Thurgauer Baubranche: Stabiles Fundament, wacklige Zukunft?

Text: tkb
Geschäftslage: sehr gut. So lautet seit Jahren die Rückmeldung der Thurgauer Bauunternehmen im Rahmen der TKB-Firmenkundenumfrage. Gemäss der jüngsten Ausgabe schätzen sieben von zehn Unternehmen ihren Geschäftsgang als «gut» ein, nur gerade 1,5 Prozent als «unbefriedigend». In keiner anderen Branche zeigt sich ein ähnlich gutes Stimmungsbild.
Lange Liste an Herausforderungen
Dabei gäbe es für Bauunternehmer so manchen Grund für Sorgenfalten. Da sind etwa die hohen Energiepreise, die in der energieintensiven Bauwirtschaft besonders stark durchschlagen. Auch die Kosten für Rohstoffe und Baumaterialien sind teilweise regelrecht in die Höhe geschossen. So kosten beispielsweise Zement oder Dämmmaterial aktuell ein Drittel mehr als noch vor zwei Jahren, Backsteine gar 60 Prozent mehr.
Gleichzeitig hat die Zinswende Hypotheken und damit Neu- und Umbauvorhaben verteuert. Hinzu kommt der ausgeprägte Arbeitskräftemangel: Drei von vier Thurgauer Bauunternehmen sehen darin in den kommenden Jahren eine dominante Herausforderung. Auch die schweizweiten Bauinvestitionen kennen seit der Pandemie nur eine Richtung: nach unten. Woher kommt also das positive Stimmungsbild in der Thurgauer Bauwirtschaft?
Ist Arbeit da, stimmt die Geschäftslage
Tatsächlich falle das Bild in den Umfragen etwas gar positiv aus, meint Lynn Burkhard, Co-Geschäftsführerin der Stutz AG, einer der führenden Baufirmen im Thurgau: «Die Realität ruft durchaus gemischte Gefühle hervor, nicht nur unbändigen Optimismus.» So spüre die Stutz AG aktuell eine Zurückhaltung bei grossen Industriebauprojekten.
Das bestätigt auch Gian Nauli, Geschäftsführer des Thurgauischen Baumeister-Verbandes, bezogen auf die gesamte Branche: «Eine gewisse Zurückhaltung ist spürbar. Das sind erste Anzeichen für einen möglichen Abwärtstrend.» Weshalb dann trotzdem die positive Beurteilung? Lynn Burkhard und Gian Nauli haben beide dieselbe Erklärung: Passt die Auftragslage, seien die Bauunternehmen mit der Geschäftslage schon mal grundzufrieden. An tiefe Margen und kostenseitigen Druck habe man sich schlichtweg gewöhnt.
Ungebrochene Nachfrage nach Wohnraum
Bauuunternehmer sind aber keine unverbesserlichen Optimisten. In den einzelnen Bausubbranchen wirken nämlich auch starke strukturelle Treiber. Im Hochbau ist da etwa die ungebrochene Nachfrage nach Wohnraum. Die Bevölkerung wächst, pro Person wird mehr Wohnfläche nachgefragt. Gleichzeitig suchen institutionelle Anleger – allen voran Pensionskassen – laufend Investitionsmöglichkeiten.
Die Zinswende mit höheren Hypothekarkosten als Folge hat diese Entwicklung zwar etwas gedämpft, aber nicht gebrochen – zumal die jüngste Leitzinssenkung durch die Schweizerische Nationalbank als klares Zeichen für verminderte Inflationsrisiken interpretiert werden kann.
Der Tiefbau wiederum bedient vor allem Infrastrukturaufträge der öffentlichen Hand – per se ein Geschäftsfeld, das wenig auf konjunkturelle Schwankungen reagiert. Dem Baunebengewerbe bescheren energetische Sanierungen volle Auftragsbücher. Die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen sei hoch, erklärt Gian Nauli. Auch nehme der Einsatz von Holz zu, besonders bei öffentlichen Bauten.
Nachhaltigkeit bietet Entwicklungspotenzial
Bleibt der Blick nach vorne. Bauunternehmen bewegen sich in einem Geschäft mit niedrigen Margen. Der Kostendruck ist hoch. Baulandreserven sind knapp. Der Tiefbau spürt den zunehmenden Spardruck der öffentlichen Hand.
Schaut man über die Grenze nach Deutschland, vermelden die Bauunternehmen zudem düstere Geschäftserwartungen. Blickt die Baubranche also trotz stabilem Fundament einer wackligen Zukunft entgegen? «Nein», sagt Gian Nauli überzeugt.
Optimismus dank «Wohlfühloasen»
Darüber hinaus seien die Bedürfnisse nach «Wohlfühloasen» – also wohnlichen Arbeits- und Lebensräumen – stark ausgeprägt. Mit dem Bevölkerungswachstum entstehen fortwährende Herausforderungen im Wohnungsbau und in der Infrastrukturentwicklung, die erweitert und verbessert werden muss.
Gian Nauli ist deshalb getreu dem Branchenoptimismus überzeugt: «Solange keine Wirtschaftskrise eintritt, sieht die Lage mit vollen Auftragsbüchern weiterhin positiv aus.»