Wirtschaft

Warum Ur-Tinkturen Zukunft haben

Warum Ur-Tinkturen Zukunft haben
Marianne Meyer
Lesezeit: 4 Minuten

Seit November 2024 steht Marianne Meyer an der Spitze der Herbamed AG in Bühler. Sie transformiert das patronal geprägte Unternehmen in eine moderne, international ausgerichtete Organisation. Im LEADER-Interview spricht die CEO über den geplanten Erweiterungsbau, internationale Märkte und wie Herbamed die Balance zwischen traditionellem Heilpflanzenwissen und wissenschaftlicher Evidenz meistert.

Marianne Meyer, Sie haben im November 2024 die operative Leitung von Patron Christoph Züllig übernommen. Was war für Sie die grösste Herausforderung?
Den Übergang von einer patronal geführten Organisation zu einer strukturierten, zukunftsfähigen Führung zu gestalten. Gleichzeitig war es entscheidend, das wertvolle Know-how von Christoph Züllig zu sichern und in die neue Struktur zu übertragen. Mein Fokus liegt darauf, die Organisation nachhaltig zu professionalisieren, klare Verantwortlichkeiten zu etablieren und die strategische Ausrichtung national wie international zu stärken – stets mit dem Blick auf unsere Kunden, ihre Bedürfnisse und die Qualität unserer Partnerschaften. Dazu gehören Investitionen in Digitalisierung, moderne Produktionsprozesse und eine gezielte Marktbearbeitung. 

Wie wichtig sind in diesem Prozess die Mitarbeiter?
Ebenso zentral wie die Unternehmenskultur: Wir gestalten die laufende Transformation gemeinsam mit den Mitarbeitern, fördern Offenheit, Zusammenarbeit und Innovation und verbinden so die Stärken aus unserer Tradition mit den Anforderungen der Zukunft.

Herbamed plant in Bühler einen fünfstöckigen Erweiterungsbau für fast zehn Millionen Franken. Wozu?
Mit dem Erweiterungsbau sichern wir die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und schaffen die Basis für weiteres Wachstum. Strategisch verfolgen wir zwei Ziele: Wir erfüllen aktuelle und künftige regulatorische Anforderungen und schaffen dringend benötigte Produktionskapazitäten. Für die Mitarbeiter bedeutet dies modernere Arbeitsplätze, effizientere Abläufe und eine klarere Trennung der Produktionsschritte. Das Konzept beinhaltet auch Raumreserven, die wir je nach Entwicklung für neue Produkte, zusätzliche Linien oder neue Technologien nutzen können.

Säntis  Emil Frey  

«Die Stiftung garantiert, dass Herbamed nicht in die Hände kurzfristig orientierter Investoren fällt.»

Welche Rolle spielt dabei die Öffnung nach aussen?
Wir ermöglichen mit einem Besuchergang rund um das Gebäude Einblicke in unsere «gläserne Produktion» und schaffen Räume für Schulungen und fachliche Weiterentwicklung. So verbinden wir Effizienz, Transparenz und Lernmöglichkeiten und stärken die Identifikation der Mitarbeiter wie auch bestehender und potenzieller Kunden mit uns.

Christoph Züllig spricht von einer Verdoppelung des Umsatzes innert fünf Jahren. Wie sehen Sie dieses Ziel
Ambitioniert, aber nicht unrealistisch. Wachstum erwarten wir vor allem durch den Ausbau unserer internationalen Kundenbeziehungen, die steigende Nachfrage nach natürlichen Heilmitteln sowie durch unsere Kompetenz und strategische Erfolgsposition in der Herstellung von Ur-Tinkturen. Treiber sind insbesondere unsere Exportmärkte in Europa und Asien sowie individuelle Kundenlösungen in der Lohnherstellung.

Apropos Lohnherstellung: Sind Ihre Kunden hauptsächlich Endverbraucher oder vor allem Firmen, die Ihre Grundstoffe nutzen?
Unser Geschäft ist überwiegend B-to-B. Eine Ausnahme bilden einzelne Nahrungsergänzungsmittel wie beispielsweise unser Propolis-Holunderspray. Hauptzielgruppen sind der Fachhandel, insbesondere Apotheken und Drogerien, sowie Industriebetriebe. Unsere Kunden nutzen unsere Tinkturen und Extrakte, um sie in ihre eigenen Produkte zu integrieren. Einzelne Endkunden erreichen wir zwar über Apotheken oder spezialisierte Anbieter, der Schwerpunkt unseres Geschäfts liegt jedoch klar im Firmenkundensegment.

