«Der Mensch war mir immer wichtiger als Metall»
Brigitte Lüchinger, Sie haben Lüchinger Metallbau über Jahrzehnte geprägt. Wie fühlt es sich an, die operative Verantwortung abzugeben und künftig nur noch strategisch mitzuwirken?
Im Moment noch etwas speziell, auch das bewusste Loslassen. Der Rollentausch wird mit jeder Woche realer, und per Ende Jahr räumen wir unser Büro. Ich freue mich auf die Funktion als Verwaltungsratspräsidentin, bin aber auch gespannt, wie es sich anfühlt, wenn man nicht mehr jeden Tag im operativen Geschäft steht. An dieser Stelle ist es mir wichtig, meinem Ehemann Stefan zu danken. Wir haben uns in der Geschäftsleitung perfekt ergänzt und gemeinsam die Basis für den heutigen Erfolg gelegt.
Die Nachfolge übernehmen Thomas Züger und Leslie Marquart. Warum gerade dieses Duo?
Beide haben bei uns als Lernende begonnen, sich weitergebildet und den Betrieb von Grund auf kennengelernt. Sie haben Verantwortung übernommen, unsere Firmenkultur verinnerlicht und leben sie auch. Ihr Engagement und ihr Verhalten während der Zusammenarbeit und im Auswahlprozess haben uns überzeugt. Die beiden geniessen unser volles Vertrauen und können im Team auf starken Rückhalt zählen. Sie haben den nötigen Respekt, aber auch den Mut, die Zukunft zu gestalten. Besonders gefreut hat mich der spontane Applaus der Mitarbeitenden, als wir die Nachfolge verkündeten.
Eine Nachfolge bringt immer Veränderungen. Wie möchten Sie die neue Geschäftsleitung unterstützen, ohne zu stark einzugreifen?
Thomas Züger und Leslie Marquart leben den Lüchinger-Spirit bereits. Sie haben das Unternehmen über Jahre mitgestaltet und tragen unsere Werte weiter. Wir werden für sie da sein, wenn sie uns brauchen, aber bewusst im Hintergrund bleiben. Veränderungen gehören zu jeder Weiterentwicklung. Ich bin überzeugt, dass sie ihren Weg erfolgreich gehen werden.
«Ich wünsche mir, dass Handwerker wieder echte gesellschaftliche Anerkennung erhalten.»
Sie bleiben als Verwaltungsratspräsidentin eng mit der Firma verbunden. Welche Schwerpunkte möchten Sie in dieser neuen Rolle setzen?
Lüchinger Metallbau ist und bleibt mein Herzblut. Ich werde mich auf die strategische Weiterentwicklung konzentrieren und dabei stets den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wichtig ist mir, dass ich in Zukunft immer weiss, welchen Hut ich gerade trage – den der Verwaltungsratspräsidentin oder den der ehemaligen Unternehmerin.
Sie haben sich in einer Männerdomäne durchgesetzt. Was hat Sie geprägt, und was raten Sie jungen Frauen?
Mich hat die Erkenntnis geprägt, dass der Mensch – unabhängig vom Geschlecht – das zentrale Element bleibt. Führung bedeutet Empathie und Kommunikation, besonders heute im digitalen Zeitalter. Jungen Frauen rate ich: Traut euch, seid nicht zu kritisch mit euch selbst und nutzt Chancen. Wir haben lange für Gleichstellung gekämpft, nun liegt es an uns, sie auch zu leben! Mit Vertrauen, Leistungsbereitschaft und einer gesunden Portion Verzicht lässt sich sehr viel erreichen.
Sie waren oft die erste Frau in einem Gremium, etwa im Vorstand des Schweizer Arbeitgeberverbands …
Das habe ich nie gemacht, um die Erste zu sein, sondern um mich weiterzuentwickeln und etwas zu bewegen. Wichtig waren mir auch das ehrenamtliche Engagement, der Einsatz für Schwächere und die Zeit für Familie und Freunde. Erfolg bedeutet für mich nicht Status oder Gewinn, sondern Dankbarkeit – gegenüber dem Leben, den Menschen und den Möglichkeiten, die ich erhalten habe.
