Gründer ticken anders

Der Solothurner Patrick Degen kam nach St.Gallen, um Wirtschaft zu studieren; er hat mit einem Bachelor in Business Administration und einem Master in Accounting & Finance abgeschlossen. «An der HSG und auch an der OST wird wertvolles Wissen vermittelt», sagt Patrick Degen, «auch Aspekte wie Entrepreneurship werden systematisch beleuchtet.» Um eine lebendige Start-up-Szene entstehen zu lassen, reicht das freilich noch nicht.
Heute ist Patrick Degen selbst Start-up-Investor und hat die in- und ausländische Start-up-Landschaft im Blick. Er würde nicht behaupten, dass die Ostschweiz grundsätzlich hinterherhinkt, aber er sieht auch: Es werden wesentlich mehr Start-ups dort gegründet, wo technisch orientierte Hochschulen lehren, insbesondere rund um die ETH und die EPFL. Einen verengten Blick auf das Umfeld von technischen Hochschulen sollte man aber vermeiden. Patrick Degen verweist gerne auf Start-ups, die gar nicht aus Hochschulen kommen, sondern von gestandenen Berufsleuten gegründet werden: «Das sind oft die spannendsten Projekte», betont er: «Wenn jemand im Berufsalltag auf ein noch ungelöstes Problem stösst, und eine Idee entwickelt, wie das zu lösen ist.»
Glaubwürdiges Ökosystem
Dass immer wieder Start-ups, die in St.Gallen entstehen, von hier wegziehen, kann Patrick Degen bestätigen. Bevorzugt ziehen diese Unternehmen Richtung Zürich, aber auch an andere Orte. «Wenn jemand etwas im Kryptobereich aufbauen will, ist nach wie vor Zug eine gute Adresse», sagt Patrick Degen. «Das ‹Crypto-Valley› wird zwar nicht mehr so gehypt, aber wenn jemand Entwickler sucht, findet man sie dort.» Wenn eine Region sich zu einem Thema einen Namen gemacht hat und über ein anerkanntes Ökosystem verfügt, zieht das wieder neue Projekte und weitere Talente in diesem Thema an. «Deshalb ist es wichtig, dass eine Region versucht, ein glaubwürdiges Ökosystem aufzubauen», sagt Patrick Degen. Initiativen wie das Startfeld im heutigen Switzerland Innovation Park Ost seien dafür definitiv zielführend, auch wenn die periphere Lage des Startfelds dabei nicht sehr hilfreich sei. Die Infrastruktur und das Angebot des Startfelds seien top, wenn es aber zentraler gelegen wäre, «dann würden dort neue Teams entstehen», sagt Patrick Degen, «und diese gehen vielleicht nicht so schnell weg aus der Region.» Deshalb wäre es für ihn naheliegend, dass die HSG, wenn sie denn einmal einen neuen Campus im Stadtzentrum bekäme, genau dort Räumlichkeiten für Spin-offs und Start-ups zur Verfügung stellen könnte.
«Wir selbst haben Büros gleich beim Bahnhof St.Gallen, wenn wir neue Leute suchen, ist das immer ein gutes Argument.» Dass Patrick Degens Unternehmen der Ostschweiz erhalten blieben, ist allerdings nicht selbstverständlich. Als sein erstes Start-up noch während des Studiums in die Skalierungsphase kam, hatte es ein Büro im Seefeld in Zürich und ein Büro in Berlin. «Ich war selten in Berlin, mein Mittelpunkt war Zürich», sagt Patrick Degen. Doch er blieb nach dem Studium in der Ostschweiz hängen, weil er hier eine Familie gründete, mit der er heute in Speicher wohnt. «Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier.» Auch seine nächsten Gründungen hätten dann ein anderes Domizil.
Selbsthilfe wird Geschäftsmodell
Angefangen hat Patrick Degens Start-up-Laufbahn mit Beginn seines Studiums. Mit seinem Studienfreund Christian Mischler entwickelte er an der HSG Lernhilfen im Stil der bekannten Karteikarten mit Fragen und Antworten. «Anfänglich haben wir das nur für uns gemacht, zur Prüfungsvorbereitung», erinnert sich Patrick Degen. «Uns hat es sehr geholfen, darum haben wir die Lernhilfen im nächsten Semester weitergegeben.»
Die beiden Studenten merkten rasch, dass ihre Lernhilfen ein gefragtes Produkt sind – und auch eine gewisse Bereitschaft besteht, dafür etwas zu bezahlen. Denn ihre Lernhilfen haben die Prüfungsvorbereitung effizienter gemacht, weil sie auch zusammengefasst haben, was die Studenten wirklich auswendig können müssen. So entstand aus der Selbsthilfe das schnell wachsende Start-up Uniseminar & KKarten, schliesslich galt es, alle relevanten Studiengänge abzudecken und jedes Semester neue, aktuelle Lernkarten zu produzieren. «Anfangs hatten wir die Kurse noch selbst belegt, doch wir haben bald zusätzliche Editoren eingestellt, die Texte neu geschrieben haben, und e-Editoren, die solche Texte im Folgesemester überarbeiteten.»
Noch während Patrick Degens Studium deckte das Unternehmen sämtliche Hochschulen und Fachhochschulen der Schweiz ab, es gab Ableger in Deutschland und Holland. Sein Studium dauerte von 2005 bis 2008, «wir benötigten ein wenig länger, weil wir fast 100 Prozent für das eigene Unternehmen gearbeitet hatten und weniger für das Studium». Das Masterstudium zog sich dann von 2010 bis 2012 hin. In den 20 Jahren seit der Gründung wurde aus Uniseminar der Verlag Ready (ready.ch) mit Hauptsitz in Luzern, gut 150 Freelancer sind in der ganzen Schweiz in verschiedenen Fachbereichen für das Unternehmen tätig.
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Gewinne investieren
Eigentlich wäre der Verlag bereits ein Lebenswerk, Patrick Degen hätte bis zur Pensionierung gemütlich als Verlagsleiter arbeiten können. Doch Gründer ticken anders. Im Gegensatz zu einem typischen technologieorientierten Start-up benötigte der junge Verlag keine externe Finanzierung für die IT oder für Forschung und Entwicklung. «Bei uns war es wirklich ein Produkt mit einfacher Entwicklung und normalen Margen. Darum brauchten wir kein externes Geld.»
Doch die Studenten verdienten Geld. Für die Gründer war klar, dass sie mit diesem Geld etwas aufbauen wollen. «Während des Studiums hatten wir tiefe Lebenshaltungskosten, deshalb hatten wir beschlossen, den Gewinn in andere Start-ups zu investieren», sagt Patrick Degen. Sie übergaben das operative Management des Verlags ihren Mitarbeitern und gründeten 2013 den Swiss Founders Fund (sff.vc). Heute sind sie mit dem Investment-Vehikel an über 50 jungen Unternehmen beteiligt.
«Das nächste Ziel ist dann die Milliarde.»
Die Schweiz ausgelassen
Auf der Suche nach Investitionen kamen Patrick Degen und seine ehemaligen Studienkollegen Christian Mischler und Alexander Limpert auch in Kontakt mit einem Start-up, das in Australien als Dienstleister für Immobilienbesitzer Wohnungen kurzfristig auf Plattformen wie Airbnb vermietete. Die Australier wollten aber nicht nach Asien und Europa expandieren. «Da war für uns klar, dass wir ein solches Modell in Europa selbst aufbauen müssen», erinnert sich Patrick Degen. Anfänglich bestand noch die Idee, etwa die IT der Australier zu nutzen, um Skaleneffekte zu erreichen. «Doch dann erkannten wir, dass wir die IT besser machen können. Also haben wir das Ganze von null auf neu aufgebaut.» Aus diesem 2016 gegründeten Start-up ist die in Trogen angesiedelte GuestReady Group entstanden. GuestReady wuchs schnell und übernahm mehrere ähnliche Unternehmen; heute verwaltet die Gruppe über 10’000 Wohnungen vorrangig in England, Frankreich, Portugal, Spanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Software wird zudem von Immobilienverwaltern auf der ganzen Welt genutzt. Dass die Schweiz auf der Liste fehlt, ist kein Zufall.
Globale DNA
Start-up-Investoren sehen gerne ein realistisches, aber auch möglichst grosses Marktpotenzial. Darum haben die Gründer des Swiss Founders Fund bei ihrem eigenen Start-up GuestReady von Anfang an auf populäre Airbnb-Städte wie London, Paris oder Dubai gesetzt. Im kleineren Zürich, wo es ohnehin zu wenig Wohnungen gibt, hätte das Modell kaum funktioniert. «Durch diesen Entscheid mussten wir uns von Tag eins an damit beschäftigen, wie Mitarbeiter in London mit denjenigen in Paris kommunizieren können, damit es Synergien gibt», erklärt Patrick Degen. Die IT läuft zentral in der Schweiz, die Entwickler arbeiten hier oder als Freelancer im Ausland. Doch die IT dient allen Standorten, deshalb musste sie mit allen Tools von Anfang an international aufgesetzt werden.
Mit dieser Denkweise könne man eher ein grosses Unternehmen aufbauen, ist Patrick Degen überzeugt. Wenn ein Start-up zuerst in der Schweiz anfängt und dann, wenn es ein wenig funktioniert, langsam nach Deutschland expandieren will, gebe es stets Schwierigkeiten, beobachtet er. «Das ganze Team ist voll auf den Schweizer Markt fixiert und bekundet Mühe mit anderen Märkten. Die globale DNA fehlt.»
Erfahrung weitergeben
GuestReady ist gut organisiert und macht hohe Bruttoumsätze. Für 2024 liegt der Umsatz bei über 200 Millionen Franken. Selbstverständlich möchte die Firma weiterwachsen. «Stehen bleiben ist nie gut», sagt Patrick Degen, «deshalb wollen wir neue Vertriebskanäle finden und noch effizienter werden.» Es ist noch nicht lange her, da setzte sich Guest-Ready die Marke von 100 Millionen Franken Umsatz als Ziel. «Das haben wir erreicht. Das nächste Ziel ist dann die Milliarde», erklärt Patrick Degen und fügt an: «Aber die erreichen wir noch nicht gleich morgen.» GuestReady zählt heute 27 Büros in Europa, das Unternehmen wuchs auch durch Übernahmen ähnlicher Firmen. Vieles hat zum Erfolg des Start-ups beigetragen, sicher auch, dass GuestReady in der Frühphase Know-how an Bord holte: Einer der frühen Schlüsselmitarbeiter von Airbnb war während der ersten vier Jahre Berater von GuestReady. «Wir konnten Fragen zum Geschäftsmodell mit ihm besprechen, wir konnten unsere Ideen challengen lassen», sagt Patrick Degen, «das hat extrem geholfen.» Diese Erfahrung geben Patrick Degen und Christian Mischler nun ihrerseits weiter. Wenn sie in der Frühphase mehrere hunderttausend Franken in ein Start-up investieren, dann nimmt oft auch jemand vom Swiss Founders Fund Einsitz im Verwaltungsrat oder im Advisory Board. Die erfahrenen Investoren helfen dann mit, das Start-up auf die nächste Ebene zu bringen – wenn es in der nächsten Finanzierungsrunde um Millionen geht, ist es fit.
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Genügend Kapital wäre da
Als Investor nimmt sich Patrick Degen gerne ein Beispiel an erfolgreichen Inkubatoren wie etwa dem Gründerzentrum Y Combinator in San Francisco. «Die investieren fast nur in Start-ups, wenn das Gründerteam aus einem technischen Kopf und einem Betriebswirtschaftler besteht.» In dieser Kombination könnten Gründer auch ohne Kapital schon sehr weit kommen, «der eine kann das Produkt bauen, der andere geht raus und macht Marketing und Verkauf.» Wenn ein solches Start-up dann ein erstes Mal Kapital aufnehmen will, kann es bereits etwas vorzeigen. Dem Swiss Founders Fund werden laufend Anteile an Start-ups angeboten, sie beurteilen dabei so manches Pitch-Deck. Nicht immer liegen sie mit ihrer Einschätzung richtig: «Bisweilen sagt man einem Start-up ab, das sich danach sehr gut entwickelt» erklärt Patrick Degen. «Solche Fälle analysieren wir natürlich, und oft stellen wir fest, dass es aus damaliger Sicht absolut gerechtfertigt war, dass wir nicht einstiegen.» Wenn die Zahl der Start-ups steigt, stellt sich natürlich auch die Frage, ob es genügend Venture-Capital in der Schweiz gibt. Es dürfte langfristig immer mehr geben, meint Patrick Degen, doch aktuell hätte sich die Entwicklung eher verlangsamt, weil die Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine, die Zinserhöhungen und weitere Effekte dazu führten, dass viele Investoren selektiver wurden. «Viele Töpfe sind gut gefüllt.»
Start-up-Mann im KMU-Parlament
Die von Patrick Degen mitgegründeten Start-ups wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Start-up-Award des Swiss Economic Forums (SEF). Das SEF hat inzwischen ein KMU-Parlament ins Leben gerufen, in dem zwei Vertreter pro Kanton Wirtschaftsthemen debattieren sollen. Patrick Degen wird als einer der beiden Vertreter von Appenzell Ausserrhoden teilnehmen. «Für mich wird es spannend, die KMU-Landschaft der Schweiz mit der Start-up-Szene zu verbinden», sagt er. «Die KMU sind schliesslich das Rückgrat der wirtschaftlichen Schweiz.»
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer