmt, weil sie das Zielbild des Masterplans teilt: eine Region, die sich im bestehenden Siedlungsraum ohne grossen Kulturlandverbrauch entwickeln kann. 

Kritiker sprechen von einer «Monsterstrasse» und verweisen auf hohe Kosten.
Die gelungene Einbettung in den bestehenden Siedlungsraum hat ihren Preis, das stimmt. Mit zwei Tunnels sorgt das Projekt aber dafür, dass zwei Drittel der neuen Verbindung auf oder unter bestehenden Strassen und nur 380 Meter durch aktuelles Kulturland verlaufen. Die Finanzierung erfolgt über den Strassenfonds, der vom Auto- und Lastwagenverkehr getragen wird – also ohne Auswirkungen auf Bildung, Soziales oder den öffentlichen Verkehr. 

Und welche Wirkung erwarten Sie auf den heutigen Ortsachsen?
Die Hauptachsen durch Rorschach und Goldach werden vom Lastwagen- und Arbeitsverkehr in das Industrie- und Gewerbegebiet Blumenfeld befreit. Den Mobilitätsbedürfnissen aus und in der Region, insbesondere zu den Arbeitsplätzen und in die Wohngebiete südlich der Bahnlinie, kann man endlich gerecht werden. Die Quartiere nördlich der Bahnlinie werden sicherer und verkehrlich beruhigt. Dazu tragen auch über 20 Begleitmassnahmen bei, etwa die Aufhebung eines Bahnübergangs oder die Neugestaltung der stark befahrenen Kantonsstrasse von Goldach nach Rorschach.

Mattes Films  Awareness  

Im politischen Prozess steht die Abstimmung zum kantonalen Baukredit an. Mit welchen Botschaften wird der TCS argumentieren?
Wir werden hervorheben, dass das Projekt nicht mehr, sondern besser gelenkten Verkehr schafft. Es geht um mehr Lebensqualität, mehr Sicherheit und eine zeitgemässe Verkehrsinfrastruktur – Erschliessung für alle, egal ob mit Auto, Velo oder Bus. Nachdem sich die lokale Bevölkerung für das Projekt ausgesprochen hat, liegt die Entscheidung nun bei der Bevölkerung des Kantons. Wer in den Kanton investiert, stärkt dessen Zukunft. Dieses Mal profitiert die Region Rorschach, ein anderes Mal eine andere Region.

Die Vorlage verbindet Strasse, ÖV und Veloverkehr. Welche Anforderungen stellt der TCS an diese Multimodalität?
Wir erwarten, dass die geplante Integration auch gelebt wird. Der Erfolg bemisst sich daran, ob die neue Infrastruktur nicht nur den motorisierten Individualverkehr, sondern auch den öffentlichen Verkehr sowie den Velo- und Fussverkehr stärkt. Es braucht nahtlose Übergänge, sichere Wege und klare Prioritäten für den ÖV. Die Angebotsentwicklung sieht vor, dass künftig vier S-Bahnen pro Stunde von St.Gallen nach Rorschach verkehren. Rorschach profitiert zudem von der verbesserten Anbindung an den Fernverkehr.

Blicken wir nach St.Gallen: Der Spielraum der Stadt bei Tempo-30-Zonen wurde auch dank des TCS eingeschränkt. Welche Alternativen sehen Sie, um Stau, Lärm und Sicherheit auf Hauptachsen wirksam zu verbessern?
Der TCS hat in jüngerer Vergangenheit zwei Rekursverfahren gewonnen und damit angeordnete Temporeduktionen auf zentralen Verkehrsachsen in St.Gallen verhindert. Dies bedeutet, dass künftig gerade auf wichtigen Strassenabschnitten verstärkt darauf zu achten ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Temporeduktion wirklich erfüllt sind oder ob man einfach versucht, den politisch vorherrschenden Willen durchzusetzen. Alternativen zu Tempo 30 auf Hauptachsen sind lärmarme Strassenbeläge, intelligente Verkehrssteuerung durch Lichtsignalanlagen oder die Entflechtung der Verkehrsträger, indem insbesondere der Veloverkehr nicht auf Hauptachsen geführt wird.

Auch interessant

«Tiefe Steuern sind oft ein Türöffner»
Wirtschaft

«Tiefe Steuern sind oft ein Türöffner»

Digitalisierung im Doppelspur-Modus
Wirtschaft

Digitalisierung im Doppelspur-Modus

«Innovation beginnt bei den Rahmenbedingungen»
Wirtschaft

«Innovation beginnt bei den Rahmenbedingungen»

Tempo 30 soll primär auf siedlungsorientierten Strassen gelten, nicht auf verkehrsorientierten Achsen. Wo verläuft diese Linie konkret?
Man kann sich grundsätzlich an der Strassenklassierung orientieren: Kantonsstrassen und Gemeindestrassen 1. Klasse sind verkehrsorientierte Strassen, weshalb auf ihnen Tempo 50 gilt. Vorbehalten bleiben Ausnahmen, zum Beispiel vor Schulen oder Spitälern. Die übrigen Strassen sind siedlungsorientiert. Ich möchte aber betonen, dass auch dort die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Reduktion auf Tempo 30 erfüllt sein müssen. Andernfalls ist auf eine Temporeduktion zu verzichten.

Zurück zur «Kantonsstrasse zum See»: Welche Chancen sehen Sie für Gewerbe, Tourismus und Logistik in der Region?
Eine gute Erreichbarkeit ist immer entscheidend für die Attraktivität einer Region – egal, ob es um gewerbliche oder touristische Angebote geht. Die Anbindung des Industrie- und Gewerbegebiets Blumenfeld an die Autobahn ist zentral. Dieses Gebiet lag bei seiner Entstehung am Rand der Stadt Rorschach, heute liegt es mitten im Siedlungsraum. Ohne neue Erschliessung drohen Stillstand und Abwanderung von Unternehmen.

Welche Instrumente braucht es, damit das Projekt nicht aus dem Ruder läuft?
Der Kanton wird klare Etappierungen, Kosten- und Wirkungskontrollen einbauen. Wichtig ist auch, dass die Kommunikation transparent bleibt – gerade in der langen Bauphase. Wer Vertrauen will, muss früh sagen, was wann wo passiert.

Und falls das Projekt an der Urne scheitert – was dann?
Dann kann die Region ihr Entwicklungspotenzial bei weitem nicht ausschöpfen und ihre Zentrumsfunktion am See immer schlechter wahrnehmen. Stau, Lärm und Umgehungsverkehr auf den Quartierstrassen werden bleiben. Das wäre aus Sicht des TCS eine verpasste Chance – nicht nur für die Region, sondern für den ganzen Kanton.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

Auch interessant

Präzision aus Heerbrugg für die ganze Welt
Wirtschaft

Präzision aus Heerbrugg für die ganze Welt

2,4 Milliarden auf der Kippe
Wirtschaft

2,4 Milliarden auf der Kippe

«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»
Wirtschaft

«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»

Schwerpunkte