«Gutes Handwerk wird es trotz künstlicher Intelligenz immer brauchen.»
Sie gelten als bodenständig und durchsetzungsstark. Wie gelingt Ihnen die Balance zwischen klarer Führung und partnerschaftlicher Zusammenarbeit?
Ich mag Menschen und ihre Vielfalt. Führung ist wichtig, aber Miteinander ebenso. Ich habe immer partizipativ geführt, mich als Teil des Teams verstanden und vorgelebt, was ich erwartet habe. Ich war ansprechbar – ob bei beruflichen oder privaten Anliegen. In Personalfragen sah ich mich als Dienstleisterin meiner Angestellten. Ein Geländer schweissen kann ich nicht, aber ich konnte dafür sorgen, dass unsere Leute auf ein professionelles HR zählen dürfen.
Lüchinger Metallbau steht für Qualität, Verlässlichkeit und Handschlagkultur. Wie lässt sich diese Identität in Zeiten von Digitalisierung und Fachkräftemangel bewahren?
Indem man genau diese Werte täglich lebt und vorlebt. Freude an der Arbeit, Leistungsbereitschaft und Verbindlichkeit sind für mich nicht verhandelbar. Qualität und Zuverlässigkeit bedeuten, dass man zu seinem Wort steht – ob schriftlich oder mündlich. Das schafft Vertrauen und macht ein Unternehmen langfristig erfolgreich.
Sie engagieren sich stark in der Ausbildung. Warum ist Ihnen die Berufslehre so wichtig?
Gutes Handwerk wird es trotz künstlicher Intelligenz immer brauchen. Deshalb müssen wir unseren Nachwuchs selbst ausbilden und fördern, statt über Fachkräftemangel zu klagen. Die duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell, weil sie Theorie und Praxis verbindet. So kann jeder junge Mensch schon früh Verantwortung übernehmen und Erfolgserlebnisse generieren. Gleichzeitig braucht das Handwerk moderne Bedingungen – flexible Arbeitszeiten, Wertschätzung und Respekt. Viele haben den Bezug zum Handwerk verloren. Dabei ist es harte, anspruchsvolle Arbeit, wenn man etwa 200 Kilogramm schwere Gläser in den dritten Stock tragen muss. Ich wünsche mir, dass Handwerker wieder echte gesellschaftliche Anerkennung erhalten.
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«Wer Werte lebt und vorlebt, braucht keine Angst vor der Zukunft zu haben.»
Auch Nachhaltigkeit wird im Metallbau immer wichtiger. Wo sehen Sie das grösste Potenzial, Verantwortung und Wirtschaftlichkeit zu verbinden?
In der Zusammenarbeit mit regionalen Partnern. Wenn wir in der Region für die Region denken und handeln, stärken wir die lokale Wirtschaft und verkürzen Transportwege. Zudem sollten wir den Fokus wieder stärker auf Qualität und Langlebigkeit legen. Nachhaltigkeit beginnt bei der Materialwahl, reicht aber weit darüber hinaus – es geht um Verantwortung im gesamten Handeln.
Zum Schluss: Wenn Sie auf Ihre Laufbahn zurückblicken – was macht Sie besonders stolz?
Ich bin dankbar, dass ich gestalten durfte – für unsere Mitarbeiter, unsere Kunden und die Region. Besonders berührt hat mich, dass ich das Vertrauen vieler Menschen gewonnen habe. Ich erinnere mich etwa an einen Lernenden, der kurz vor Lehrabschluss abbrechen wollte, um sich ganz seiner Freundin zu widmen. Ich habe ihn eng begleitet, und er hat schliesslich als Erster in seiner Familie einen Abschluss geschafft. Solche Momente zeigen, was man mit Vertrauen und Hartnäckigkeit erreichen kann.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer