Fokus Mobilität

Zwischen Batterie, Benzin und neuen Bedürfnissen

Zwischen Batterie, Benzin und neuen Bedürfnissen
Yves Baldegger, Reto Krapf
Lesezeit: 4 Minuten

Elektroautos sind leise, lokal emissionsfrei und technologisch faszinierend – dennoch dominieren Benziner und Diesel weiterhin unsere Strassen. Zwei Ostschweizer Autoexperten sprechen über Realitäten, Perspektiven und Irrtümer rund um die Mobilität von morgen: Yves Baldegger von der Baldegger Group und Reto Krapf von der Hirsch Automobile AG liefern zwei Sichtweisen auf eine Branche im Umbruch – und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.

«Unsere Branche steckt seit drei bis vier Jahren in einem grossen technologischen Wandel», sagt Reto Krapf. «Mittlerweile ist das ‹Endziel› einer emissionsfreien Mobilität allen bewusst – der Weg dorthin führt aber noch Jahre über moderne und effiziente Verbrennungsmotoren.» Er warnt davor, die Entwicklungen vorschnell zu verengen: «Es wäre fatal, den Herstellern die Möglichkeit zu verwehren, die Technologie der Verbrennungsmotoren weiterzuentwickeln.» Yves Baldegger hält dagegen: «Die Zukunft ist elektrisch, ganz klar. Wo die Rahmenbedingungen mit Verfügbarkeit von Strom und ihren Netzen vorhanden sind, wird sich der E-Antrieb durchsetzen – allein schon, weil Erdöl endlich ist und synthetische Treibstoffe oder Wasserstoff aus Effizienz- und Kostengründen keine sinnvolle Alternative für die Automobilität darstellen.»

«Ohne Fördermassnahmen wäre der Marktanteil der Elektromobilität deutlich geringer.»

Elektroautos: Ja, aber…

Auch beim Blick auf die aktuelle Situation auf den Strassen gibt es unterschiedliche Lesarten. «Mehr als jeder fünfte Neuwagen, der heute in der Schweiz auf die Strassen kommt, fährt reinelektrisch – Tendenz nach wie vor steigend», sagt Baldegger. «Der Elektromobilität gehört die Zukunft, auch weil sie heute schon langfristig günstiger ist als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Ein deutlich geringerer Service- und Ersatzteilbedarf bei Bremsen oder Öl ist ein Mitgrund dafür.»

Reto Krapf beobachtet hingegen: «Elektromobilität bleibt insbesondere im städtischen Raum und für den Nahverkehr ein wichtiges Bedürfnis. Sobald jedoch die Kundenbedürfnisse stärker in Richtung mobile Flexibilität oder Lademanagement gehen, erfolgt häufig ein Wechsel hin zu Plug-in-Hybrid-Modellen.» Diese hätten sich laut Krapf in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt: «Sie bieten heute eine elektrische Reichweite von bis zu 140 Kilometern.»

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Gewollt oder forciert?

Auch bei der Frage, ob Elektroautos wirklich von der Bevöl-kerung gewollt oder eher von der Industrie forciert werden, gehen die Meinungen auseinander. «Wer einmal in einem Elektroauto gefahren ist, weiss die unmittelbare Beschleunigung, das ruhige Fahrgeräusch und die einfache Bedienung ohne Handschaltung und mit One-Pedal-Drive enorm zu schätzen», sagt Baldegger. «Diese Erfahrung machen wir immer wieder mit Kunden, die zum ersten Mal mit einem Polestar unterwegs sind. Viele wollen danach keinen Verbrenner mehr fahren.»

Krapf ist nicht ganz so euphorisch: «Sowohl vollelektrische Fahrzeuge als auch Plug-in-Hybrid-Modelle werden von den Herstellern aus verschiedenen Gründen – etwa politischen Vorgaben oder drohenden Strafzahlungen – gezielt durch Verkaufsförderungen unterstützt. Ohne diese Anreize und Fördermassnahmen wäre der Marktanteil der Elektromobilität wohl deutlich geringer.»

Auch der Staat spielt eine Rolle. «Die Subventionierung von E-Autos in der Schweiz hält sich stark in Grenzen, abgesehen vom Wegfall der Mineralölsteuer», sagt Baldegger. «Einige Kantone bestrafen Elektroautos sogar bei den Verkehrssteuern wegen des Mehrgewichts, anstatt sie zu fördern.» Krapf ergänzt: «Die EU hat die Situation durch den geplanten Verbrenner-Stopp im Jahr 2035 zusätzlich verschärft, wenngleich mittlerweile einige Anpassungen an dieser Regelung vorgenommen wurden. Die technologische Offenheit ist dadurch trotzdem gefährdet.»

«Moderne Verbrennungsmotoren sind sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sehr effizient.»

Alternativen sind zu teuer

Und was ist mit anderen Lösungen? Wasserstoff, synthetische Treibstoffe, Biogas? «Alle genannten Alternativen haben sich bis heute und auf absehbare Zeit in der Zukunft als zu teuer, nicht lieferbar oder uninteressant für den Markt erwiesen», ist Baldegger überzeugt. «Die allermeisten Automobilhersteller setzen deshalb auch auf Elektroautos.» Krapf sieht hingegen Potenzial in diesen Alternativen und will auch den Verbrenner nicht ganz abschreiben: «Neben den bereits erwähnten Lösungen sind moderne Verbrennungsmotoren heute sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sehr effizient. Diese Effizienz sollte man nicht vorschnell beiseitewischen.»

Und wie steht es um die Klimabilanz über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs? «Falsch», sagt Yves Baldegger auf die Aussage des Schreibenden, Verbrenner seien nachhaltiger. «Über die gesamte Lebensdauer sind Elektroautos CO₂-ärmer – je nach Grösse, geladenem Strom oder Modellvergleich schon nach wenigen zehntausend Kilometern. Der Klimabilanzrechner des TCS bietet eine sehr gute Vergleichsmöglichkeit verschiedener Antriebssysteme, Marken und Modelle.» Reto Krapf räumt ein: «Wenn man den kompletten Lebenszyklus und auch die Preisstabilität der Occasionsfahrzeuge einkalkuliert, wird es tatsächlich ein ‹enges Rennen›.»

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«Spätestens nach der Familiengründung wird ein eigenes Auto sehr interessant.»

Das eigene Auto gehört nach wie vor dazu

Schliesslich stellt sich auch die Frage, ob junge Menschen überhaupt noch ein eigenes Auto besitzen wollen – Stichwort Sharing, Abo-Modelle, autonome Flotten. «Ich glaube nicht, dass die Jugend in Zukunft weniger autonome Mobilität wünscht», sagt Krapf. «Eventuell sieht diese Statistik in den Grossstädten etwas differenzierter aus. Es hat sich aber gezeigt, dass diverse Firmen mit ‹Abo-Modellen› sich im Schweizer oder europäischen Markt nicht durchsetzen können und wieder vom Markt verschwinden.» Baldegger sieht das ähnlich: «Wir machen die Erfahrung, dass spätestens nach Gründung einer Familie auch für junge Menschen ein eigenes Auto sehr interessant wird, schon aus praktischen Überlegungen. Zudem bietet das eigene Fahrzeug ein Gefühl der Freiheit, das viele Menschen nicht missen möchten – der konstant hohe Motorisierungsgrad in der Schweiz zeigt dies auch bei uns deutlich.»

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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