Nachfolge ohne Nachfolger?

«Ihre These, die heutige Generation potenzieller Nachfolger sei zu bequem, um Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen, ist falsch», antwortet Rolf Brunner zu Beginn auf meine entsprechende Frage. «Eher fehlt es noch am Willen, Verantwortung in allen Facetten zu tragen. Und eine Verallgemeinerung wäre ohnehin nicht richtig, denn es gibt durchaus Beispiele, wo man sich hinstellt und übernimmt.» Damit widerspricht er dem gängigen Vorurteil, dass die Jugend nicht bereit sei, die Ärmel hochzukrempeln.
«Lernen zu dürfen, ist ein Vermögen.»
Nicht seltener, aber aufwendiger
Nach seiner Einschätzung ist der Übernahmeprozess nicht seltener geworden, dafür aufwendiger. «In den Generationen X und Y gibt es immer mehr Familienmitglieder, die von den Babyboomern ein Unternehmen übernehmen sollen, können und wollen. Die Vorbereitung ist umfangreicher geworden – keine Frage.» Viele junge Menschen wollten zuerst eigene Erfahrungen sammeln, was Brunner nachvollziehen kann. Entscheidend sei, den Wiedereinstieg attraktiv zu halten. «Man muss Gefässe schaffen, in denen sich die Familie wiederfindet, und pro Familienmitglied ein Forderungs- und Förderungsprogramm aufsetzen. Es geht darum, zu zeigen, dass nichts von ungefähr kommt und dennoch die Chancen intakt sind. Man muss wollen wollen.»
Auch zur Frage nach Pflichtjahren ausserhalb des Familienbetriebs hat Brunner eine klare Haltung: «So absolut sehe ich es nicht. Aber Lehr- und Wanderjahre sind sinnvoll, konkrete Beispiele zeigen das. Wichtig ist, dass ein Wiedereinstieg geplant wird und nicht einfach im Hauruck-Verfahren geschieht.»
Sinn und Wirkung sind gefragt
Viele der nachfolgenden Generationen suchten Sinn, Wirkung und neue Technologien. «Sie sind top ausgebildet – da haben die Babyboomer einen super Job gemacht und wichtige Voraussetzungen geschaffen. Es gibt nicht nur materielle, pekuniäre Werte, sondern auch ideelle. Lernen zu dürfen, ist ein Vermögen.» Genau deswegen habe Continuum ihrem traditionellen Forum (13. November, Einstein St.Gallen) heuer eine Werkstatt vorangestellt. «Wir wollen die nächste Generation auf kommende Herausforderungen sensibilisieren – etwa Risikomanagement, grenzüberschreitendes Banking oder intelligentes Wealth Management. So haben wir ein Programm geschaffen, das Basisarbeit über Generationen hinweg leisten will.»
Denn zentral sei für alle übergabebereiten Familienunternehmen, eine Familienverfassung zu entwickeln, die Meritokratie sichert, ohne den familiären Charakter zu verlieren. «Alle Familienmitglieder, auch Angeheiratete, sollen einbezogen werden. Werte wie Bescheidenheit und Demut müssen erarbeitet, festgehalten und gelebt werden. Das ist die Basis für eine Eignerstrategie, die von allen mitgetragen wird. Ein cooler Prozess», findet Brunner.
«Zukunft braucht Herkunft»
Nicht immer führe der Weg über die operative Leitung. «Zukunft braucht Herkunft. Wer seine Wurzeln kennt, findet leichter den Weg. Es geht nicht darum, um jeden Preis eine operative Rolle einzunehmen. Weshalb nicht über einen Einstieg in den Verwaltungsrat oder einen Gestaltungsrat? Die Generation ist top ausgebildet – dieses Potenzial ungenutzt zu lassen, wäre schade.»
Und was, wenn sich kein Nachkomme für die Führung findet? «Wir sprechen bewusst von einem familienexternen CEO, nicht einfach von einem externen. Das gibt Nähe und unterstreicht die Rolle der Familie. Aber auch hier gilt: Ganzheitlich denken, nicht zu früh Lösungen vorgeben. Wenn ein Vater meint, die Tochter wolle nicht – wurde sie überhaupt gefragt? Mit unserem Strategie-Quartett etwa zeigen wir Handlungsalternativen auf und, einmal entschieden, setzen sie konsequent um», sagt Rolf Brunner. Gerade heikle Themen wie Rückzug der Senior-Generation, Vergütung oder Leistungskultur müssten in der Familie bewusst adressiert werden. «Wir beispielsweise gehen vom Individuum zur Familie. Ausgehend von der Ich-Strategie – was will ich? – wird eine Familienstrategie erarbeitet, die in eine Familienverfassung mündet. Dort sind Werte verankert, ebenso wie Diskussionskultur, Familienanlässe oder der Umgang mit Streit.»
«Meritokratie sichern, ohne den familiären Charakter zu verlieren – das ist die Kunst.»
Externe Begleitung ist entscheidend
Für diesen Prozess sei externe Begleitung oft entscheidend. «Eine professionelle Begleitung hilft, zu strukturieren, zu systematisieren und umzusetzen. Es gibt viele Projektkönige, aber auch Umsetzungszwerge. Wir müssen auf die Umsetzung achten – sie ist der Schlüssel.»
Das Continuum Forum 2025 steht unter dem Motto «Das Familienmitglied im Spannungsfeld zwischen Familienunternehmen und Unternehmerfamilie». Brunner will den Teilnehmern verdeutlichen, dass ein Familienunternehmer viele Rollen gleichzeitig trägt – Vater, Mutter, Eigner, Geschäftsführer. «Das ergibt ein Spannungsfeld per se. Aber mit dem erprobten Ansatz ASESÖEFFÜ – Ausrichten auf das Ziel, Schwergewichtsbildung, Einfachheit der Planung, Sicherheit für Familie und Unternehmung, Ökonomie der Kräfte, Einheitlichkeit des Handelns, Flexibilität, Freiheit nehmen sowie zeitweilig überraschen – kann jede Nachfolgelösung erfolgreich sein. Man muss nur wollen – und dann machen.»
Das Forum beginnt mit Werkstätten, in denen Partner wie Hypobank Vorarlberg, Funk Insurance und Swiss Life konkrete Themen für die junge Generation ansprechen. Im Hauptprogramm referiert Neurowissenschaftler Lutz Jäncke über das menschliche Gehirn und Verhaltensmuster. «Ich bin neugierig, wie er das Dilemma Nachfolge beleuchtet und welche Lösungen er aufzeigt», so Rolf Brunner. Mit Oliver Vietze, einem erfolgreichen Unternehmer mit starker Familienbande (Baumer Group), kommt zudem eine gewichtige Unternehmerstimme zu Wort. Den Abschluss bildet eine moderierte Podiumsdiskussion mit Praxisbeispielen, die das Programm abrunden.
Am Ende gibt Brunner Unternehmerfamilien mit auf den Weg: «Seien Sie authentisch, handeln Sie einfach und getrauen Sie sich, den Kompass immer wieder neu zu richten.»
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer