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«Viele übersehen destruktive Eigenschaften bei Führungskräften»

«Viele übersehen destruktive Eigenschaften bei Führungskräften»
Simon Carl Hardegger
Lesezeit: 5 Minuten

Der Herisauer Psychologe Simon Carl Hardegger, Leiter des Zentrums Diagnostik, Verkehrs- und Sicherheitspsychologie an der ZHAW, skizziert, wie man toxische Führung früh erkennt, welche Rolle Unternehmenskultur spielt und warum psychologische Eignungsdiagnostik mehr Gewicht erhalten sollte.

Simon Hardegger, Sie führen täglich Gespräche mit Menschen, die in sicherheitskritischen Berufen arbeiten. Was können Unternehmer daraus lernen, wenn es um die Auswahl von Führungskräften geht?
Das Wichtigste ist, dass man bewusst auf risikotreibende Aspekte und destruktive Neigungen achtet! Gemeinhin werden vor allem Fähigkeiten, Kompetenzen und weitere Ressourcen in den Vordergrund gestellt. Und das ist auch gut und wichtig. Wer jedoch nicht auch negative Aspekte bei der Auswahl mitberücksichtigt, wird dazu auch keine Antworten mit entsprechenden Erkenntnissen gewinnen. Damit bleiben kritische Risiken im Dunkeln.

In Assessments erkennen Sie innert kürzester Zeit, ob jemand für eine verantwortungsvolle Rolle geeignet ist. Was sind für Sie die häufigsten Warnzeichen für toxische Führung?
Wenn man weiss, worauf zu achten ist, und während des Assessments gezielt ein Augenmerk darauf hat, erkennt man Warnzeichen rasch, auch wenn sie prima vista nicht sichtbar sind. Warnzeichen sind für uns Eigenschaften, Denkmuster und Verhaltensmerkmale, die klassischerweise und durch Forschung belegt auf toxisches Führungsverhalten hinweisen. Insgesamt treten solche Warnzeichen nicht so häufig auf – zum Glück. Falls doch, dann sind es vor allem Aspekte wie starke Unverträglichkeit, die Bereitschaft, Regeln zu dehnen oder zu brechen, ausgeprägter Egoismus, latente Gewissenlosigkeit oder arrogantes und herablassendes Benehmen.

Warum schaffen es ausgerechnet narzisstische, kontrollierende Persönlichkeiten immer wieder in Führungspositionen – auch in KMU?
Personen mit narzisstischen Verhaltenstendenzen oder sogenannte Mikro-Manager weisen neben eher negativen Eigenschaften eben auch viele positive auf. Dazu gehören Begeisterungsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Risikobereitschaft oder Sinn für Details. Häufig werden diese positiven Eigenschaften «dankend» angenommen und vorschnell eine Analyse beendet. Um Personen ganzheitlich zu erfassen – inklusive einer stellenbezogenen Risikoeinschätzung –, muss gezielt nach potenziellen menschlichen Risiken gesucht werden, um hinter die Fassade blicken und allfällige Nachteile für eine Organisation abschätzen zu können.

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«Wer bei der Auswahl von Führungskräften nur auf Kompetenzen achtet, lässt kritische Risiken im Dunkeln.»

Welchen Einfluss hat schlechte Führung auf die psychische Gesundheit von Mitarbeitern – gerade in kleinen und mittleren Unternehmen mit flachen Hierarchien?
Man weiss aus der Forschung schon eine ganze Weile, dass schlechte Führung Stress auslöst – ganz unabhängig von der Grösse der Organisation. Über die Zeit können sich negative Konsequenzen für betroffene Personen auf der Ebene der Gesundheit zeigen, bis hin zu Burnout-Konstellationen und einer Verschlechterung des emotionalen Wohlbefindens im Privatleben. Verbunden damit sind zum Beispiel auch tiefere Leistungsbereitschaft, schlechtere Arbeitszufriedenheit, höhere Kündigungsabsicht und sogar die Bereitschaft, sich selbst destruktiv gegen die eigene Organisation zu verhalten. 

Wie kann ein Unternehmer ohne psychologischen Hintergrund im Bewerbungsgespräch erkennen, ob jemand nur glänzt oder wirklich führen kann?
Die beste Methode ist immer noch, Bewerber in möglichst realistischen Situationen direkt zu beobachten. Man könnte also für eine bestimmte Führungsposition eine erfolgskritische Situation – zum Beispiel ein Verhandlungsgespräch – zu einer kurzen Übung modellieren, das gezeigte Verhalten beobachten und mit der vorher definierten Erwartung abgleichen. Dazu erstellt man vorab eine Liste von Kriterien, die für ein erfolgreiches Abschneiden in der erfolgskritischen Situation gezeigt werden sollen. Diese kann mit negativen Aspekten ergänzt werden, die explizit nicht gezeigt werden sollen. Für den fundierten Blick hinter die Fassade ist aber immer noch eine Zusammenarbeit mit Auswahl-Profis notwendig.

Ihnen ist Sozialkompetenz sehr wichtig. Wird diese bei der Rekrutierung von Führungskräften noch immer unterschätzt?
Das denke ich nicht. Durch die vielen Kontakte mit Unternehmern oder verantwortlichen Personen für Auswahlprozesse in den Organisationen sehe ich, dass Sozialkompetenz absolut im Bewusstsein der Leute ist. Man ist durchaus sensitiv, und die meisten Personen mit Berufserfahrung haben schon erlebt, was es heisst, wenn Sozialkompetenz nur ungenügend vorhanden ist. Der Haken liegt dann eher darin, in belastbarer Weise positive und wirkungsvolle Sozialkompetenz erkennen zu können sowie gleichzeitig negative und destruktive Tendenzen nicht zu übersehen. Vorausgesetzt natürlich, man hat überhaupt eine Auswahl und ist nicht unter dem Druck, eine Stelle um jeden Preis besetzen zu müssen.

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Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur in der Entwicklung von guten – oder schlechten – Führungspersönlichkeiten?
Sie spielt insofern eine Rolle, als dass sie Dinge ermöglicht oder unterbindet. Als Taktgeberin für ein gemeinsames Verständnis über die Ausführung von Arbeiten, Kommunikationsstile, Entscheidungsprozesse, Werte und den Umgang miteinander – nach innen und aussen – wird die Unternehmenskultur auch Einfluss auf das Führungsverständnis, akzeptierte Führungsstile, Führungskommunikation, Führungskräfteentwicklung oder eben auch die Toleranz von destruktiven Verhaltenstendenzen haben. Mitunter können auch Subkulturen in einzelnen Abteilungen korrigierend oder verschlimmernd wirken. Wichtig bleibt zuletzt das aktive Wahrnehmen von Verantwortung durch die Geschäftsleitung. 

Wenn ein Mitarbeiter oder ein Team unter einer schwierigen Führungskraft leidet, wird das in vielen KMU lange toleriert. Was raten Sie Unternehmern in solchen Situationen?
Die oberste Instanz für das Tolerieren von Fehlverhalten ist die Geschäftsleitung. Sie ist eine zentrale Trägerin der Unternehmenskultur und hat neben der rechtlich verbindlichen Fürsorgepflicht auch eine moralische Verantwortung, Dinge zu korrigieren, die nicht richtig laufen. Es ist ganz einfach: Die verantwortlichen Personen müssen hinschauen. Das ist unter Umständen nicht angenehm, aber es führt kein Weg daran vorbei. Präventiv geht es für eine Geschäftsleitung auch darum, frühzeitig Konstellationen wahrzunehmen, die potenziell Leid verursachen. Dazu ist ein regelmässiger Austausch mit den Führungskräften sowie den Mitarbeitern notwendig, um nichts zu verpassen oder nicht plötzlich überrascht zu werden.

In Ihrer Arbeit geht es nicht nur um Eignung, sondern auch um Verantwortung. Sollte psychologische Eignungsdiagnostik nicht viel breiter eingesetzt werden?
Psychologische Eignungsdiagnostik sollte überall dort zum Einsatz kommen, wo man es wirklich wissen will. Es braucht also eine Priorisierung, wo man die Zusatzinvestition effektiv tätigen will und wo man mit anderen Methoden ausreichend bedient ist. Die Aufwände für psychologische Eignungsdiagnostik sind in der Regel völlig überschaubar, der Gewinn, den man daraus zieht, meistens um ein Vielfaches grösser. Verantwortung ist eine bewusste Haltung, die für bestimmte Positionen – aufgrund der Tragweite von Entscheidungen oder des Schadenspotenzials bei mangelnder Kompetenz – wichtiger ist als bei anderen Funktionen. Diese Haltung lässt sich relativ einfach feststellen. Wo dies erfolgen soll, muss die Geschäftsleitung entscheiden.

Sie selbst haben schwere Zeiten erlebt. Wie prägt Ihre persönliche Geschichte den Blick auf Menschen – und wie beeinflusst sie Ihre Arbeit als Diagnostiker und Führungskräftecoach?
Ich hatte das Glück, dass ich auch sehr schwierige Situationen einigermassen gut in mein Leben integrieren konnte – auch durch ein gutes soziales Umfeld. Das hilft enorm. Nicht nur deswegen, aber auch mit etwas Lebenserfahrung und bewusster persönlicher Weiterentwicklung betrachte ich heute vieles differenzierter und bringe die Dinge auch weniger mit mir in Verbindung. Es ist mir klarer und bewusster, wo ich wofür zuständig bin und wo ich auf welche Weise effektiv unterstützen kann. Ich bin sicher auch offener und akzeptierender geworden, kann Lebensumstände von anderen vielleicht besser einordnen und weiss auch besser, wie Belastungsfaktoren wirken können. Als spezialisierter Psychologe für selektive Auswahlprozesse funktioniere ich sehr klar und professionell, orientiere mich konsequent an Standards und Prozessen – und ich weiss, dass ich nicht einfach mit irgendeiner «Gabe» Resultate erziele, sondern durch methodisches Arbeiten und hartnäckige Qualitätssicherung.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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