Wie Uhren aus Sirnach weltweit den Takt angeben

«Angefangen als Selbstständiger hatte ich bereits 1995», sagt Andreas Strehler. «Am Anfang noch mit Unterhalt von mechanischen Uhren und der Montage von komplizierten Uhrwerken für Audemars Piguet. Das Ziel war aber immer, eigene Uhren zu entwickeln und herzustellen.»
Für sein Debütstück hat er sich für eine technische Neuheit entschieden: «Eine Kombination von Tischkalender und mobiler (Taschen-)Uhr. Wobei die Taschenuhr die Zeit mechanisch speichert, während sie nicht im Tischkalender logiert. Sobald die Taschenuhr zurück in den Tischkalender eingesetzt wird, überträgt sie die fehlenden Tage auf den Kalender (der sich in der Zwischenzeit nicht bewegt hat, da er die Uhrzeit nicht weiss).»
«Wir müssen nicht das Handwerk auf Kosten der Automation abschaffen, sondern mit der Automation die Fertigung optimieren.»
Erfolg liess auf sich warten
Diese Innovation präsentierte Strehler 1998 an der Baselworld. «Ich dachte, eine solche Neuheit und Komplexität muss zum Erfolg führen. Das Publikum kannte mich nicht und so hat kaum jemand meinen Aufwand verstanden – der Erfolg liess auf sich warten. Die Industrie jedoch hatte schnell verstanden, wo sie einen kompetenten Partner finden konnte, und so konnte ich mit Industrieaufträgen überleben und wachsen. Schlussendlich konnte ich erst 2008 die ‹Papillon› als mein eigenes Produkt verkaufen.»
Die Verbindung von Entwicklung und Fertigung ist für ihn zentral: «Die Entwicklung ist meine Aufgabe, die Fertigung die meines Teams. Meine Konstruktionsweise ist immer auch produktionsorientiert. Das heisst, ich konstruiere nichts, ohne dass ich auch einen vernünftigen Weg sehe, dieses zu produzieren. Wenn nötig, entwickle ich auch komplexe CNC-Maschinen, um die Fertigung zu optimieren.»
Kooperationen im Verborgenen
Die Zusammenarbeit mit Marken wie H. Moser & Cie. und Harry Winston sieht Andreas Strehler als wechselseitige Chance: «Als Moser im Aufbau war, mussten innovative Produkte entwickelt werden. Das noch sehr kleine Team wusste, was sie brauchen, und konnte von meiner Erfahrung in der Uhrwerksentwicklung profitieren. So konnten wir gemeinsam wachsen. Ein wichtiger Vorteil des Standorts der UhrTeil AG, weit weg von den grossen Uhren-Zentren, ist, dass wir lange im Verborgenen arbeiten können, ohne dass der Rest der Industrie etwas mitkriegt. Geheimhaltung ist wichtig, denn Produktentwicklungen können mehrere Jahre bis zur Lancierung brauchen.»
Mit dem Modell «Sauterelle à lune perpétuelle» schuf Strehler eine der weltweit präzisesten Mondphasenanzeigen. «Meine Mondphasenanzeige hat nicht nur eine Abweichung von nur einem Tag in zwei Millionen Jahren, sondern hat auch die Mondphasenanzeige mit der höchsten Auflösung in der Anzeige des Mondalters.» Solche Innovationen sind notwendig, um potenzielle Kunden von den Produkten zu überzeugen. Doch am Allerwichtigsten sei, dass die Uhr gefällt: «Was nützt einem ein Superlativ auf dem Ladentisch, wenn das Aussehen nicht überzeugt? Für mich als Techniker war das am Anfang schockierend: Da hat man eine tolle Technik, doch der Kunde entscheidet sich am Schluss, dass er an der Uhr kein Interesse hat – weil das falsche Lederband dran ist.»
Prozesse mit Spielraum
Flexibilität ist in Strehlers Produktion entscheidend: «Wir haben Abläufe entwickelt, damit wir wie bei den Prototypen wenig Zeit verlieren beim Einrichten der Maschinen und mithilfe passender Automation auch grössere Serien abwickeln können. Der Engpass ist immer der Mensch. Es wird immer zu wenig Fachkräfte geben. Wir müssen nicht das Handwerk auf Kosten der Automation abschaffen, sondern mit der Automation die Fertigung optimieren, damit wir die Mannstunden im Handwerk einsetzen können.»
Auch Nachhaltigkeit spielt für Strehler eine wichtige Rolle: «Es gibt nichts Nachhaltigeres als ein Produkt, das kaum verschleisst. Meine Uhrwerke sind so dimensioniert, damit bei einer zukünftigen Reparatur möglichst nichts ersetzt werden muss.» Auch in 100 Jahren kann ein guter Uhrmacher seine Uhrwerke zerlegen, reinigen, montieren und neu schmieren, ohne dass er Ersatz braucht. Und sollte es doch einmal passieren, sind Ersatzteile auch mit konventionellen Techniken herstellbar. «Genau so, wie auch ich einmal gelernt habe, antike Uhren zu reparieren.»
«Unsere Mondphasenanzeige hat nur einen Tag Abweichung in zwei Millionen Jahren.»
Digitalisierung trifft Mechanik
In der Digitalisierung sieht Andreas Strehler grosse Chancen – auch in der mechanischen Uhrmacherei: «Ohne Computer geht auch bei uns nichts. Ich konstruiere seit 20 Jahren am 3D-CAD. Die Maschinen sind CNC-gesteuert, der Uhrmacher hat ein Tablet mit Instruktionen. Kritische Software entwickeln wir selbst.» So kann zum Beispiel jemand in der Montage die von ihm benötigten Komponenten mit einem Klick bestellen. Er braucht nur an das zentrale Lager zu gehen – und die Schachtel liegt schon für ihn bereit. Mit dem Barcodescanner abbuchen, und das Fach wird wieder automatisch im Lager platziert. «Wir verwalten so über 4000 verschiedene Komponenten und Baugruppen.» Die Zugehörigkeit zur «Académie Horlogère des Créateurs Indépendants» ist für den Uhrmachermeister wichtig: «Die AHCI ist in erster Linie eine Ausstellergemeinschaft. Sie hat mir damals als kleiner Niemand die Möglichkeit geboten, neben den grossen Firmen an namhaften Messen auszustellen. Inzwischen ist die AHCI für mich ein Netzwerk von Gleichgesinnten. Auch kann ich meinen Kollegen helfen, Komponenten herzustellen.»
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Lehrwerkstatt statt Headhunter
Der Standort Sirnach sei trotz Fachkräftemangel ein Vorteil: «Fachkräftemangel gibt’s immer, der wird auch nicht kleiner. Zwar hätte ich in La Chaux-de-Fonds mehr Fachkräfte um mich herum, doch auch viel mehr Firmen, die um diese konkurrenzieren. Es macht keinen Sinn, mit Headhuntern die guten Leute abwerben zu wollen. So holt man sich nur Menschen ins Haus, die nach ein paar Jahren von dem gleichen Headhunter wieder abgeworben werden … Viel wichtiger ist die Ausbildung von Fachkräften. So bilden wir Lehrlinge intern aus.»
Und wie sieht die Zukunft der UhrTeil AG aus? «Wir setzen weiterhin auf einen guten Mix: Erstens eigene Marken und Produkte, zweitens Entwicklung von Produkten für unabhängige Uhrenmarken, drittens Lohnfertigung von Mikrokomponenten.» Aufgrund seiner Bekanntheit und Produktionstiefe kann Andreas Strehler heute mehr auf die Eigenprodukte setzen. Neben der ‹Haute-Horlogerie›-Linie ‹Andreas Strehler› kommen auch mehr Modelle für die ‹Belle Horlogerie›-Marke ‹Strehler›, die nicht als persönliche Einzelstücke, sondern als kleine Serien von identischen Uhren angeboten werden. «Aktuell haben wir einige neue Produkte in der Entwicklung», verrät er schon mal. Und zum Abschluss zieht er einen stilistischen Vergleich: «Die Gruppierungen sind wie in der Mode: Haute Horlogerie = Haute Couture, Belle Horlogerie = Prêt-à-porter.»
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer