St.Gallen

100’000 Franken für einen Bohrtag

100’000 Franken für einen Bohrtag
Andrew Wright
Lesezeit: 5 Minuten

Vom St.Galler Bärenplatz aus operiert die Geoquip Marine Operations AG. Wer gründet ausgerechnet im Binnenland Schweiz ein international tätiges Meeresforschungsunternehmen – und warum? Der Brite Andrew Wright, CEO und Gründer von Geoquip, verrät: Schuld waren die Liebe – und das Telefonnetz.

Andrew Wright, wie kam es zu der Gründung von Geoquip?
Mein erstes Unternehmen, ein Beratungsbüro namens Sage, gründete ich mit ehemaligen Arbeitskollegen, die für die Brüsseler Niederlassung eines US-Energieberaters gearbeitet haben. Ein italienischer Kunde hat uns daraufhin gebeten, eine beratende Funktion im Nahen Osten wahrzunehmen. Das erlaubte uns, Kapital zu beschaffen, das für den Bau von Ausrüstung von Offshore-Ermittlungs- und Ingenieurdienstleistungen benötigt wurde – mein eigentliches Ziel. Noch während ich im Nahen Osten tätig war, bekamen wir den ersten Zuschlag für Offshore-Tätigkeiten.

Derzeit operiert Geoquip aus St.Gallen. Das Binnenland Schweiz und noch dazu die Gallusstadt scheinen eine spezielle Wahl für ein Meeresforschungsunternehmen.
Keiner unserer Kunden befindet sich direkt am Meer, nor-malerweise befinden sie sich in (gross-)städtischen Lagen. Tatsächlich waren zwei unserer früheren Kunden selbst in der Schweiz ansässig – und wir haben schon Schiffe von einer Firma aus Nyon gechartert. Zur Gründungszeit von Geoquip war die Schweiz die perfekte Wahl. Denn die Swiss flog direkt zu den meisten Standorten, an denen unsere Kunden ansässig waren. Zudem stellte der Bankenverein eine revolvierende Kreditlinie zur Verfügung. Und nicht zuletzt war auch das Telekommunikationsnetz hier besser als in England (lacht).

Dann war die Schweiz eine glückliche Wahl?
Absolut. 1979 lernte ich meine heutige Ex-Frau kennen. Gemeinsam lebten wir einige Jahre in Brüssel, bevor es uns in den Nahen Osten (UAE) zog. Als wir diesen wieder verliessen, wollten wir eigentlich nach Grossbritannien ziehen. Jedoch wurden wir zu dieser Zeit mit Zwillingen beglückt, was die Wohnungssuche auf der Insel erschwerte. Daher planten wir einen vorerst vorübergehenden Aufenthalt im Toggenburg. Wir waren im Besitz eines Stück Landes, das wir für den Bau eines Ferienhauses erworben hatten. Letztlich wurde daraus jedoch nichts – und wir haben stattdessen ein Einfamilienhaus gebaut.

 

 

Ist es nicht ein riesiger Aufwand, Ihre Operationen aus St.Gallen zu steuern?
Anfangs haben wir unsere Schiffe noch von hier aus betreut, das stimmt. 2022 jedoch haben wir die Koordination an ein spezialisiertes Unternehmen mit Sitz in Hamburg ausgelagert. Das entlastet uns sehr. Die Funktionen der kaufmännischen und technischen Entwicklung, des Betriebsmanagements, der Finanzen und der Verwaltung sind aber nach wie vor hier in St.Gallen. Projektmanagement, Logistik, Engineering und Personalwesen sind in Bristol, unserem anderen Standort, angesiedelt. Die meisten Techniker, Bohrleute und Bediener befinden sich auf den entsprechenden Schiffen. Der eine oder andere arbeitet ortsunabhängig.

Solch ein Aufwand erfordert auch eine nicht unerhebliche Menge an Angestellten.
In der Marine-Crew beschäftigen wir derzeit 80 Mitarbeiter. Techniker gibt es 360, die Ingenieure, Projektmanager und Labormitarbeiter belaufen sich auf 80. Dazu kommen noch 40 im Bereich Administration, Finanzen, Logistik und Personalmanagement. Letztlich sind noch zwölf Personen im Bereich Direktion, Senior Management und in der Exekutive angestellt.

Sie arbeiten auf dem Meer, doch gibt es auch Aufträge in heimischen Gewässern?
Kaum. Wir wurden für Erkundungsarbeiten im Genfersee angefordert, aber der grösste Teil unserer Ausrüstung lässt sich nicht auf die Schiffstypen bringen, die auf unseren Gewässern unterwegs sind.

 

«Kunden wären nicht in der Lage, eine Versicherung abzuschliessen, wenn wir nicht die entsprechenden Daten liefern könnten.»

Wie kann man sich einen Einsatz auf offener See vorstellen?
Unsere Schiffe sind zwischen 70 und 100 m lang. Im Laufe der Jahre wurden dynamisch positionierte Schiffe gebaut, die sich auf Satellitensignale verlassen und mit einer Genauigkeit von einem Radius von gerade mal einem Meter ihre Position behalten können. Wir haben spezielle Bohrsysteme mit Hebungsausgleich entwickelt, damit der Bohrer auch bei vertikaler Bewegung des Schiffes mit einem konstanten Druck immer stationär bleibt. Auch die Test- und Probenahmegeräte wurden entwickelt, um effizient zu sein. Das ist wichtig, denn die Kunden zahlen über 100´000 Franken pro Arbeitstag.

Wer sind die Hauptauftraggeber?
Bis 2015 waren Öl- und Gasunternehmen (z. B. Exxon, Total, ENI oder Chevron) mit Offshore-Aktivitäten unsere Hauptkunden. Seit 2017 haben Offshore-Entwickler von erneuerbaren Energien (Ørsted, Equinor) zunehmend unsere Dienstleistungen in Anspruch genommen. Heute machen sie rund 90 Prozent des gesamten Umsatzes aus. Es gab auch Zeiten, in denen andere Sektoren einen grossen Teil unseres Umsatzes ausmachten. In den 1990er-Jahren haben wir unter anderem Geräte zur Vermessung des Meeresbodens für die Installation von Glasfaserkabeln entwickelt und betrieben. Im gleichen Zeitraum führten wir eine Untersuchung für eine Reihe von Ländern durch, die vor dem Jahr 2000 ihre ausschliessliche Wirtschaftszone gemäss dem Seerecht UNCLOS der Vereinten Nationen festlegen mussten.

Andere Aufträge kommen aus dem (Klima-)Forschungsbereich, oder?
Ja. So hat Geoquip in der Ostsee als Teil des seit Jahrzehnten laufenden Integrated Ocean Drilling Programs (IODP) mehrere Lokalitäten untersucht, deren Resultate integraler Bestandteil der Paläoklimaforschung sind. Des Weiteren waren wir unter Vertrag, 2022 mit zwei Eisbrechern als Geleit in die Arktis zu fahren, um bis zu 900 m unter dem Meeresboden Proben zu entnehmen. Wäre der Ukraine-Krieg nicht gewesen, hätten wir so Aufschluss über klimatische Begebenheiten der letzten zehn Millionen Jahre bekommen.

 

Auch interessant

Die Win-win-win-Situation
Wirtschaft

Die Win-win-win-Situation

Seit 15 Jahren auf der Überholspur
Wirtschaft

Seit 15 Jahren auf der Überholspur

«Wir wollen einen ausverkauften Kybunpark»
Wirtschaft

«Wir wollen einen ausverkauften Kybunpark»

«Offshore-Windparks wären ohne die Ölindustrie, die Pionierarbeit geleistet hat, wirtschaftlich nicht machbar.»

Also weg von Öl und Gas, hin zu erneuerbaren Energien?
Auf jeden Fall. Es ist wichtig zu verstehen, dass Offshore-Windparks ohne die Ölindustrie, die Pionierarbeit im Offshore-Betrieb geleistet hat, und ihre technologischen Entwicklungen für Offshore-Strukturen in mehr als 50 Jahren wirtschaftlich nicht machbar wären.

Mit welchen Anliegen kommen die Kunden auf Geoquip zu?
Sie benötigen von uns Umwelt- und Ingenieurdaten, damit die Offshore-Strukturen ordnungsgemäss und wirtschaftlich ausgelegt werden können. Die Integrität und die Lebensdauer dieser Strukturen hängen komplett von der Fundamentkonstruktion ab. Diese wiederum beruhen auf einer qualitativ hochwertigen Datenerfassung und -analyse auf dem neuesten Stand der Technik. In den meisten Fällen wären die Kunden nicht in der Lage, eine Versicherung abzuschliessen, wenn wir nicht die entsprechenden Daten liefern könnten. Zu diesem Zweck entnimmt Geoquip Proben aus dem Meeresboden, testet sie in Laboren an Bord und an Land und führt Tests tief unter dem Meeresboden, in Wassertiefen von zehn bis 2000 m durch. 

Gehen Sie auch Partnerschaften ein? Beispielsweise aus dem Rüstungssektor?
Ab 2013 hatten wir eine neunjährige Partnerschaft mit der japanischen Firma Fukuda. In diesen Jahren führte Geoquip für die japanische Regierung Projekte zur Exploration von Tiefsee-Gashydranten durch. Das ist eine wichtige Energiequelle aus der saubersten Gasquelle. Ausserdem führten wir auch Projekte rund um Meeresbodenmineralien und Verteidigungsprojekte rund um Okinawa durch. Ebenso haben wir auch Standortuntersuchungen für Windparks gemacht. Auch für die südkoreanische Regierungsbehörde haben wir für Verteidigungszwecke und Tiefsee-Mineralexploration Projekte durchgeführt.

 

  

«Heute machen Offshore-Entwickler von erneuerbaren Energien rund 90 Prozent des Umsatzes aus.»

Und wie sieht die nähere Zukunft von Geoquip aus?
Als Reaktion auf den wachsenden Markt für erneuerbare Energien planen wir, in den nächsten Jahren zwei neue Schiffe zusammen mit Bohr- und Testgeräten in Betrieb zu nehmen. Derzeit haben wir nur einen Konkurrenten, der in tieferen Gewässern arbeitet. Dies wird bei der nächsten Generation von Windturbinen relevant sein, die auf schwimmenden Sockeln stehen. Wir sind gut positioniert, um den Marktanteil durch kontinuierliche, disruptive technologische Entwicklungen wie ferngesteuerte Meeresbodengeräte zu erhöhen. Diese bauen wir derzeit. Ausserdem entwickeln wir eine neue Sonde, die in Labors an der ETH getestet wird.

Das kostet.
Allerdings. Da unser Geschäft kapitalintensiv ist und wir schnell wachsen müssen, um die Nachfrage zu befriedigen, suchen wir nach potenziellen Investoren oder einer möglichen Notierung und erwarten, dass dies innerhalb von ein oder zwei Jahren erreicht sein wird.

Text: Fabian A. Meyer

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

Auch interessant

«Das Medikament darf  nicht zur Droge werden»
Wirtschaft

«Das Medikament darf nicht zur Droge werden»

Quo vadis, Ostschweizer Gastronomie?
Wirtschaft

Quo vadis, Ostschweizer Gastronomie?

«Wenn man schnell ist, dauert es zehn Jahre»
St.Gallen

«Wenn man schnell ist, dauert es zehn Jahre»

Schwerpunkte