Gast-Kommentar

Die Energiekrise ist ein europäisches Problem

Die Energiekrise ist ein europäisches Problem
Ein Gastkommentar von Thomas Stucki, CIO St.Galler Kantonalbank
Lesezeit: 3 Minuten

Die drohende Energiekrise und die sehr hohen Preise für Erdgas und Strom dominieren die Schlagzeilen in Westeuropa und in der Schweiz. Der Preis für eine MWh Erdgas ist in den Niederlanden, dem zentralen Ort für die Bestimmung des Gaspreises in Westeuropa, seit dem Juni noch einmal um 50% von 200 Euro auf 300 Euro gestiegen. 2020, während Corona, war Gas mit 4 Euro fast gratis zu haben. Vor Corona pendelte der Preis pro MWh um 15 Euro. Den Anstieg mit dem Wort «dramatisch» zu bezeichnen, ist sicherlich gerechtfertigt.

Da momentan Gaskraftwerke das Zünglein an der Waage bei der europäischen Stromversorgung spielen, bestimmt der Gaspreis auch den Strompreis. Der Tagespreis ist starken Schwankungen unterworfen, die das Leben der Stromhändler schwierig machen. Aussagekräftiger sind deshalb die Terminpreise.

In Deutschland muss für Strom, der in einem Monat geliefert wird, fünfzehnmal mehr bezahlt werden als 2019. Für in einem Jahr gelieferten Strom ist der Preis gar das zwanzigfache von 2019. Sogar der Preis für in drei Jahren gelieferten Strom ist in den letzten zwei Wochen deutlich teurer geworden, auch wenn der Preisaufschlag zu 2019 «nur» der Faktor fünf ist.

Während die Preisausschläge für Liefertermine in den nächsten Monaten mit der drohenden Mangellage im nächsten Winter erklärt werden können, ist eine Erklärung für die länger laufenden Geschäfte schwieriger. Die Abhängigkeit vom russischen Gas wird ab dem nächsten Frühjahr abnehmen. Im Strom- und Gasmarkt wird offensichtlich auch auf den kurzfristigen Gewinn spekuliert.

Keine Krise in Nordamerika

Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht die Situation wesentlich entspannter aus. Eine Versorgungskrise mit Energie ist kein Thema. Der Preis des an der Nymex gehandelten Kontraktes für Erdgas schwankt zwar auch stark, aber auf einem Niveau, welches nur das Zwei- bis Vierfache des Preises von 2019 beträgt.

Bei den länger laufenden Kontrakten, die weniger der Spekulation ausgesetzt sind, ist der Preis nur unwesentlich höher als vor Corona. Zudem steigt in den USA die Zahl der Förderanlagen für Gas stark an, nachdem während Corona mehr als die Hälfte von ihnen stillgelegt wurden. Der Strompreis ist in den USA im Vergleich zu früher lediglich um 10% bis 20% gestiegen und zeigt die üblichen saisonalen Muster mit dem Höhepunkt im Sommer, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen.

Der grösste Diskussionspunkt in Energiefragen bleibt der Benzinpreis.

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Kaum Einfluss auf Weltwirtschaft

Für die Volkswirtschaften in Europa wird der nächste Winter schwierig und die Gefahr eines Einbruchs der Konjunktur über die Wintermonate ist nicht unerheblich. In den USA wird es keine Rezession aus Energiegründen geben, in den asiatischen Ländern auch nicht. Der grösste Teil der Weltwirtschaft wird deshalb von einer Gas- und Stromknappheit in Europa nur indirekt betroffen sein.

Das ist aus zwei Gründen positiv zu werten. Zum einen droht kein grosser Einbruch der Weltwirtschaft wie nach der Finanzkrise, die alle Regionen gleichzeitig belastete. Zum andern wird die Nachfrage nach Produkten aus Europa immer noch da sein, wenn die Produktion nach einer möglichen, hoffentlich aber nicht eintretenden, Kontingentierung von Strom oder Gas wieder hochgefahren wird.

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