«Wir trauen uns noch nicht, gross zu denken»

Startfeld war in der Ostschweiz schon ein Synonym für Innovation, als der Switzerland Innovation Park Ost erst eine vage Idee war. Seit 2010 wird unter diesem Label systematisch Start-up-Förderung betrieben, darum war es folgerichtig, den Brand für die Start-up-Förderung weiterzuführen, als Startfeld 2022 in den neuen Switzerland Innovation Park Ost fusioniert wurde. Weiterhin aktiv ist zudem die Stiftung Startfeld, die Seed-Money für Start-ups bereitstellt.
Als Leiter der Start-up-Förderung kann Diego Probst mit eindrücklichen Zahlen aufwarten: Mehr als 1860 Erstberatungen haben seit 2010 stattgefunden. «Darunter hat es potenzielle Gründer, die noch nicht viel mehr als eine Idee haben, die meisten Gründer haben aber bereits einen Prototyp ihres Produkts oder stehen an der Schwelle des Markteintritts», erklärt Diego Probst.
«Wir haben mit Empa, HSG, OST, Kantonsspital und RhySearch herausragende Forschungseinrichtungen.»
Pitchen will geübt sein
Diese Erstberatung ist kostenlos und markiert den Einstieg in den strukturierten Förderprozess. Der nächste Meilenstein ist ein Pitch vor dem Expertenkomitee. Hier müssen Gründer in kurzer Zeit ihre Geschäftsidee, ihre Technologie und den daraus resultierenden Mehrwert in den wesentlichen Punkten darstellen und auf kritische Nachfragen plausible Antworten geben können. Der Auftritt vor den Startfeld-Experten ist somit auch ein Training für künftige Auftritte vor Investoren.
Die Gründer müssen sich bewusst sein, dass von ihnen einerseits eine komplexe, raffinierte, wissenschaftliche und technische Problemlösung erwartet wird, andererseits müssen sie diese auch in wenigen Sätzen erläutern können. Das muss man üben, aber es geht, wie Diego Probst sagt. «Es gibt kein Geschäftsmodell, das so kompliziert ist, dass man zehn Minuten braucht, um es zu erklären. Eine halbe Minute muss reichen, um die Idee verständlich zu machen.»
In diesem ersten Pitch gibt es noch kein Geld, aber geldwerte Leistungen: Das Expertenkomitee kann Förderpakete im Wert von 18’000 Franken vergeben. Das Paket umfasst beispielsweise Gutscheine für individuelles Coaching und Beratungen bei den Startfeld-Partnern. Solche Förderpakete wurden bisher über 200 Mal vergeben.
Über 1000 Arbeitsplätze geschaffen
Das Expertenkomitee ist auch der Türöffner für einen Pitch vor der Stiftung Startfeld. Diese kann an Start-ups in der Frühphase neu bis 500’000 Franken in Form von Wandeldarlehen oder Equity vergeben, die Stiftung beteiligt sich also auch an Start-ups. Wenn einem Start-up später einmal ein lukrativer Exit gelingt, würde so auch wieder Geld in die Stiftung fliessen. Bisher hat die Stiftung 34 Start-ups im Umfang von 10 Millionen Franken finanziert und damit weitere private Investitionen von über 192 Millionen Franken ausgelöst.
Das weitere Gedeihen jener Start-ups, die einmal mit einem Förderpaket ausgestattet wurden, wird von der Start-up-Förderung aufmerksam verfolgt. Deshalb kann Diego Probst auch die Aussage machen, dass die bisher geförderten Start-ups weit über 1000 Arbeitsplätze in der Region geschaffen haben. Um in den Startfeld-Förderprozess aufgenommen zu werden, muss ein Start-up Innovationen vorantreiben und ein skalierbares Geschäftsmodell aufweisen. Und dann sollten sie auch aus dem geografischen Perimeter St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Thurgau kommen, «oder die Absicht haben, sich hier anzusiedeln.»
Weitere thematische Einschränkungen gibt es in der Start-up-Förderung nicht, auch wenn der Switzerland Innovation Park Ost erklärtermassen einen Cluster an der Schnittstelle von Gesundheitsthemen und Sensorik pushen will. «Wir fördern Start-ups aus allen Branchen. Diese Diversität ist anspruchsvoll, aber auch attraktiv », sagt Diego Probst.
Mit dem Startfeld-Förderprozess wurde in 15 Jahren gründliche Aufbauarbeit geleistet. Und doch beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass in der Ostschweiz zu wenig los ist. Auch Diego Probst beobachtet, dass immer wieder ein Start-up Richtung Zürich verschwindet, nachdem es die erste Raketenstufe gezündet hat. Untersuchungen für die kantonale Start-up-Strategie (siehe auch Text am Anfang dieses Schwerpunkts) zeigen, dass in der Ostschweiz in der ersten Wachstumsphase von Start-ups oft Finanzierungsmöglichkeiten fehlen. Darum wurde als eine Massnahme die maximale Tranche der Seed-Finanzierung durch die Stiftung Startfeld von 300’000 auf 500’000 Franken erhöht.
Auch interessant
Fehlendes Selbstvertrauen
Manchmal wird auch das Umfeld falsch eingeschätzt: «Viele Leute haben das Gefühl, dass hier zu wenig passiert», sagt Diego Probst als Mitautor der kantonalen Start-up-Strategie, «dabei haben wir mit Empa, HSG, OST, Kantonsspital und RhySearch herausragende Forschungseinrichtungen.» Dazu kämen in der Ostschweiz auch Industriepartner, von denen manch einer Weltmarktführer ist, obwohl man sie kaum kennt. «Diese Ökosysteme wollen wir zusammenzuführen und das dann auch kommunizieren.»
Eigentlich hat die Ostschweiz gute Voraussetzungen, also was fehlt, um der Gründerszene und der Wirtschaft einen Boost zu geben? Die Antwort von Diego Probst ist kurz und bündig: «Selbstvertrauen.» Dann schiebt er nach: «Unsere Mentalität ist sicher ein Thema, das sieht man in vielen Bereichen. In der Stadtentwicklung, in vielen politischen Themen sind wir immer zu bescheiden. Wir trauen uns noch nicht, etwas gross zu denken.»
«Natürlich erhofft sich der Kanton, dass sich das eine oder andere Start-up hier ansiedeln wird.»
Das beste Accelerator-Programm in Europa
Richtig machen heisst, auch mal gross zu denken, de Bengel höch rüere. Genau einen solchen Ansatz verfolgen die Universität St.Gallen, die studentische Organisation Start Global und der Switzerland Innovation Park Ost, die gemeinsam die Stiftung HSG Start Accelerator aus der Taufe gehoben haben.
Mit einem erfreulich unbescheidenen Anspruch: «Der HSG Start Accelerator soll das führende Accelerator-Programm in Europa werden.» Das Programm ist die vielleicht überraschendste von vielen Massnahmen, die der Kanton St.Gallen in seiner Start-up-Strategie beschlossen hat.
Zweimal im Jahr sollen für drei Monate die Kernteams von etwa zehn Start-ups aus ganz Europa gemeinsam in St.Gallen ein vielfältiges Programm durchlaufen und so einen höheren Reifegrad erlangen. Dabei wird diesen Start-ups keinerlei Vorgabe gemacht, dass sie später etwas mit oder in der Ostschweiz machen müssen. Der Kanton St.Gallen setze hier Steuergelder ein, die Stiftung HSG Start Accelerator wird einmalig mit 5,4 Millionen Franken alimentiert. «Natürlich erhofft sich der Kanton, dass sich das eine oder andere Start-up hier ansiedeln wird, wenn sie die Attraktivität der Region erkennen. Das wäre ein super Nebeneffekt.»
Aufmerksamkeit für St.Gallen
Die Start-ups, die gerade für den ersten Batch ab September 2025 ausgewählt werden, erhalten 15’000 Franken als Spesen für ihren Aufenthalt. Das Programm soll starke, technologieorientierte Start-ups auf ihrem Wachstumskurs begleiten. Es startet mit einem Bootcamp zu verschiedenen Themen, dann erhalten sie Inputs von Start-up-Investoren, von Leuten aus der Ostschweizer Industrie und auch aus erfolgreichen Ostschweizer Start-up-Experten und Mentoren. Den teilnehmenden Start-ups winkt auch noch eine Finanzierungsmöglichkeit: Am Ende der drei Monate entscheidet ein Investment-Komitee darüber, welches Start-up 200’000 Franken erhält.
Eines der Ziele des Programms ist, Aufmerksamkeit für den Start-up-Standort St.Gallen zu generieren, Investoren sollen in St.Gallen die spannendsten Start-ups von Europa entdecken. Es soll auch ein anregender, kreativer Spirit entstehen, es gibt Gelegenheiten zur Begegnung, und vielleicht entwickeln zwei Gründer zusammen ein drittes Projekt. Neben der Finanzierung durch den Kanton haben private Sponsoren bereits eine halbe Million Franken in die Stiftung gesteckt. Damit ist die erste Phase abgedeckt. «Für die nächsten zehn Jahre brauchen wir jedoch mehr Kapital», sagt Diego Probst. Eine wesentliche Aufgabe der Geschäftsstelle wird daher auch Fundraising sein.
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer