Digitalisierung im Doppelspur-Modus

Die Standeskommission Appenzell Innerrhoden hat entschieden, zwei zentrale Digitalisierungsprojekte nicht wie geplant umzusetzen. Betroffen sind die Einführung des elektronischen Dossiers und das neue Ratsinformationssystem. Beide Vorhaben sollten 2025 starten, müssen nun aber auf 2026 verschoben werden. «Die Ressourcen im Amt für Informatik reichen nicht aus, um diese Projekte parallel zu den dringenden Betriebsaufgaben zu stemmen», sagt Ursulina Kölbener. Damit wird ausgerechnet in einer Phase, in der die digitale Transformation in der öffentlichen Verwaltung an Dynamik gewinnt, der kleine Kanton Appenzell I.Rh. Ausgebremst.
«Das elektronische Dossier gilt als Schlüssel für eine durchgängige Digitalisierung von Prozessen.»
Mehr als ein Update
Beim elektronischen Dossier handelt es sich um weit mehr als nur ein technisches Update: Mit ihm soll das digitale Primat in der Schriftgutverwaltung eingeführt werden. Die Posteingänge würden künftig zentral gescannt und in digitaler Form weiterverarbeitet. «Damit schaffen wir die Grundlage für eine konsequent digitale Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen», erklärt Kölbener. Auch das Ratsinformationssystem hätte erneuert werden sollen. Es soll die Plattform grinfo.ai.ch ablösen und den Grossräten eine moderne Sitzungs-App zur Verfügung stellen, mit der sie sich auf die Sessionen vorbereiten und währenddessen direkt digital arbeiten können.
Beide Projekte sind strategisch bedeutsam: Das elektronische Dossier gilt als Schlüssel für eine durchgängige Digitalisierung von Prozessen innerhalb der Verwaltung. Ohne diese Basis lassen sich viele nachgelagerte Vorhaben nur schwer umsetzen. Das neue Ratsinformationssystem wiederum wäre ein sichtbares Signal an die Politik gewesen, dass auch die Legislative in den digitalen Wandel einbezogen wird. «Die Verschiebung ist deshalb ein Rückschlag, weil wir interne Abläufe nicht wie geplant optimieren können», sagt Kölbener.
Weniger Personal, weniger Ressourcen
Der Grund für den Stopp liegt nicht in mangelnder Bereitschaft, sondern in den politischen Rahmenbedingungen: Ursprünglich war vorgesehen, das Amt für Informatik personell zu verstärken. Doch der Grosse Rat kürzte im Dezember 2024 das Personalbudget. In der Folge konnten geplante Stellen nicht besetzt werden. Entsprechend mussten Projekte verschoben werden. «Wir benötigen alle verfügbaren Kräfte für Betriebsprojekte wie etwa die Ablösung von Skype for Business. Zusätzliche Anwendungen, die intern betrieben werden, lassen sich aktuell schlicht nicht einführen», sagt Kölbener.
Auf die Frage, ob diese Verzögerungen Auswirkungen auf Unternehmen hätten, sagt sie: «Im Moment bleiben die Effekte verwaltungsintern. Aber die Verschiebung bedeutet natürlich auch, dass nachgelagerte Vorhaben später starten können. Damit kann sich die Umsetzung digitaler Dienstleistungen für Unternehmen verzögern.» Wer also in den kommenden Jahren auf neue Online-Services gehofft hatte, wird sich unter Umständen länger gedulden müssen.
Mitwirkungsplattform kommt dennoch
Immerhin gibt es auch eine positive Nachricht: Ein anderes Projekt, das ursprünglich später geplant war, wird nun vorgezogen: die Einführung einer Mitwirkungsplattform. Sie soll Bürgerinnen und Bürgern, politischen Verbänden und Unternehmen ermöglichen, sich aktiv in politische Prozesse einzubringen. Da die Plattform als Software as a Service betrieben wird, bindet sie im Amt für Informatik deutlich weniger Ressourcen. «Wir konnten hier Prioritäten verschieben und trotzdem einen Fortschritt erzielen», sagt Ursulina Kölbener.
Das Beispiel zeigt die Gratwanderung, in der sich eine Verwaltung befindet: Einerseits besteht politischer und gesellschaftlicher Druck, die Digitalisierung voranzutreiben. Andererseits sind die Mittel beschränkt. Externe Partner werden zwar regelmässig beigezogen, doch ganze Projekte lassen sich kaum auslagern. «In aller Regel ist die IT-Infrastruktur des Kantons betroffen. Weiter ist es für uns zentral, das Know-how auch intern aufzubauen», erklärt Kölbener. Ein reiner Outsourcing-Ansatz würde der Verwaltung langfristig mehr schaden als nutzen.
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Ausserrhoden baut aus
Für die Zukunft gibt es dennoch Hoffnung. Eine Stellenaufstockung im Amt für Informatik ist bereits budgetiert, das letzte Wort hat der Grosse Rat in der Dezember-Session. Sollte er zustimmen, könnten die beiden grossen Projekte, das elektronische Dossier und das Ratsinformationssystem, die schon weit fortgeschritten sind, 2026 weitergeführt werden. «Wir gehen davon aus, dass wir die Arbeiten dann wieder aufnehmen und erfolgreich abschliessen können», so Kölbener. Interessant ist der Vergleich mit dem Nachbarkanton Appenzell Ausserrhoden: Dort wurde im Juli 2025 das Konzept für ein Kompetenzzentrum Digitale Transformation verabschiedet. Wurde nie in Betracht gezogen, ob sich Innerrhoden nicht am ausserrhodischen Kompetenzzentrum beteiligen wolle oder dieses für beide Kantone eingerichtet werden könnte? Ursulina Kölbener verneint: «Die kantonale Verwaltung Appenzell I.Rh. betreibt bereits seit 2022 mit dem Fachbereich digitale Verwaltung ein Kompetenzzentrum für digitale Transformation und KI. Appenzell A.Rh. hat den Aufbau eines solchen Zentrums gerade beschlossen. Selbstverständlich bin ich im Austausch mit unseren Nachbarkantonen – strategisch, aber auch konkret projektbezogen.»
«Ein reiner Outsourcing-Ansatz würde der Verwaltung langfristig mehr schaden als nutzen.»
Austausch und Vernetzung helfen
Denn Kooperationen sind auch für Innerrhoden ein Thema. «Wir stehen in engem Austausch – nicht nur mit Appenzell A.Rh., sondern auch mit Verwaltungen in der ganzen Schweiz», sagt Kölbener. Der Erfahrungsaustausch helfe, eigene Projekte gezielter zu planen und Fehler zu vermeiden. Gerade für einen kleinen Kanton sei die Vernetzung entscheidend, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. So bleibt am Ende ein gemischtes Bild: Appenzell I.Rh. muss wichtige Projekte verschieben, weil Personal fehlt. Gleichzeitig zeigt der Kanton aber die Bereitschaft, mit pragmatischen Lösungen wie der Mitwirkungsplattform vorwärtszumachen und den Kontakt zu anderen Verwaltungen zu pflegen.
Ob die Aufstockung im Amt für Informatik tatsächlich kommt, wird sich im Dezember 2025 entscheiden. Klar ist schon jetzt: Die digitale Zukunft wartet nicht, und Innerrhoden wird sich daran messen lassen müssen, wie schnell es den Anschluss wieder findet.
Text: Patrick Stämpfli, Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer