Von Leggero zu Scarabaeus: Brügglis Kampf um neue Perspektiven

Rainer Mirsch, weshalb hat Brüggli seine Leggero-Veloanhänger an ein deutsches Unternehmen verkauft?
Wir mussten uns entscheiden zugunsten von Produkten und Leistungen mit mehr Marktpotenzial, allen voran der Mulchroboter Scarabaeus und unsere international distribuierten Hundeboxen der Eigenmarke 4pets. Leggero war immer ein Nischenprodukt, eng verwoben mit Brüggli. Wir mussten Leggero abgeben mit Blick auf die Lagerkapazitäten und die Investitionen, die nötig sind, damit das Produkt längerfristig attraktiv bleibt.
Kompromisse in der Qualität oder in der Materialbeschaffungspolitik kamen nicht infrage?
Nein – und so war es ehrlicher und sauberer, einen klaren Strich zu ziehen. Unberechenbar war für uns, was diese Massnahmen für die Mitarbeiter bedeuten; die Identifikation mit Leggero ist gross. Ich bin froh, dass unsere Angestellten die Zusammenhänge sahen und den unpopulären Entscheid akzeptieren konnten. Sie spürten: Es ist der Geschäftsleitung nicht egal, im Gegenteil.
Die wirtschaftliche Situation von Brüggli ist mit einem Verlust von über sieben Millionen Franken im Jahr 2023 herausfordernd. Welche Massnahmen wurden ergriffen, um wieder finanzielle Stabilität zu erreichen?
Unter anderem – Beispiel Leggero – haben wir Lagerflächen reduziert, um Mietkosten zu sparen, und haben Leistungen mit hohem Entwicklungsbedarf reduziert. Im Weiteren haben wir ambitionierte, mit Raumfragen verbundene Wachstumspläne auf Eis gelegt und einen Weg der Konsolidierung eingeschlagen.
«Wir sind ein Unternehmen wie andere auch.»
Und Ihre Belegschaft in den letzten zwei Jahren um 100 Personen auf 750 gesunken.
Genau, und nur eine Handvoll Entlassungen wurde ausgesprochen. Alles andere hat einerseits mit natürlichen Abgängen und andererseits mit einer Massnahme in unserem Medienunternehmen zu tun: Ein Management-Buy-out führte dazu, dass 26 Kaderleute nicht mehr auf der Lohnliste von Brüggli stehen, sondern einer neu gegründeten AG, der Brüggli Admedia AG, angehören.
Brüggli hat sich entschieden, die Sparte Veloanhänger abzustossen. Wie beeinflusst dieser Schritt Ihre strategische Ausrichtung?
Wesentlich ist, dass unsere Leute eine gute, sinnstiftende Arbeit haben. Ausbilden und Beschäftigen ohne gute Arbeit ist doch sinnlos! Darum haben wir uns gewissenhaft überlegt, wie wir den Verzicht auf die Fahrradanhänger kompensieren könnten. Und da ist es ideal, dass unsere Hundeboxen viele Lernfelder bieten. Ausserdem setzen wir darauf, dass wir mit dem Mulchroboter Scarabaeus neue Felder erschliessen. Dazu kommen Lohnarbeiten, zum Beispiel die Montage von Schulstühlen, die uns ein Partner anvertraut, oder verschiedene Textilarbeiten.
Mit Produkten wie dem Scarabaeus setzt Brüggli auf Innovation. Welche Rolle spielen solche Entwicklungen in der zukünftigen Strategie des Unternehmens?
Wir streben nach guter, planbarer Arbeit. Der Mulchroboter Scarabaeus ist nicht einfach Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit im Sinne der Ausbildungsqualität. Lernende in mechanischen Berufen müssen sich verstärkt mit Mechatronik und Robotik befassen. Natürlich schwebt auch mit, dass uns ein gut etablierter Scarabaeus finanziell absichern kann. Soweit sind wir noch nicht – aber ich bin zuversichtlich, dass der Durchbruch kommt.
Was bietet denn der Scarabaeus für Vorteile, die Roboter grosser Konzerne nicht bieten?
Hergestellt in Romanshorn, ein Beitrag zur Integration von Menschen mit Handicap, satellitengesteuert, lernfähig, solarbetrieben, schonungsvoll zur Natur: Das Interesse in der Fachwelt zeigt, da ist Potenzial vorhanden. Wir wissen, dass die Konkurrenz, teilweise sehr potent, nicht schläft. Und wir wissen auch, dass wir nicht ewig Zeit haben: Der Durchbruch muss rasch kommen.
Ein weiteres starkes Standbein sind die Hundetransportboxen 4pets. Werden Sie in Zukunft eher in Richtung Technologie oder Mechanik marschieren?
Vielleicht eine Symbiose von beidem. Die Hundeboxen sind wichtig. Und es stimmt mich zuversichtlich, wie die Autobranche den Kontakt zu uns sucht. Wir arbeiten zum Beispiel eng mit Toyota und Subaru zusammen. Wenn erfolgreiche Autobauer unsere Qualität anerkennen, dann ist das auch ein starkes Zeichen für unsere Mitarbeiter, die in alle Herstellungsprozesse involviert sind: Handicap hin oder her: Diese Menschen können etwas – und darauf sind wir stolz.
Die Reduktion von Personal und Kosten war Teil der Sanierungsmassnahmen. Wie wurde dieser Prozess gestaltet, um die sozialen Ziele von Brüggli nicht zu gefährden?
Langsam, behutsam, möglichst viele Informationen fliessen lassen, möglichst niemanden vor den Kopf stossen: Einiges ist gut gelungen, anderes versteht man besser in der Rückschau. Mir ist es wichtig, dass alle sehen, dass wir es uns in der Geschäftsleitung nicht leicht machen. Brügglis Kernauftrag steht zuoberst: Alles, was wir tun, muss der Ausbildung, Beschäftigung und Integration von Menschen mit psychischen und körperlichen Schwierigkeiten zugutekommen. Das verpflichtet zu Sorgfalt und Integrität.
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«Handicap hin oder her: Diese Menschen können etwas.»
Brüggli hat in der Vergangenheit in verschiedene Bereiche investiert, darunter auch in Druckereien. Wie beurteilen Sie diese Entscheidungen rückblickend?
Die Entscheide waren zum damaligen Zeitpunkt richtig. Wir brauchten die Breite, das Wachstum, um uns in einem hart umkämpften Markt abzusichern. Es ist die Summe aller teilweise unberechenbaren Umstände, die uns eines Besseren belehrte. Das Risikomanagement hat heute noch mehr Bedeutung: Wir wägen genauer ab – zuerst die Qualität, dann die Quantität. Und wir achten noch besser darauf, dass Einzelinteressen nicht im Widerspruch zur Gesamtorganisation stehen.
Konkret: Wie sehen Sie die Zukunft von Brüggli in den nächsten fünf Jahren?
Ich sehe ein Brüggli, das nach wie vor viele Pfeiler hat und nicht rasch ins Schwanken kommt. Und ich sehe ein Brüggli, das noch besser weiss, was es kann und worauf es setzen kann. Wir haben mit unserer sozialen Mission, mit 200 Lernenden, 300 Angestellten mit Rente und vielen Menschen in einer Neuorientierungsphase eine gesellschaftliche Verantwortung und eine Systemrelevanz für die Region. Das ist eine Chance und eine Verpflichtung zugleich.
Die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden ist für Brüggli essenziell. Wie hat sich diese in der aktuellen Situation verändert?
Wir haben viele loyale Partner und Kunden und spüren viel Loyalität. Wir sind erfolgsverwöhnt, und es lief jahrelang einfach rosig und fast widerspruchsfrei. Nun, da wir den Kopf im Wind haben, marktnah sind und uns vielen teils widersprüchlichen Kräften ausgesetzt sehen, wird greifbar: Wir sind ein Unternehmen wie andere auch.
Und da ist es normal, dass nicht alles nur rund läuft.
Genau so ist es. Das grenzt nicht aus, sondern schafft sogar Zugehörigkeit: Kaum jemand begegnet uns mit Häme, sondern mit Wertschätzung. Das hat vielleicht damit zu tun, dass wir noch bodenständiger sind als früher. Andere sehen: Oha, auch Brüggli ist am Kämpfen; die sind nicht verwöhnt oder privilegiert, die haben auch etwas gewagt – und da müssen sie jetzt durch, Respekt! Der Zuspruch und die Unterstützung geben uns ein gutes Gefühl: Wir sind nicht alleine, im Gegenteil; wir sind ein Teil des Arbeitsmarktes und ein Teil der Gesellschaft.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer, zVg