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Die wenigsten Neugründungen sind Start-ups

Die wenigsten Neugründungen sind Start-ups
Simon May
Lesezeit: 5 Minuten

Die Zahl der Gründungen nimmt in der Schweiz stetig zu, doch nur jede hundertste dieser Firmen ist ein eigentliches Start-up.

Es sind eindrückliche Zahlen, die das in St.Gallen ansässige Institut für Jungunternehmen (IFJ) regelmässig publiziert. 52’978 Firmen wurden 2024 neu ins Handelsregister eingetragen, das entspricht einem Wachstum von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

«Das Unternehmertum in der Schweiz wächst, vor zehn Jahren zählten wir erst 41’000 Neueintragungen», sagt Simon May, Co-Geschäftsführer des IFJ. Die Gründe dafür sind vielfältig: «Heute haben wir andere Voraussetzungen, alles ist etwas einfacher geworden.» Etliche Gründer arbeiten heute auch nicht ausschliesslich und zu 100 Prozent für die neue Firma, sondern treiben diese nebenher voran und arbeiten noch an einem anderen Ort. «So sind sie abgesichert, das ist vielleicht der Schweizer Denkweise geschuldet.» Eine weitere Erklärung für die höhere Zahl der Gründungen ist auch das Bevölkerungswachstum.

«Über zwei Drittel sind tatsächlich neue Firmen.»

Zwei Drittel effektiv neue Firmen

Zusammen mit PostFinance hinterfragt das IFJ alle zwei Jahre die vordergründigen Zahlen mit der Studie Gründermarkt Schweiz, die vom Marktforschungsinstitut YouGov erhoben wird. «Von den Handelsregistereinträgen sind etwa zwei Drittel tatsächlich neue Firmen», kann Simon May aufgrund der Analyse festhalten. Also dürften in der Schweiz im letzten Jahr rund 35’000 Firmen gegründet worden sein, die effektiv eine neue Tätigkeit aufgenommen haben.

Zu den gründungsstärksten Branchen gehören Handwerksberufe, gefolgt von Beratung, Immobilien, Detailhandel, verschiedenen Dienstleistungen, Architektur- und Ingenieurbüros, Finanzen und Versicherungen, Gastronomie, IT und ICT sowie das Gesundheitswesen. Start-ups sind für sich betrachtet keine Branche, sie wären je nach Definition aber auch weit davon entfernt, zahlenmässig mit den Gründungen in Top-Branchen mithalten zu können.

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Eigene Technologie

Mit Venturelab und Venture Kick sind aus dem IFJ national führende Start-up-Förderprogramme entstanden. Aus der langjährigen Erfahrung gibt es beim IFJ eine praktikable Definition von Start-ups im engeren Sinne: «Sie verfügen über eine eigenentwickelte Technologie, sie bringen eine echte Innovation in den Markt», sagt Simon May, «solche Start-ups kommen in der Schweiz zu 90 Prozent aus technischen Hochschulen oder Forschungsanstalten.»

Ein weiteres Merkmal für Start-ups ist ein skalierbares Geschäftsmodell mit internationalem Potenzial sowie ein hochambitiöses Gründerteam, das offen dafür sein muss, Investoren als Teilhaber aufzunehmen. «Technologie ist investitionsintensiv, deshalb benötigen alle Start-ups Fremdfinanzierungen», sagt Simon May. Die Anteile der Gründer werden durch Finanzierungsrunden verwässert, «man sollte die Gründer darauf vorbereiten, dass sie ihren Erfolg teilen müssen».

All diese Kriterien erfüllen in der Schweiz etwa 350 der 35’000 Neuunternehmen. Start-ups im engeren Sinn sind also gut ein Prozent der effektiven Neugründungen.

Gründerboom hält an

Im ersten Quartal 2025 liegt die Zahl der Gründungen bereits wieder deutlich über dem letzten Jahr, aktuell werden in der Schweiz jeden Tag 155 Firmen neu eingetragen. Sprunghafte prozentuale Zuwächse verzeichnen dabei kleine Kantone wie Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Nidwalden; eine kleine Differenz bei der Anzahl an Gründungen in dem kurzen Zeitraum resultiert hier in deutlichen Ausschlägen. Deshalb kann es auch sein, dass die Rückgänge zwischen sieben und zehn Prozent in den Kantonen St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Thurgau eine ungünstige Momentaufnahme und kein negativer Trend sind.

Das Institut für Jungunternehmen unterstützt jährlich über 3000 Firmen bei der Gründung mit verschiedenen Dienstleistungen wie etwa juristischen Services, und das in vier Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch). Somit werden fast zehn Prozent aller effektiv neuen Firmen von St.Gallen aus beraten. «Wir gründen in jedem Kanton der Schweiz», sagt Simon May. Aus der langjährigen Beobachtung der Gründerszene weiss der Co-Geschäftsführer des IFJ, wo unter all diesen Gründungen technologiegetriebene Start-ups entstehen: «In der Ostschweiz sind es hauptsächlich die Standorte St.Gallen und Rapperswil mit den Fachhochschulen Ost, der Empa sowie dem Switzerland Innovation Park und der Universität.» Start-up-Förderung beginnt für Simon May viele Jahre vor einer Gründung: «Wichtig sind Gelder für Grundlagenforschung. Denn hinter den meisten Start-up-Projekten steckt jahrelange Forschungsarbeit.» Ein neues Spin-off der ETH könne durchaus zehn Jahre Forschungsvergangenheit mitbringen. Jedes Jahr gibt es in der Schweiz zwischen 800 und 900 Projekte, die grundsätzlich das Potenzial für ein Start-up hätten, etliche gehen aber nicht an den Start – unter anderem, weil kein geeignetes Geschäftsmodell entwickelt werden kann, technische Hürden zu gross sind, keine Investoren gefunden werden können oder kein Gründerteam entsteht. Rund 350 effektive Start-ups werden vorangetrieben.

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Ein Generationenprojekt

«Die Basis für Start-ups im engeren Sinn ist Forschung und Entwicklung», betont Simon May. «St.Gallen hat zwar sehr viele Studenten, doch die Universität ist sehr wirtschaftslastig. Darum entstehen hier vergleichsweise weniger Start-ups.» Die Thurgauer Strategie, im Kanton für Forschungsinstitute von Konstanzer Hochschulen zu etablieren, hält Simon May aus dieser Perspektive deshalb für vielversprechend.«Es ist zu begrüssen, dass an der HSG und an der OST Themen wie Entrepreneurship gepusht werden, dadurch entstehen in der Forschung an der Empa und am Kantonsspital St.Gallen jedoch kaum zusätzliche Projekte.» Die Idee, St.Gallen zu einem Hotspot für Health und Medtech-Themen zu machen, gefällt Simon May, doch warnt er davor, sich allzu schnelle Erfolge zu versprechen. «Es braucht eine starke Basis für ein Thema, das ist ein Generationenprojekt.»

Die Start-up-Szene in Berlin zeichnet sich durch tiefe Kosten und ein Milieu von Künstlern und Freidenkern aus. Tel Aviv ist weltweit führend in Cybertechnologien, weil auch die eigene Armee und der Geheimdienst dieses Know-how nachfragen. Neue Trends im Thema Finanzen werden oft in London gesetzt. «Überall sind über viele Jahre solide Fundamente gewachsen», erklärt Simon May. «Um das Thema Health in St.Gallen nachhaltig zu etablieren, braucht es Investitionen in die Forschung. Wir kratzen an der Oberfläche, wir müssten mit viel mehr Anstrengungen an der Basis arbeiten.» Auf diese Weise könne man keine Quick-Wins mitnehmen, aber die Grundlage für die Zukunft schaffen. «Wenn St.Gallen erst einmal als ein MedTech-Hub gilt, befruchtet das weitere Gründungen und Ansiedlungen.»

Dass der St.Galler Kantonsrat 2024 einen Sonderkredit von zehn Millionen Franken für die Start-up-Förderung genehmigte, begrüsst Simon May ausdrücklich. «Es braucht aber viel mehr, um das Boom-Thema Health zu stärken und weiterzutreiben.» Ein Campus für Forschungseinrichtungen und Start-ups gleich hinter dem Bahnhof St.Gallen könnten ein sichtbares Zeichen solcher Anstrengungen sein.

Text: Philipp Landmark

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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