Der Export in die USA geht zurück
Konjunkturprognosen zu erarbeiten ist in turbulenten Zeiten kein leichtes Unterfangen, bestätigt Jan Riss, der Chefökonom der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell. Die Prognoseunsicherheit sei aber nichts im Vergleich zur Unsicherheit, mit der sich insbesondere die exportierenden Unternehmen zuletzt konfrontiert sahen. «Wie soll man bitte schön halbwegs verlässlich kalkulieren und verhandeln, wenn sich über Nacht an der Zoll- und Währungsfront wieder alles ändern kann oder Bestellungen einfach nicht abgerufen werden?» fragt Jan Riss und weiss: «Vor allem Unternehmen mit langen Auftragszyklen, beispielsweise im Maschinen- und Fahrzeugbau, stehen hier vor schwierigen Aufgaben.»
Die gemeinsame Absichtserklärung mit den USA, infolge derer die US-Importzölle auf Schweizer Waren auf 15 Prozent sinken sollen, sei insofern ein positives Signal. «Das schafft immerhin etwas mehr Planungssicherheit und beseitigt den Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus der EU und Japan», erklärt Jan Riss. Doch der IHK-Chefökonom betont: «Das Zollniveau ist weiterhin hoch. Neben den direkten Auswirkungen auf die Exporte machen sich die US-Zölle auch weiterhin indirekt bemerkbar. Die geringere Nachfrage für Vorleistungen aus Europa und die gestiegene globale Unsicherheit belasten die Ostschweizer Industrie.»
«Die tieferen US-Zölle schaffen immerhin etwas mehr Planungssicherheit und beseitigen den Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus der EU und Japan.»
Überdurchschnittlich betroffen
Die IHK stützt sich grundsätzlich auf die Prognosen des KOF Instituts der ETH ab, das 2026 in der Schweiz bei einem US-Zollsatz von 15 Prozent von einer Wachstumseinbusse von 0,2 Prozent ausgeht. Weitaus grösser wäre der Bremseffekt gewesen, wenn die Zölle längerfristig auf einem Niveau von 39 Prozent verharrt hätten – insbesondere in der Ostschweiz. Die Ostschweiz exportiere 14,9 Prozent ihrer Waren in die USA; dieser Anteil sei zwar deutlich tiefer als der Schweizer Wert von 18,6 Prozent, doch die negativen Effekte hätten sich in der Ostschweiz bereits überdurchschnittlich stark materialisiert.
«Erstens stammt über die Hälfte dieser Exporte aus der Techindustrie, wo es kaum Zollausnahmen gab», erklärt Jan Riss, «zweitens machen Investitionsgüter einen Grossteil davon aus, und diese werden in Zeiten von erhöhter Unsicherheit weniger nachgefragt. Und drittens gehen aufgrund der US-Zölle auch die Aufträge aus anderen Abnehmermärkten zurück.»
«Mittlerweile äussert sich dies ganz konkret in den Exportzahlen», erläutert Jan Riss. In den Monaten April bis September, also seit der ersten Zollankündigung, seien die Ostschweizer Warenausfuhren in die USA um 11,5 Prozent gesunken. Das ist ein höherer Verlust als der Schweizer Durchschnitt von –9,3 Prozent. «Besonders ausgeprägt war der Einbruch in der Maschinenindustrie.»
Dollar-Schwäche belastet zusätzlich
Eine Mitgliederumfrage der IHK St.Gallen-Appenzell zeigte: Belastend sind neben der hohen Unsicherheit auch die Abschwächung des US-Dollars gegenüber dem Schweizer Franken um mehr als 10 Prozent seit anfangs Jahr.
Die IHK St.Gallen-Appenzell beobachtet, dass einige Unternehmen Produktionskapazitäten in die USA verlegten. «Dafür gibt es konkrete Beispiele», sagt Jan Riss. Noch mehr Rückmeldungen erhält die IHK aber von Unternehmen, die ihre Präsenz im US-Markt reduzieren. Die Reaktionen seien wie auch die konkrete Betroffenheit stark unternehmensabhängig. «Insgesamt zeigt sich, dass die Ostschweizer Unternehmen eher entgegen den Zielen der US-Zollpolitik agieren – mit Preissteigerungen, Verlagerungen oder gar einem Rückzug aus dem US-Markt», sagt Jan Riss. «Was wir ebenfalls beobachteten: Grössere Unternehmen wickelten US-Aufträge vermehrt über Werke im Ausland ab und bedienten vom Standort Ostschweiz dafür andere Märkte.»
«Ein erfolgreiches Wirtschaftsgefüge entsteht im Zusammenspiel von Export, Import und Binnenwirtschaft.»
Dort ansetzen, wo wir Einfluss haben
Gerade in der Ostschweiz mit den zahlreichen international tätigen Industrieunternehmen seien die Herausforderungen gross, Lamentieren helfe da allerdings nichts. «Die US-Handelspolitik können wir kaum beeinflussen. Umso mehr gilt es bei jenen Standortfaktoren anzusetzen, wo wir konkret Einfluss haben», hält Jan Riss fest und nennt etwa ein innovationsfreundliches Umfeld, einen konsequenten Bürokratieabbau, einen liberalen Arbeitsmarkt, einen internationalen Zugang zu Fachkräften, die Stärkung und Ausweitung weiterer Marktzugänge sowie eine praxisnahe Bildung und Berufsbildung.
Gerade der Industrie wehe seit geraumer Zeit ein rauer Wind entgegen, die Auftragslage sei angespannt, die durchschnittliche Auslastung der Produktionskapazitäten sei mit knapp 80 Prozent tief. «Insbesondere Deutschland, wo knapp ein Drittel der Ostschweizer Warenausfuhren hingehen, schwächelt. Die US-Zölle verschärfen die Situation weiter.» Insgesamt seien die Ostschweizer Exporte im zweiten und dritten Quartal 2025 gegenüber dem Vorjahr um über 3 Prozent gesunken.
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Grosse Anpassungsfähigkeit
Dennoch ist Jan Riss fest davon überzeugt, dass die Ostschweizer Wirtschaft die Herausforderung meistern wird: «Innovationsgeist und Widerstandskraft der Ostschweizer Unternehmen mit all ihren Mitarbeitern beeindrucken mich immer wieder von neuem.» Zuversichtlich stimmt ihn insbesondere auch die Eigenbeurteilung der Unternehmen. «Eine kürzliche Mitgliederumfrage in Zusammenarbeit mit der IHK Thurgau zeigt: Vier von fünf befragten Betrieben sind überzeugt, über ausreichend Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit zu verfügen, um unvorhergesehene handels- oder geopolitische Ereignisse zu meistern.»
In dieser Befragung haben die Unternehmen ihre eigene Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit bei unvorhergesehenen handels- und geopolitischen Ereignissen beurteilt. 14,5 Prozent nannten diese «hoch bis sehr hoch», 62,8 Prozent «eher hoch».
«Insbesondere Deutschland, wo knapp ein Drittel der Ostschweizer Warenausfuhren hingehen, schwächelt.»
Einhellig für Bilaterale III
Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau haben sich gerade einhellig und laut für das neue Vertragspaket mit der EU ausgesprochen. Das sei nicht nur im Interesse der exportierenden Wirtschaft, sagt Jan Riss dazu: «Die Unterstützung der Bilateralen III ist Resultat eines umfassenden Positionierungsprozesses der IHK-Vorstände. Diese setzen sich aus Unternehmern unterschiedlicher Branchen und Betriebsgrössen zusammen. Sie sind von den IHK-Mitgliedern stellvertretend gewählt und decken die Ostschweizer Wirtschaftsstruktur in ihrer Breite ab.»
Die beiden IHK setzen sich grundsätzlich für unternehmensfreundliche und zukunftsfähige Rahmenbedingungen der Ostschweizer Wirtschaft ein: kantonal, regional und national. «Ein erfolgreiches Wirtschaftsgefüge entsteht im Zusammenspiel von Export, Import und Binnenwirtschaft.» Nur wenn alle drei Bereiche stark seien, bleibe die Ostschweiz wirtschaftlich im Gleichgewicht. Der Export schaffe Wertschöpfung und Innovation, der Import sichere Versorgung und Produktevielfalt, und die Binnenwirtschaft profitiere von beidem durch Investitionen, Arbeitsplätze und Kaufkraft. Rechtssichere, verlässliche und gleichwohl partnerschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn seien für Export-, Import- und Binnenwirtschaft gleichermassen notwendig, betont Jan Riss: «Der vor 25 Jahren eingeschlagene bilaterale Weg mit der EU ermöglicht dies – mit dem mit Abstand bedeutendsten Absatz- und Einkaufsmarkt.»
Wachstumschancen in Europa
Eine aktuelle Mitgliederumfrage der IHK unterstreiche diese Haltung: 86 Prozent der befragten IHK-Mitglieder beurteilen die bilateralen Verträge mit der EU als wichtig. Als bedeutendste Aspekte werden dabei der zollfreie Warenverkehr, der Abbau technischer Handelshemmnisse sowie der Zugang zu qualifizierten Fachkräften genannt.
Auch die binnenorientierten Unternehmen würden mehrheitlich profitieren. «Letztlich sind wir als kleines, rohstoffarmes Land mit hohen Produktionskosten schlichtweg auf offene Märkte angewiesen. Und die EU ist mit Abstand unsere wichtigste Handelspartnerin», unterstreicht Jan Riss. Die befragten Unternehmen sehen in Europa auch die grössten Wachstumschancen für das eigene Unternehmen. 40 Prozent von ihnen erwarten eine wachsende Bedeutung des Absatzmarktes EU, nur 3 Prozent gehen von einer sinkenden Bedeutung aus.
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer