Hightech-Fasern aus St.Gallen erobern den Globus

«Biontec ist ein Hightech-Unternehmen, das sich auf die Entwicklung und industrielle Fertigung von Composite-Bauteilen spezialisiert hat», fasst CEO Stefan Germann zusammen. «Unsere Stärke liegt in einer bionischen Faserablage, die sich an der Natur orientiert. Wir setzen das Material genau dort ein, wo es gebraucht wird – und nicht nach dem Schema F. So entstehen nicht nur leichte, sondern auch extrem belastbare und zugleich effiziente Strukturen.»
Von der Stickerei zum Leichtbau
Die Wurzeln von Biontec reichen bis ins Jahr 2009 zurück: Damals gründeten die Patrons der Forster Rohner, Erika und Ueli Forster, sowie der Stickereiunternehmer Martin Böhler gemeinsam mit dem Liechtensteiner Automatisierungsspezialisten Pantec das Unternehmen in St.Gallen. «Die Idee war, das reiche Stickerei-Know-how mit der Leichtbautechnologie zu verbinden», erklärt Germann. «Aus dieser Kombination ist eine Fertigungsmethode entstanden, die heute weltweit einzigartig ist.»
Von Beginn an war klar: Die Textilstadt St.Gallen sollte nicht nur Mode hervorbringen, sondern auch technisch anspruchsvolle Bauteile aus textilen Verfahren. «Die Präzision der Stickerei, die Fähigkeit, Garne in den vielfältigsten Mustern abzulegen, und das umfassende Materialverständnis – all das haben wir übernommen und in Composite-Bauteile übertragen. Das ist unser Fundament.»
«Wir richten Fasern nach den tatsächlichen Lastpfaden des Bauteils aus.»
Einsatz in unterschiedlichsten Branchen
Heute beliefert Biontec zahlreiche Industrien. «Unsere Kunden stammen aus der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik, dem Maschinenbau, dem Defensebereich, der Mobilität oder dem Sport. Überall dort, wo Gewicht, Festigkeit und Präzision entscheidend sind, ist unsere Technologie gefragt. Besonders stark wächst aktuell der Luftfahrtbereich, weil dort der Druck auf Effizienz und Nachhaltigkeit enorm ist.»
Auch in der Medizintechnik zeigen sich die Vorteile deutlich: «Ein Carbon-Bauteil ist auch strahlentransparent und erlaubt deshalb Operieren ohne störende Schatten. Mit unseren Composite-Lösungen haben wir bereits bahnbrechende Innovationen für die Medizinaltechnik realisiert, worauf wir sehr stolz sind.»
In der Messtechnik kommt die geringe thermische Ausdehnung zum Tragen. «Die Präzision von Messungen ist damit unerreicht höher. Dank der Leichtigkeit sind handgeführte Scannersysteme mit unserer Technologie auch in der Anwendung beliebt», so Germann.
Unsichtbare Bauteile mit grosser Wirkung
Im Maschinenbau überzeugen vor allem Gewicht und Steifigkeit. «Bauteile können dank dem tieferen Gewicht und der hohen Steifigkeit präzise und schneller bewegt werden als Konkurrenzprodukte. Das spart Energie und Kosten bei gleicher Präzision oder ermöglicht eine höhere Taktfrequenz», sagt er.
Viele dieser Komponenten bleiben für Endkunden unsichtbar. «Vor allem bei Teilen für die Maschinenindustrie stimmt das. Oft verschwinden sie im Inneren eines Geräts oder einer Maschine.» Der Unterschied zeige sich jedoch klar in der Performance: weniger Energieverbrauch, höhere Präzision, geringerer Wartungsaufwand. «Angesichts der Vorteile ist es einfach, diese den Kunden transparent zu machen, weil für sie die harten Fakten zählen.»
Bionische Ablage statt Schema F
Technologisch unterscheidet sich Biontec deutlich von klassischen Herstellverfahren. «Während herkömmliche Methoden Fasern schichtweise ablegen, richten wir sie nach den tatsächlichen Lastpfaden des Bauteils aus. Das ist effizienter, spart Material und eröffnet eine neue Freiheit in Design und Konstruktion. Wir können damit Strukturen realisieren, die bisher nicht möglich waren. Unsere Prozesse sind halbautomatisiert und damit für grosse Stückzahlen ausgelegt», erklärt Germann.
Dass all die Produkte «Developed in St.Gallen» sind, ist für Germann ein Qualitätssiegel. «Die Stadt hat eine über hundertjährige Tradition im textilen Engineering. Die Präzision, die Erfahrung mit Fäden, Mustern und Strukturen – all das fliesst bei uns in den Hightech-Leichtbau ein. Dieses Umfeld gibt es so nur hier, und es prägt unsere Kultur.»
Die Verbindung zu Forster Rohner ist bis heute eng. «Forster Rohner bringt textile Kompetenz und Innovationsgeist mit. Wir übersetzen dies in die Welt der Carbon-Bauteile. Man kann sagen: Die DNA der Stickerei lebt bei uns weiter – nur eben in einer anderen Industrieumgebung.»
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Innovation als Dauerauftrag
Stillstand ist für Stefan Germann keine Option. «Wir arbeiten laufend daran, unsere Verfahren weiter zu verfeinern – von noch präziseren Faserablagen bis hin zu stärker automatisierten Prozessen. Unser Ziel ist es, komplexe Bauteile in Serie wirtschaftlich herzustellen, ohne Kompromisse bei Qualität oder Individualität.» Ein wichtiger Schritt war die Entwicklung eigener Optimierungsprogramme. «2019 haben wir eine Software entwickelt, mit der wir die Faserablage virtuell simulieren können», erklärt Germann. «Damit lassen sich Belastungen im Voraus analysieren und das Material gezielt einsetzen. So entsteht ein digitaler Zwilling des späteren Bauteils, bis auf die Faser heruntergebrochen, was die Entwicklung beschleunigt und die Sicherheit erhöht.»
Forschung und Entwicklung sind für Biontec Kernarbeit. «Wir entwickeln vieles intern, arbeiten aber auch mit Hochschulen und Forschungsinstituten zusammen. Das bringt uns frische Impulse – etwa bei Simulationen, neuen Harzsystemen oder Automatisierungslösungen – und erlaubt uns gleichzeitig, Ideen rasch in die industrielle Praxis zu übertragen.»
«Wir können Strukturen realisieren, die bisher nicht möglich waren.»
St.Gallen bleibt Herzstück
Neben Innovation spielt Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. «Unsere Composite-Bauteile haben von Natur aus einen ressourcenschonenden Charakter, weil wir Material nur dort einsetzen, wo es wirklich gebraucht wird. Ferner entwickeln wir Verfahren, die Abfall reduzieren und den Energieeinsatz minimieren. Für uns ist Leichtbau nicht nur eine technische Disziplin, sondern auch ein Beitrag zur Ressourcenschonung», betont Germann.
Auch die Expansion ins Ausland treibt Biontec voran. «Wir haben Kapazitäten bei einer der Gruppengesellschaften in Rumänien aufgebaut und im Sommer 2025 den Produktionsstandort in China offiziell eröffnet. Damit sind wir näher bei den Kunden, die weltweit tätig sind, und können zugleich die Innovationskraft und Entwicklungsfähigkeit in St.Gallen sichern.» Der Standort St.Gallen bleibe jedoch Herzstück der Firma. «Für uns ist klar: Die Zentrale bleibt in St.Gallen, aber wir denken und arbeiten global.»
Partnerschaften statt Zuliefererrolle
Die Zusammenarbeit mit den Kunden sei dabei immer partnerschaftlich. «Wenn ein Kunde mit einem Vorhaben zu uns kommt, setzen wir uns an einen Tisch, analysieren die Anforderungen und entwickeln gemeinsam ein Konzept. Von der Simulation über Prototypen bis zur Serienfertigung begleiten wir den gesamten Weg.»
Für Germann ist das gelebte Kultur: «Wir verstehen uns als Partner unserer Kunden, nicht als reiner Zulieferer. Unser Anspruch ist es nicht, einfach ein Bauteil zu liefern – sondern eine Lösung, die den entscheidenden Unterschied macht. Dieses Denken hat uns in den vergangenen 15 Jahren geprägt und wird uns auch in Zukunft leiten.»
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer