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Die Golden Ager sind aktiv, selbstbestimmt – und wirtschaftlich relevant

Die Golden Ager sind aktiv, selbstbestimmt – und wirtschaftlich relevant
Damaris Aschwanden
Lesezeit: 4 Minuten

Die «Generation Erfahrung» ist weit mehr als eine Alterskohorte. Für Damaris Aschwanden, Leiterin des Instituts für Altersforschung an der OST, ist sie ein zentraler gesellschaftlicher Akteur: engagiert, konsumstark, gut vernetzt und voller Potenzial – sofern Wirtschaft, Politik und Forschung bereit sind, sie als solche ernst zu nehmen.

«Aus unserer Forschungsperspektive am IAF definieren wir  die Generation Erfahrung über ihre Lebensphase und Rollen im gesellschaftlichen Kontext – nicht über ein bestimmtes chronologisches Alter», sagt Aschwanden. Charakteristisch sei diese Lebensphase durch gewonnene Freiräume nach dem Erwerbsleben, durch umfassende Lebens- und Berufserfahrung und durch das Bedürfnis, aktiv mitzugestalten – sei es durch Reisen, Ehrenamt oder Weiterbildung.

«Viele Unternehmen übersehen das enorme Potenzial einer erfahrungsreichen Generation.»

Werte, Wandel und Lebensstile

Dabei unterscheidet sich die heutige Generation 50+ deutlich von früheren Seniorengenerationen. «Sie ist vielfältiger, individueller und deutlich aktiver. Viele bleiben länger beruflich oder gesellschaftlich engagiert und sind offen für Neues – ob Reisen, Weiterbildungen oder kulturelle Aktivitäten.» Starre Altersbilder würden abgelehnt, stattdessen seien Selbstbestimmung, Sinn und Lebensqualität zentrale Werte.

Auch im Vergleich zu jüngeren Generationen zeige sich ein eigenes Profil. «Die Generation 50+ legt besonderen Wert auf Sicherheit, Verlässlichkeit und Qualität. Gleichzeitig investieren sie gezielt in Dinge, die ihnen einen persönlichen Mehrwert bringen – und bevorzugen langfristige Perspektiven statt kurzfristigen Konsum», sagt Damaris Aschwanden. Dabei falle auf, dass viele Vertreter dieser Generation pragmatisch und gelassen agierten: «Sie haben gelernt, Prioritäten zu setzen – und suchen Angebote, die ihre Zeit und Ressourcen sinnvoll nutzen.» Gleichwohl erleben viele Golden Ager auch Herausforderungen, etwa durch stereotype Zuschreibungen. «Der gesellschaftliche Wandel wird oft als Balanceakt erlebt – zwischen neuen Freiheiten und der Herausforderung, sich gegen Altersdiskriminierung zu behaupten.»

Anspruchsvolle Konsumenten

Die Generation Erfahrung ist nicht nur aktiv, sondern auch wirtschaftlich relevant. Sie stellt hohe Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen und Kommunikation. «Diese Generation erwartet vor allem drei Dinge: Benutzerfreundlichkeit, Qualität und Sinnhaftigkeit», sagt Aschwanden. Nachhaltigkeit, Servicequalität und transparente Kommunikation spielten ebenfalls eine grosse Rolle.

Doch Unternehmen würden diese Zielgruppe häufig noch nicht angemessen ansprechen. «Viele Marketingstrategien nutzen stereotype Bilder, die ältere Menschen als passiv oder technikfern darstellen – und verkennen damit ihre Vielfalt und Offenheit.» Zudem werde die Zielgruppe zu selten in Produktentwicklung oder Kommunikation einbezogen. «Wir am IAF arbeiten mit einem ressourcenorientierten Altersbild. Wir sehen ältere Menschen nicht als passive Konsumenten, sondern als aktive Gestalter – und binden sie deshalb partizipativ in unsere Projekte ein.»

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Was wirklich zählt

Besonders hohes Potenzial sieht Aschwanden bei Angeboten, die Autonomie, soziale Teilhabe und funktionale Fähigkeiten fördern – im Sinne des WHO-Verständnisses von gesundem Altern. «Gesundes Altern bedeutet nicht die völlige Abwesenheit von Krankheit, sondern die Erhaltung jener körperlichen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die ein erfülltes Leben ermöglichen.»

Konkret nennt sie benutzerfreundliche digitale Tools zur Vernetzung, Präventionsangebote zur Förderung von Bewegung und mentaler Fitness, flexible Wohnmodelle sowie Dienstleistungen mit persönlicher Note. «Solche Angebote sollten nicht nur für ältere Menschen entwickelt, sondern mit ihnen gestaltet werden. Nur so entstehen Lösungen, die ihre Selbstbestimmung respektieren und ihre Ressourcen stärken.»

Was Unternehmen dabei nie vergessen sollten: «Lebenslust bedeutet in dieser Lebensphase, das Leben bewusst und aktiv zu gestalten – mit Sinn, Genuss und Selbstbestimmung. Es geht um Reisen, Lernen, Engagement, Gesundheit und soziale Beziehungen.» Produkte und Dienstleistungen sollten nicht nur «altersgerecht», sondern inspirierend und motivierend sein.

«Digitalisierung kann ein Schlüssel zur Inklusion sein.»

Erfahrung als wirtschaftliche Ressource

Auch beruflich ist die Generation Erfahrung weit mehr als ein Auslaufmodell. «Langjährige Berufserfahrung bringt fachliche Tiefe, historische Perspektive und die Fähigkeit, Muster zu erkennen – das ist ein unschätzbarer Vorteil für Unternehmen», sagt Damaris Aschwanden. Hinzu kämen Resilienz, Gelassenheit und wertvolle Netzwerke. «Ältere Fachkräfte können als Mentoren, Brückenbauer oder Impulsgeber für Innovationen wirken – wenn man sie lässt.» Beim IAF wird dieses Potenzial ganz konkret genutzt:

«Wir arbeiten mit einem Sounding Board aus engagierten Menschen im Pensionsalter, die ihre Lebenserfahrung einbringen und unsere Projekte kritisch mitgestalten.» Leider werde dieses Potenzial in der Praxis noch zu wenig ausgeschöpft:  «Es fehlen flexible Arbeitsmodelle und strategische Programme, die es älteren Fachkräften erlauben, ihre Stärken gezielt einzubringen – etwa in beratender Funktion, im Projektmanagement oder als Innovations-Coaches.»

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Digitalisierung als Chance – nicht als Barriere

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die digitale Teilhabe. Aschwanden sieht in der Digitalisierung grosse Chancen – vorausgesetzt, sie wird benutzerfreundlich und partizipativ gestaltet. «Viele Menschen mit viel Lebenserfahrung sind technologieoffen, möchten aber klare Mehrwerte erkennen: einfache Bedienung, verständliche Sprache und sichtbare Vorteile im Alltag.» Am IAF arbeitet man daher mit sogenannten Living Labs: reale Alltagsumgebungen, in denen ältere Menschen digitale Tools testen und mitentwickeln. «Das ist ein Gegenentwurf zu künstlichen Labors. In einem Living Lab entsteht Innovation praxisnah und nachhaltig – mit der Nutzerschaft, nicht über sie hinweg.»

Wirtschaftskraft mit Potenzial

Die wirtschaftliche Bedeutung der Generation Erfahrung werde noch unterschätzt, sagt Aschwanden. «Menschen über 50 haben häufig eine solide Kaufkraft, investieren bewusst und gestalten Wirtschaft und Gesellschaft aktiv mit – als Konsumenten, Engagierte oder Erwerbstätige über das Pensionsalter hinaus.»

Trotzdem würden viele Unternehmen weiter primär jüngere Zielgruppen bedienen. «Es braucht einen Perspektivwechsel: weg von Defizitnarrativen, hin zur Co-Creation mit einer aktiven, konsumstarken Generation.» Auch regional sieht Damaris Aschwanden grosse Chancen – gerade für die Ostschweiz. «Die demografische Entwicklung eröffnet Innovationspotenzial in Bereichen wie Gesundheit, Tourismus, Bildung, Technologie und Bauwesen. Voraussetzung ist, dass Unternehmen Strategien entwickeln, die auf Partizipation und Ressourcenorientierung setzen und ältere Menschen als Mitgestalter einbeziehen.»

Blick in die Zukunft

Abschliessend nennt Aschwanden drei zentrale Trends, die das Verhalten der Generation Erfahrung in den kommenden Jahren prägen werden: «Erstens: Gesundheitsorientierung und Prävention – mit Fokus auf aktive Lebensstile und personalisierte Angebote. Zweitens: Selbstbestimmung und Individualisierung – mit starkem Wunsch nach Mitgestaltung. Drittens: Digitalisierung mit Sinn und Benutzerfreundlichkeit  – ältere Menschen werden digital-affiner, fordern aber echte Mehrwerte.» Sie bilanziert: «Ein oft unterschätzter Aspekt ist das Potenzial der Generation Erfahrung als aktive Mitgestalter – nicht nur als Konsumenten. Sie bringen nicht nur Kaufkraft, sondern auch Wissen, Zeit und Motivation mit, um Gesellschaft und Innovation aktiv mitzugestalten.»

Text: Stephan Ziegler

Bild: Rebekka Grossglauser

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