Wie die Schweiz klimaneutral bauen kann

Text: PD/stz.
Das Klima- und Innovationsgesetz (KIG) wurde 2023 von der Bevölkerung angenommen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel. Die Schweiz soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Klimaneutrales Bauen, die energetische Sanierung von Gebäuden sowie der Ersatz von Öl- und Gasheizungen sind wichtige Voraussetzungen zur Erreichung dieses ambitionierten Ziels. Allerdings ist die Umsetzung eine komplexe Aufgabe. Damit sich effektive Lösungsansätze wirtschaftlich durchsetzen, muss ein tiefgreifender Wandel nicht nur in der Baubranche, sondern auch in Politik und Gesellschaft stattfinden.
Die Stiftung Think Tank Thurgau hatte gemeinsam mit dem Wissenschaftspartner ZHAW am 19.06.2025 zum Wissenschaftskongress «Klimaneutrales Bauen und Sanieren» ins Casino Frauenfeld geladen. Vertreter aus Wissenschaft, Architektur, Gebäude- und Energietechnik, Planung und Engineering sowie Wirtschaft und Politik diskutierten Herausforderungen und Lösungsansätze.
«Nie war es klarer, wohin die Reise gehen soll!», eröffnete Andrea Paoli, Leiter Amt für Energie Kanton Thurgau, seinen Vortrag. Im Klima- und Innovationsgesetz sind die Ziele zur Reduzierung der Emissionen festgelegt. Netto-Null im Gebäude- und im Mobilitätsbereich ist erreichbar, denn die Schlüsseltechnologien sind bereits vorhanden. Aber es braucht staatliche Leitplanken und Förderinstrumente, für die alle an einem Strick ziehen müssen: die Politik, die Anbieter innovativer Lösungen, aber auch die Forschung und die Brückenbauer, die zwischen den einzelnen Interessen vermitteln.
Fabian Etter, Co-Präsident von Swisscleantech, sieht das Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 ebenfalls als ambitioniert, aber machbar an. Allerdings müssten Wirtschaft und Verkehr bei den Investitionen in klimafreundliche Technologien deutlich an Geschwindigkeit zulegen. Ein «Weiter wie bisher» führt nicht zum Erfolg.
Es gibt bereits zahlreiche Projekte und Pilotvorhaben, die zeigen, wie Dekarbonisierung im Gebäudebestand und bei Neubauten erfolgreich umgesetzt werden kann. Im Innosuisse-Flagship-Projekt «RENOWAVE» arbeiten 55 Umsetzungspartner und 16 Forschungsgruppen aus Industrie, Forschung und Behörden an 16 Themen im Zusammenhang mit der Sanierung des Gebäudebestands. Das Projekt sucht nach Lösungen für den hohen Wärmebedarf von Gebäuden und Alternativen zum Heizen mit fossilen Energieträgern.
Gebäude sind die Hauptemittenten von Treibhausgasen, und 70 Prozent der Gebäude werden immer noch mit fossilen Brennstoffen beheizt. Daniel Philippen, Co-Teamleiter SPF Gebäude & Thermische Netze am SPF Institut für Solartechnik der Ostschweizer Fachhochschule, warnt: «Es wird höchste Zeit, Bestandsgebäude energetisch wirksam zu sanieren.» Pierre Hollmuller von der Université de Genève zeigt mit Wärmepumpensystemen zur Dekarbonisierung von grossen bestehenden Wohngebäuden eine Lösung auf.
Dekarbonisierung hat einen grossen Bedarf an Energiespeichern. Der saisonal unterschiedliche Energiebedarf ist dabei eine besondere Herausforderung. Erdbeckenspeicher könnten dieses Problem lösen, sind aber bisher kaum umgesetzt. Hier kann die Schweiz von anderen Ländern, wie beispielsweise Dänemark, lernen. Ein anderer Ansatz sind Sorptionswärmespeicher, die Stromüberschüsse von Photovoltaikanlagen mithilfe von Natronlauge speichern, um diese bei Bedarf verlustfrei abzurufen.
Oftmals sind technische Lösungen mit hohen Investitionskosten für die Hauseigentümer verbunden. Eine Alternative kann ein Contracting-Geschäftsmodell für Luft-Wasser-Wärmepumpen in Mehrfamilienhäusern sein. Juliana Zapata vom Institute of Sustainable Development an der ZHAW sieht deutliche Vorteile der Contracting-Lösung, da Gebäudeeigentümer Investitionskosten sparen, Heizkosten an Mieter weitergegeben werden können und die Heizkosten während der gesamten Vertragslaufzeit stabil bleiben.
Doch nicht nur bei der Sanierung des Gebäudebestands, sondern insbesondere bei Neubauten kann ein Beitrag zur Reduzierung der CO₂-Emissionen geleistet werden. Bei der Siedlung Alte Schmitte in Güttingen handelt es sich um die ersten klimapositiven Plusenergie-Bauten im Thurgau. Laut Fabrice Bär, Architekt bei Giuseppe Fent AG, produziert die Siedlung viermal mehr Energie, als sie benötigt – was nicht nur die Energiekosten für die Bewohner massiv senkt, sondern auch wirtschaftlich attraktiv ist.
Wie bionisches Bauen auf der Basis biobasierter Baumaterialien wie Hanf, Holz, Kork oder Lehm aussehen kann, macht die Openly AG in Widnau vor. «Für uns ist die Langlebigkeit ein wichtiger Faktor, alle unsere Bauten sollen rückbaubar und wiederverwertbar sein», betont Andy Keel, Gründer und CEO der Openly Holding.
Oftmals ist es für Gebäudebesitzer und auch Gemeinden nicht einfach, die für sie passende Lösung zu finden. Mit dem Werkzeugkasten für Gemeinden zur Beschleunigung energetischer Renovationen bieten das Zentrum für Gemeinden der Ostschweizer Fachhochschule oder der Förderverein Energietal Toggenburg Hilfestellung und Beratung an.
Auch wenn das Ziel formuliert ist, der Wille und technische Lösungen vorhanden sind, bleibt der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Zentrum. Es gilt abzuwägen zwischen unterschiedlichen Interessen, Verfügbarkeiten von Ressourcen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Wichtig ist es, ganzheitlich zu denken und alle Partner ins Boot zu holen, um in die Umsetzung zu gehen.
«Mehr ermöglichen, weniger verhindern und konstruktiv gemeinsam nach Lösungen suchen» ist die Botschaft von Claudio Bernold, Stadtpräsident von Frauenfeld. Wenn wir unsere selbst gesteckten Ziele erreichen wollen, braucht es gemeinsame Anstrengungen, Unterstützung der Politik – aber auch jeder Einzelne ist gefordert, einen Beitrag zu leisten. Wir wissen, wie es geht – wir müssen es nur machen.