Sie liefern aber auch Rezepturen und Produkte auf Kundenwunsch?
Ja, das ist ein wichtiges Standbein. Wir entwickeln individuelle Rezepturen und übernehmen Lohnherstellungen, wenn Partner auf unsere Produktionskompetenz zurückgreifen möchten. Diese Nähe zu den Kunden und das flexible Eingehen auf deren Bedürfnisse sind klare Wettbewerbsvorteile.

Herbamed verfügt über ein Sortiment von 600 Ur-Tinkturen. Wie können Sie dieses Alleinstellungsmerkmal nutzen?
Die Breite unseres Sortiments ist weltweit einzigartig und verschafft uns im Wettbewerb einen klaren Vorteil. Wir setzen auf Rohstoffe höchster Qualität, bevorzugt aus der Region und wann immer möglich aus wildgesammelten Frischpflanzen.

Und diesen Vorsprung können Sie langfristig sichern?
Ja. Wir investieren kontinuierlich in Herstellungs- und Produktionsprozesse, mit denen wir traditionelle Methoden perfektionieren und gleichzeitig sicherstellen, dass wir technologische Entwicklungen nicht nur erfüllen, sondern ihnen stets einen Schritt voraus sind.

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Ihre Produktion basiert auf frischen Heilpflanzen. Können Sie immer liefern?
Wir setzen auf ein diversifiziertes weltweites Beschaffungsnetzwerk. Regional arbeiten wir eng mit Frischpflanzenanbietern zusammen, die gezielt für uns anbauen. Bei Pflanzen, die wir nicht in der Schweiz beschaffen können, kooperieren wir mit internationalen Partnern, die unsere Qualitätsstandards erfüllen. Zudem halten wir Pufferbestände für besonders kritische Rohstoffe.

Der US-Markt macht zwar weniger als zehn Prozent Ihres Geschäfts aus, doch Zölle oder regulatorische Hürden können trotzdem entscheidend sein, oder?
Die USA sind für uns ein interessanter Markt, aber nicht der einzige Fokus. Wir wachsen dort gezielt mit Partnern, die den regulatorischen Rahmen kennen. Bei möglichen Zöllen kalkulieren wir Risiken frühzeitig ein. Für uns ist es wichtig, Chancen zu nutzen, ohne die Abhängigkeit von einem einzelnen Markt zu gross werden zu lassen.

Herbamed ist in Europa und Asien stark präsent, insbesondere in Indien, Pakistan und Bangladesch. Welche Märkte haben für Sie Priorität?
In Europa sehen wir weiterhin stabile Nachfrage. In Asien erwarten wir überdurchschnittliches Wachstum, insbesondere in Märkten, in denen die Tradition der Pflanzenmedizin tief verankert ist. Dort kombinieren wir unser Know-how mit lokalem Marktverständnis.

«Mit dem Erweiterungsbau sichern wir die langfristige Wettbewerbsfähigkeit.»

Mit der Christoph-Züllig-Stiftung ist die Unabhängigkeit von Herbamed langfristig gesichert. Was bedeutet diese Konstruktion für Ihre Strategie?
Die Stiftung sichert, dass Herbamed nicht in die Hände kurzfristig orientierter Investoren fällt. Das gibt uns die Möglichkeit, langfristig zu planen und nachhaltig zu investieren. Für die Ostschweiz bedeutet das stabile Arbeitsplätze, Investitionen in den Standort und unsere Verantwortung, die regionale Verwurzelung mit globaler Ausrichtung zu verbinden.

Zum Schluss: Ur-Tinkturen werden als sanfte Alternative oder Ergänzung zur klassischen Medizin genutzt, sind wissenschaftlich aber nicht in allen Anwendungsfeldern belegt. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld zwischen Kundennachfrage und Evidenz um?
Wir sind uns dieses Spannungsfelds sehr bewusst. Bei Herbamed steht die Kraft der Natur im Mittelpunkt: Wir möchten traditionelles Wissen bewahren und für unsere Kunden erlebbar machen. Dazu gehören sowohl Ur-Tinkturen als auch homöopathische Mittel. Unsere Aufgabe ist es, die Brücke zwischen bewährten Naturmitteln und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu schlagen. So können unsere Produkte Menschen auf eine natürliche, sanfte Weise begleiten, ohne dass wir die Bedeutung wissenschaftlicher Evidenz aus den Augen verlieren.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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